© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/16 / 16. September 2016

Verschollen in der Filmgeschichte
Kinodokumentation: Serpil Turhan porträtiert „Rudolf Thome – Überall Blumen“
Sebastian Hennig

Die Protagonisten des vormals neuen deutschen Kinos sind nicht nur alt geworden. Sie sehen, im übertragenen Sinne, auch alt aus. Denn jene, die im Oberhausener Manifest 1962 beschworen: „Papas Kino ist tot“, sind längst selbst verlassene Eltern geworden. Bereits drei Jahre darauf kritisierten einige Kollegen unter den deutschen Autorenfilmern die „Oberhausener“ wegen deren Orthodoxie und Vetternwirtschaft. Gegenüber Wim Wenders, Rainer Werner Fassbinder und Volker Schlöndorff wirken diese, Jean-Marie Straub, Klaus Lemke und Rudolf Thome, gegenwärtig als Verlierer der Filmgeschichte.

Von „Detektive“(1966) bis „Ins Blaue“(2011) hat Rudolf Thome 28 Spielfilme gedreht, mit Darstellern wie Hanns Zischler, Marquard Bohm, Bruno Ganz, Hannelore Elsner und Hanna Herzsprung. Seither dokumentiert er auf einem Blog die Entstehung eines Drehbuchs ohne Aussicht auf Realisierung. Serpil Turhan spielte selbst in einigen Filmen von Thome mit. Nun filmt sie ihn auf seinem Bauernhof in Brandenburg. Der Film über einen nicht zustande kommenden Film trägt dessen Titel und Autor im Namen: „Rudolf Thome – Überall Blumen“. Da steht er in den Rumpelkammern seines Lebenswerks, wühlt zwischen Filmdosen und Requisiten: „Braucht man alles nicht mehr.“ Er hält die gebrauchten Klappen von einst in die Höhe und lächelt dazu schmerzlich verlegen.

Mit Zigaretten und Dosenbier setzt er sich an den Schreibtisch und füllt den Federhalter im Tintenfaß. Das leere Papier füllt er mit leeren Sätzen: „Es scheint die Sonne, und ich habe nicht die geringste Idee.“ Noch einige weitere Sätze, dann wird das Blatt gescannt und online gestellt. Mit der Abrufstatistik ist er mäßig zufrieden. Dreihundert würden ihn beflügeln. Es ist ein Trugschluß über das Internet, der sich hier kundtut. Es ist nicht das Ereignis im Netz, welches die Aufmerksamkeit anzieht, sondern das außer-netzige Vorleben der Blogger. Mit der fernen Tochter Joya in New York feilscht er über Skype um Aufmerksamkeit in den digitalen Netzwerken und erörtert die Realisierungsmöglichkeiten seines Films über Crowdfunding und Eigenleistungen. „Ich selbst spiele die Hauptrolle“, sagt er und tut es bereits, nur daß es nicht sein Film ist, sondern der Film über ihn.

Vom Autor ist er zum Phänomen geworden. Wenn nichts mehr von selbst laufen will, rückt plötzlich die eigene Existenz in den Mittelpunkt. Er hat einen Film nach dem anderen gedreht. Nun ist dieser Strang abgerissen. Er hätte gearbeitet, damit möglichst viele Leute ihn lieben durch den Film, das sei wichtiger, als Geld zu kriegen, obwohl Geld zu kriegen auch nicht schlecht sei. Er hat es in den Bauernhof gesteckt.

Aber er ist handwerklich recht unbegabt, tapst ziellos über den Hof mit den schmucklosen Ziegelbauten. Was er tut, wirkt wie ein Spiel. Er beachtet den Kilometerstand auf seinem Fahrradcomputer und kurvt mit dem Mähtraktor über seine Wiesen. Rücklings schwimmt er durch den Froschteich oder radelt zum Körbaer See, um dort zu baden, stellt mit einer Stativkamera den Rotschwänzchen nach und lauert auf einen schönen Sonnenaufgang. Als sein patenter Sohn Nicolai ihm beim Ausräumen des Teiches hilft, fällt ihm der Vater eher zur Last. Beim Baumfällen wird es beinahe gefährlich für den Junior, der oben in der Krone sitzt, als der Vater den abgesägten Ast mit dem Seil nicht rechtzeitig beiseite zieht.

Seinen Neid bekennt Thome auf Klaus Lemke, ein bißchen auch auf Rainer Werner Fassbinder: „Ich hätte schon gern mal ’ne Goldene Palme gehabt.“ Er empfindet sich als einen Verschollenen in der Filmgeschichte. In einer DVD-Edition rage er wie mit dem Kopf aus einer Verwehung heraus. Er muß sich eingestehen, daß er einem Filmdreh körperlich nicht mehr gewachsen ist. Eine Autobiographie will ihm nun als lebenserhaltende Maßnahme erscheinen. Als die Tochter darauf besteht, ein eigenes Leben meistern zu müssen, meint er, er habe 28 Filme gedreht und müsse keinen 29. machen. „Ich bringe mich deswegen nicht um.“ Eine sanfte Tyrannei ist darin unübersehbar. Den Regisseur legt man eben nicht von heute auf morgen ab.

Die Naivität, wohl teils gespielt, teils echt, ist zugleich rührend und abstoßend. Eine gewisse Eifersucht auf die Regisseurin des Dokumentarfilms erweist sich darin, daß Thome sich von Turhan nicht diskret beobachten lassen will. Immer wieder blickt er direkt in die Kamera und spricht sie, die unsichtbar dahinter bleibt, rhetorisch an. Oft lockt er sie damit, selbst zu reden.

Als 2011 die Degeto (Deutsche Gesellschaft für Ton und Film) sich nicht mehr bereit findet, weitere Filme von Thome zu finanzieren, spricht der Filmkritiker Rüdiger Suchsland von einem „Fall Thome“, der anschaulich vorführe, daß der deutsche Film in der Krise sei. Es handelt sich dabei natürlich um einen langen Vorlauf. Der Regisseur Hans Jürgen Syberberg beschreibt in seinem 1981 erschienenen Buch „Die freudlose Gesellschaft“, wie die Fernsehpolitik die Filmkunst verwüstet, die Bildsprache korrumpiert und bewirkt habe, daß die Gefährten von einst zu kannibalischen Rivalen werden. Über diese Entwicklung erzählt uns der Film nichts, denn er ist selbst Teil dieses Kannibalismus. Die elegante Traurigkeit der Filme von Thome hat ihn nun selbst eingeholt und umhüllt ihn in seinem Tusculum im Fläming.

So ist der Film von Serpil Turhan über Rudolf Thome auch ein Film von Rudolf Thome. Er hat ihn auf listige Art für sich gekapert, und es tut beiden gut, dem Film und seinem Protagonisten.