© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/16 / 16. September 2016

Pankraz,
A. Capus und der geliebte Ochsenkopf

Je banaler, desto besser. Das ist die Botschaft, die der schon seit langem auflagen- und resonanzmäßig erfolgreichste Schweizer Schriftsteller, Alex Capus (55), in seinem neuen Roman „Das Leben ist gut“ (Hanser-Verlag, München, 240 Seiten, 20 Euro) verkündet, allerdings ohne das geringste Aufheben davon zu machen, fast wie im Nebenbei und ohne jede stilistische Ambition. Er erzählt einfach in schlichten Worten das Leben eines glücklichen (?) Ehepaars, obwohl es kaum etwas zu erzählen gibt.

Da ist Max, Besitzer einer kleinen Kneipe, der seit 25 Jahren mit Tina verheiratet  ist. Sie haben zusammen drei Kinder, die alle vergnügt und munter sind. Auch die Kunden in der Kneipe oder die engeren Freunde  – alles picobello. Das einzige Problem, das Max zur Zeit hat, besteht darin, daß er einen ausgestopften Stierkopf sucht, den er über seinen Tresen hängen will, und keinen geeigneten findet. Als Tina einmal aus familiären Gründen ohne ihn  verreisen muß und er abends allein im Bett liegt, wird ihm bewußt: „Mein Gott, ich bin ja glücklich, sie kommt ja morgen zurück! Ja, das Leben ist gut.“

Capus’ treue Leser sind, wie üblich, entzückt, wenn auch etwas überrascht. Denn sie kennen ihren Lieblingsautor als einen abenteuerlustigen Typ, der sie von Anfang an mit unerhörten Geschichten zu unterhalten wußte, sowohl aus der Historie („Munziger Pascha“ 1997) als auch aus der Schweizer Gegenwart („Eigermönchundjungfrau“ 1998). Seitdem wartete man begierig auf den jeweils nächsten Titel wie einst auf neue Bände von Karl May.


Im Jahr 2005 erschien dann der sogenannte Tatsachenroman „Reisen im Licht der Sterne“, der sogar bei der deutschen Literaturkritik Furore machte. Es wird darin die Südsee-Odyssee des berühmten britischen Schriftstellers Robert Louis Stevenson erzählt, welcher – so die in der Literaturgeschichte als authentisch verbreitete Version – nach dem epochalen Erfolg seiner „Schatzinsel“ nur noch seine Ruhe suchte und sich schließlich auf der Insel Samoa bis an sein Lebensende vor der Öffentlichkeit versteckte.

In dem Buch von Capus wird das genaue Gegenteil geschildert. Stevenson ist hier keiner, der sich vor dem medialen Trubel versteckt, um seine Ruhe zu finden, sondern er ist seit dem auch finanziellen Erfolg seiner „Schatzinsel“ selber von der Schatzsucherei befallen. Wie wahnsinnig sucht er nach wirklichen Schatzinseln und durchstöbert unter größten Strapazen die Dschungel vieler Südsee-Inseln – bis er am Ende, unheilbar krank und zu Tode erschöpft, auf Samoa stirbt. 

Pankraz ist versucht, eine direkte Verbindung zwischen dem Buch „Reisen im Licht der Sterne“ von 2005 und dem neuen Buch „Das Leben ist gut“ zu knüpfen. Der Schatzsucher Stevenson, so wird dem Leser gezeigt, fällt ins Nichts und vergeht im Unglück, während der Kneipier Max, der sich mit einem ausgestopften Stierkopf über dem Tresen zufriedengibt, Frieden findet und am Ende auf ein glückliches Leben zurückblicken kann. Die Banalität, also das, was sich von selbst versteht, ist der wirkliche Grund des Glücklichseins.

Aber kann das denn wirklich eine, ja die Alternative des Lebens sein: Ausgestopfter Stierkopf überm Tresen – oder geträumter, letztlich ausbleibender Schatzfund im Südsee-Dschungel? Muß man nicht vielmehr sagen: Realer Ochsenkopf und erträumte Dschungelsuche gehören zusammen und ergeben erst zusammen das Gefühl von Glücklichsein, zumindest bei uns Menschen (im Tierreich mag es anders sein). Wobei man sich keinen Illusionen hingeben sollte. Die Banalität, der ungestörte, durch Ausgestopftheiten gepolsterte Alltagstrott, genießt ein emotionales Prä, selbst bei aktivsten Abenteurernaturen.

Dschungelsuche ist nicht ganz ernst gemeinte Urlaubsbeschäftigung. Man will sich dabei vom Alltag „erholen“, will „ein bißchen Abwechslung“, freut sich am meisten aufs gelungene Wiedernachhausekommen. Die derzeit stattfindenden gigantischen Armutswanderströme aus gewissen Weltgegenden widerlegen dieses Urteil nicht, bestätigen es eher. Wem der erlebte Alltag nur noch körperliche Qualen bereitet, dem ist er bald kein wirkliches Zuhause mehr. Er sollte jedoch zunächst einmal gründlich um dieses sein eigenes Zuhause kämpfen, statt anderen Völkern ihr Zuhause durcheinanderzubringen oder es gar zu zerstören.


Um aber auf Axel Capus und seinen Roman „Das Leben ist gut“ zurückzukommen: Bestimmt wird auch sein Kneipenwirt Max, obwohl der Leser nichts darüber erfährt, gelegentlich zum Buch greifen oder sich einen Fernseh-„Tatort“ ansehen, um zu erfahren, daß das Leben nicht nur aus seiner Tina und dem Stierkopf überm Tresen besteht. Vielmehr sind dort unzählige Schatzsucher unterwegs, auch wenn sich längst herumgesprochen hat, daß das ein höchst ungemütliches, ja oft todbringendes Unternehmen ist.

Literatur und Kunst sind ihrerseits durch die Bank riskante Dschungelunternehmen, wenn auch „nur“ fiktive; ihre Fiktionalität ermöglicht uns, zu Hause zu bleiben und trotzdem an dem Schatzsuchen und seinen Gefahren teilzunehmen. Literatur und Kunst erfüllen, so betrachtet, gewissermaßen eine sozio-biologische Funktion für den Menschen: sie liefern ihm Material und Gerätschaft für die Erfüllung seiner ihm angeborenen Sehnsucht nach Selbstüberschreitung und Transzendenz und schützen sein begrenztes, auf Routine und Banalität angewiesenes Leben vor allzu offensichtlichen Risiken und Abgründen.

Es ist fast so wie in dem neuesten Roman des berühmten britischen Autors Jan McEwan, den Pankraz noch nicht gelesen hat, über dessen Pointe jedoch schon vor Erscheinen viel geredet wurde. „Nutshell“ heißt das Buch, und es soll darin über einen Fötus gehen, der bereits aus dem Mutterleib heraus das Treiben draußen in der Welt registriert und sich darüber seine vorgeburtlichen Gedanken macht. Einige an sich wohlwollende Leser des neuen Capus jedenfalls haben ihre Stimme erhoben und den Autor gebeten, sich nicht allzu weit ins Vorgeburtliche zurückzuziehen.