© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/16 / 16. September 2016

Die Blockade der Egomanen
Spanien: Scheinbar unüberbrückbare Differenzen gefährden die jüngst erzielten wirtschaftlichen Erfolge
Michael Ludwig

Die Spanier verstehen ihre politische Klasse nicht mehr – die großen Parteien können sich auf keinen Regierungschef einigen; seit acht Monaten ist die Regierung unter dem konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy nur provisorisch im Amt, und nun droht zu allem Überfluß die dritte Parlamentswahl innerhalb von einem Jahr. Rajoy war auch bei seinem zweiten Anlauf, erneut zum Ministerpräsidenten gewählt zu werden, gescheitert. Nahezu einhellig sprechen die Medien des Landes von einer „Farce“ und werfen den Politikern vor, statt des Gemeinwohls nur ihre machtversessenen Egos polieren zu wollen.

Brüssel droht bereits mit finanziellen Konsequenzen  

170 Ja-Stimmen zu 180 Nein-Stimmen mit diesem Ergebnis wurde der Chef der Volkspartei (PP) zweimal abgestraft, und nun ist in der spanischen Innenpolitik guter Rat teuer. Zwar zeigten sich die bürgerlich-liberalen Ciudadanos nach langwierigen Gesprächen  dazu bereit, Rajoy bei seiner Wiederwahl als Ministerpräsident zu unterstützen. Doch fehlten sechs weitere Stimmen. Die PP hoffte bis zuletzt, diese Stimmen aus dem bürgerlichen Lager der Unabhängigkeitsbefürworter Kataloniens und des Baskenlandes für sich zu gewinnen – vergebens. 

Auch die andere Seite des politischen Spektrums blieb mit ihren Bemühungen, einen Wechsel herbeizuführen, erfolglos. Die sozialistische Partei (PSOE) unter ihrem Generalsekretär Pedro Sánchez kann in der Cortes auf 85 Mandate zählen, addiert man die 71 der radikalen Linksbewegung Unidos Podemos hinzu, kommt man auf 156 – zuwenig, um das politische Ruder in Madrid zu übernehmen. Hinzu kommt, daß ein derartiges Regierungsbündnis innerhalb der PSOE umstritten ist. Vor allem die einflußreichen „Barone“, wie die Spitzenfunktionäre der Partei in den Provinzen genannt werden, hegen Vorbehalte gegen Unidos Podemos und die Mandatsträger der kleineren linksradikalen Parteien aus Katalonien und dem Baskenland, die man zur absoluten Mehrheit bräuchte.

Zwar verweist Rajoy auf die Erfolge seiner Wirtschaftspolitik – die spanische Wirtschaft wuchs 2015 um 3,2 Prozent und steht damit an der Spitze innerhalb der EU. Auch die Zahl der Arbeitslosen sank von 25 Prozent auf rund 21 – doch davon will Sozialist Sánchez nichts hören. Er kritisiert lieber die Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand, die vor allem die ärmeren Schichten der Bevölkerung träfe, und geißelt die Korruption in den Reihen der PP. Er will nun versuchen, alle Kräfte des „Wandels“ unter seiner Führung zu vereinen. Mit den Kräften des „Wandels“ sind Unidos Podemos und die Ciudadanos gemeint. 

Doch die politischen Fronten sind derart verhärtet, daß die Lösung der Frage, wer mit wem eine Koalition eingeht, kaum möglich ist. Zusätzlich erschwert wurde sie durch die Forderung des Vorsitzenden der Ciudadanos, Albert Rivera, an die PP, nur noch einen Kandidaten ins Rennen zu schicken, der auch Aussicht habe, vom Parlament gewählt zu werden. Rajoy werde „morgen, übermorgen und sehr lange Zeit“ ihr Vorsitzender sein, erklärte Rajoys parlamentarischer Sprecher Rafael Hernando.

Sollte es innerhalb der nächsten zwei Monate keine Einigung geben, muß König Felipe VI. gemäß Verfassung das Parlament auflösen. Die Konsequenz wäre nach der Parlamentswahl am 20. Dezember 2015 und deren Wiederholung am 26. Juni ein erneuter Wahlgang am 25. Dezember.

Für das Land bedeutet die anhaltende Blockadesituation nichts Gutes. Die geschäftsführende Regierung darf keinen Haushalt verabschieden, und so steht der für 2017 noch immer aus. Den aber will die EU bis spätestens 15. Oktober auf dem Tisch haben, andernfalls, so hört man aus Brüssel, drohen finanzielle Konsequenzen. Auch hat das Madrider Parlament in diesem Jahr kein einziges Gesetz verabschiedet, und in- sowie ausländische Unternehmer halten sich mit Investitionen zurück. Die mögliche Übernahme des spanischen Windturbinenherstellers Gamesa durch Siemens könnte in diesen Strudel politischer Unabwägbarkeiten geraten.