© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/16 / 16. September 2016

Dagegen ist kein Kreuth gewachsen
Zoff in der Union: Argwöhnisch blickt die CSU auf die größere Schwesterpartei, die ihrer nächsten Verzwergung entgegengeht
Paul Rosen

Ein Kanzler verliert den Rückhalt, wenn die eigenen Leute nicht mehr daran glauben, dass der Regierungschef ihre Mandate sichern kann. Genau das erlebt Angela Merkel zur Zeit. Der Name Merkel, viele Jahre Zugpferd für die CDU, ist als Marke weitgehend entwertet worden. Bei vielen Abgeordneten, Mitarbeitern sowie Fraktions- und Parteiangestellten, geht die Sorge um, im nächsten Jahr vom Wähler in die Wüste geschickt zu werden und ihre Existenz zu verlieren. Im Kanzleramt herrscht aber trotz des schlechten Ergebnisses der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern und der niedersächsischen Kommunalwahlen Zweckoptimismus: „Wir werden daran arbeiten, daß die Ergebnisse wieder besser werden“, verspricht die Chefin. Aber immer weniger glauben daran, die CSU schon gar nicht mehr.  Es wird einsam um Angela Merkel. 

Wie Späher im Feindesland wirkten beim Oktoberfest in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin in der vergangenen Woche Unionsfraktionsvorsitzer Volker Kauder und Kanzleramtschef Peter Altmaier. Hier hält sonst Ministerpräsident Horst Seehofer Hof. Und angesichts der in Berlin kursierenden Putschgerüchte hatten die auffällig zahlreichen CDU-Vertreter wohl die Hoffnung gehabt, irgend etwas von den Absichten der Bayern zu erfahren, die Merkel und der CDU-Führung so unbarmherzig mit ihrem Ruf nach Obergrenzen in der Flüchtlingspolitik im Nacken sitzen. Doch Seehofer hatte die Reise nach Berlin abgesagt; auch sein Finanzminister Markus Söder, der in den letzten Monaten eine interessante Wandlung vom Rivalen zum Kronprinzen des Ministerpräsidenten durchmachte, war nicht zu sehen. Statt dessen spielten Wirtschaftsministerin Ilse Aigner und Europaministerin Beate Merk die Hauptrollen beim Faßanstich: Bei beiden ist davon auszugehen, daß sie von Putschplänen ziemlich zum Schluß erfahren würden. 

In München blieben die CSU-Herrscher unerbittlich. Generalsekretär Andreas Scheuer, der Format gewinnt und zu den Generalsekretärslegenden der Strauß-Ära wie Gerold Tandler oder Edmund Stoiber aufzuschließen beginnt, präsentierte ein Papier für die Vorstandsklausur, das es in sich hat. „Deutschland muß Deutschland bleiben“, heißt es darin – und: „Wir sind dagegen, daß sich unser weltoffenes Land durch Zuwanderung oder Flüchtlingsströme verändert.“ Seehofer erläutert zur Flüchtlingspolitik: „Ohne Begrenzung werden wir es nicht schaffen – das ist meine tiefe Überzeugung.“ Das sei auch der Wille der Bevölkerung. 

Überzeugt haben die CSU-Granden zwar eine ganze Reihe von CDU-Abgeordneten, die die Dinge aufgrund der Erlebnisse in ihren Wahlkreisen genauso sehen, die Kanzlerin bleibt jedoch stur. „Die Wirklichkeit ist derzeit Merkels gefährlichster Gegner“, ist im Handelsblatt zu lesen. Umgeben von Claqueuren wie Altmaier und dem nordrhein-westfälischen CDU-Chef Armin Laschet wirkt Merkel so realitätsvergessen wie Helmut Kohl in seiner Schlußphase.   

Die Bayern sind besser aufgestellt als die große Schwesterpartei, die in Berlin bei der Abgeordnetenhauswahl am 18. September ihrer nächsten Verzwergung entgegensieht. Seehofer wirkt ungewöhnlich aktiv und motiviert. Söder wäre sofort in der Lage, das Ministerpräsidentenamt zu übernehmen, falls sich der Amtsinhaber zu Höherem berufen sieht. Scheuer entwickelt sich zur Allzweckwaffe, und mit Verkehrsminister Alexander Dobrindt steht ein Poltiker mit einer Argumentationskraft wie seinerzeit Fritz Zimmermann für den Landesgruppenvorsitz in Berlin zur Verfügung. Dobrindt soll auf die merkel-affine Gerda Hasselfeldt folgen.Die Zeiten einer Ausdehnung zur vierten Partei, die Franz Josef Strauß vor vier Jahrzehnten im Auge hatte, sind jedoch endgültig vorbei, mag auch der Ruf nach einem zweiten Kreuth manchmal noch verzagt erklingen. Jede Form der Ausweitung würde den bayerischen Charakter der CSU verwässern. Sie wäre in den Augen vieler Wähler dann nichts weiter als eine Kopie der AfD. Die würden lieber das Original wählen. 

Seehofer und seine Mannschaft haben das Problem erkannt: Wer bei der Bundestagswahl CSU wählt, der wählt in Wirklichkeit Merkel und die „Welcome“-Politik – mag das weiß-blaue Wahlprogramm auch noch so kräftig daherkommen, daß selbst Strauß mit seinem „Verein für deutliche Aussprache“ seine helle Freude daran gehabt hätte. Das gefährdet die Chancen für die Bundestagswahl, und es ist ein schlechtes Omen für die ein Jahr später folgende Landtagswahl. Man wird sich eines Tages um den Tag streiten, an dem Merkel ihren Zenit erreicht hatte und der Sinkflug einsetzte. 

Tatsache ist: Der Sinkflug ist längst im Gange und droht nach der Berlin-Wahl zum Absturz zu werden. Die Rede von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zum Haushalt im Bundestag war eine Bewerbungsrede für die Kanzlerkandidatur. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) erklärte, die Kanzlerkandidatur nicht anstreben zu wollen, weil sie wichtige Rüstungsprojekte habe. Die Begründung ist lächerlich; am liebsten würde die vom Ehrgeiz zerfressene Politikerin morgen ins Kanzleramt wechseln.

Von Seehofer heißt es, er wolle Minister in Berlin werden. Damit würde er der Richtlinienkompetenz von Merkel unterstehen. Wer die beiden kennt, schließt dies aus. Seehofer will nicht Minister werden, er strebt nach ganz oben.