© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/16 / 16. September 2016

Fluch der Politik
Wahl II: Der Erfolg der Piraten war 2011 die Sensation, fünf Jahre später werden sie in der Bedeutungslosigkeit versinken / Die Partei hat sich selbst zerlegt
Henning Hoffgaard

Szenen aus einer längst vergangenen Zeit: Jubelnde Anhänger der Piratenpartei stehen im Berliner Club „Ritter Butzke“. Sie können ihren Erfolg kaum fassen. „Das ist der Hammer!“, sagt ein Mitglied stellvertretend für die gesamte Partei. Es ist der Abend des 18. September 2011. Erstmals zieht die damals noch junge Partei in ein Landesparlament ein. Satte 8,9 Prozent waren es bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus. Spitzenkandidat Andreas Baum zeigte sich sicher: „Wir werden aber von uns hören lassen.“

 Noch dreimal können die Piraten nach 2011 eine Siegeshymne anstimmen. In Nordrhein-Westfalen (7,8 Prozent), dem Saarland (7,4 Prozent) und Schleswig-Holstein (8,2 Prozent) gelingt 2012 ebenfalls der Einzug ins Parlament. Und dann ist Schluß. 2013 liegen die durchschnittlichen Wahlergebnisse bei zwei Prozent. 2015 sind es etwa noch 1,5 Prozent, und in diesem Jahr stand stets die Null vor dem Komma. In Sachsen-Anhalt allerdings trat die Partei gar nicht mehr zur Wahl an.

 Szenen aus der Gegenwart: Nachdenklich steht Stefan Körner vor rund 300 Mitgliedern im niedersächsischen Wolfenbüttel. Die aufwendigen Parteitage inklusive Bällebad und Tausenden Teilnehmern sind längst Vergangenheit. In der mit dem Wort „trist“ noch freundlich umschriebenen Lindenhalle rechnet Körner Ende August ab. „Wir haben es trotz aller Energie, die wir in diese Partei gesteckt haben, nicht geschafft, die Menschen von unseren Werten und Ideen zu überzeugen“, sagt er und wird wenige Stunden später als Parteichef abgewählt. Neuer Mann an der Spitze ist nun Patrick Schiffer. Der weitgehend unbekannte Politiker ist Cousin des Models Claudia Schiffer – doch der familiäre Glanz hat nicht abgefärbt. Die Piraten lassen sich in ihrer Entwicklung seit dem als „Zeitenwende“ bezeichneten Sieg in Berlin mit einem politischen One-Hit-Wonder vergleichen. Auf den ersten überraschend erfolgreichen Song folgen einige mittelmäßige Alben und am Ende der skandalgeschwängerte Absturz. Die Piraten sind also mehr Milli Vanilli als AC/DC.

Nichts zeigt diese Entwicklung besser als die Berliner Piratenpartei. Von den 15 Abgeordneten ist ein Großteil längst aus der Partei ausgetreten. Einige der Abtrünnigen unterstützen nun die Linkspartei; die beiden Mitglieder des Abgeordnetenhauses Simon Weiß und Martin Delius traten vergangenen Donnerstag offiziell über. Aufhorchen ließ die Fraktion mit allerlei Absurditäten und einer zunehmenden Vernetzung mit der linksextremen Szene in der Stadt. Von den einstmals weit mehr als tausend Mitgliedern sind 786 geblieben. Zumindest auf dem Papier. Die Beiträge werden gerade noch von 394 Mitgliedern gezahlt. Bundesweit gingen die Zahlen von knapp 30.000 Mitgliedern auf etwa 17.000 zurück – von denen 6.400 ihre Beiträge überweisen.

Jubeln kann die Partei nur noch, wenn sie den Blick ins Ausland richtet. Dann tragen die Pressemitteilungen Überschriften wie „Vorzeitige Wahlen in Island: Piratenpartei könnte erstmals Regierung bilden“, „30 Prozent plus X: Zum Höhenflug der isländischen Piratenpartei“ oder „Island: Piratenpartei will Neuwahlen und neue Verfassung“. Damit drang die Partei allerdings genausowenig zu den Wählern durch wie mit allen anderen Themen (Hanffreigabe, Netzausbau, Vorratsdatenspeicherung).

 Immerhin gelingt es den Piraten in Berlin noch, in manchen Umfragen der Gruppe der „Sonstigen“ Parteien zu entkommen. Mal ist es ein Prozent, mal sind es noch drei. Die Fünfprozenthürde riß der Berliner Landesverband zuletzt vor mehr als zwölf Monaten. Die Chancen stehen also schlecht. Neu-Parteichef Schiffer appellierte nun an die Wähler: „Wir sind thematisch breiter aufgestellt und klarer positioniert. 2012 haben noch 30 Prozent der Menschen in Deutschland gesagt, sie könnten sich vorstellen, uns zu wählen. Daran sollen sie sich erinnern!“

Am 18. September wird sich zeigen, wie es um das Langzeitgedächtnis der Wähler steht. Vielleicht halten es die Bürger mit den Piraten ja doch wie mit Milli Vanilli. Zwar würde heute niemand mehr deren CDs kaufen, aber im Radio hört man sie manchmal noch gerne.