© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

Welt im Aufbruch
Itergalaktische Flaggschiffe des Zeitgeistes: Vor 50 Jahren starteten diesseits und jenseits des Atlantik zwei TV-Raumfähren ins Universum
Martina Meckelein

Vor einem halben Jahrhundert starteten im Abstand von nur neun Erdentagen zwei Raumschiffe in den Fernsehhimmel: die „Orion VII“ und die „Enterprise“. Das eine aus der neuen Welt, um fremde Welten zu erforschen. Das andere aus dem „alten Europa“, um sie zu bewahren. So verschieden ihre Motive, die Raumschiffe wurden zu Legenden.

Keine Nationalstaaten, nur noch die Menschheit!

Samstag, 17. September 1966, 20.15 Uhr, ARD. Halb Westdeutschland saß vor Schwarzweißfernsehgeräten und fieberte den „phantastischen Abenteuern des Raumschiffes Orion“ entgegen, die Commander Cliff Allister McLane zu bestehen hatte. Unter den sphärischen Klängen einer Mischung aus Beat-, Jazz-, klassischer und 12-Ton-Musik tauchte aus den Untiefen eines Wasserstrudels die schnellste fliegende Untertasse des Universums auf: die „Orion VII“, ein „winziger Teil eines gigantischen Sicherheitssystems, das die Erde vor Bedrohungen aus dem All schützt“, wie der Vorspann bedeutungsschwer erklärte. Der strafversetzte Kommandant der „Orion“ ist sich sicher: Außerirdische wollen die Erde erobern! Politik, Verwaltung und auch das Militär halten ihn für übergeschnappt. Die Serie – es gab nur sieben Teile – erzählt, wie die Besatzung mit Mut, Kaltblütigkeit, Humor und Kameradschaft die Erde und die Menschheit immer wieder retten kann.

Bedrohungen aus dem All? Das war gar nicht einmal abwegig. Schließlich herrschte auf Erden wirklich Krieg, ein kalter zwar, aber doch standen sich waffenstrotzend zwei Militärblöcke gegenüber. „Hier ist ein Märchen von übermorgen: Es gibt keine Nationalstaaten mehr. Es gibt nur noch die Menschheit und ihre Kolonien im Weltraum.“ So wollten es die deutschen Drehbuchautoren, so führt das Intro in die Geschichte ein, mit ernst-dramatischem Unterton gesprochen von Claus Biederstaedt, der deutschen Stimme von „Inspector Columbo“. Und so sind dann auf beiden Schiffen die Brückenoffiziere durchaus Russen. Auf der „Orion“ wie auch auf der „Enterprise“. Selbstverständlich den Vorgesetzten mit angelsächsisch klingenden Namen untergeordnet, aber immerhin. Mehr noch, in der Zukunft sagen Frauen, wo es langgeht. Und nicht nur als Leutnant, sondern auch als General. Und alle, wenn nötig, mit der Waffe in der Hand. Das Bügeleisen dient nur noch als Hauptschalter im Maschinenraum. Okay, „Raumpatrouille Orion“ spielte auch in einer sehr weit entfernten Zukunft. 1966 konnten die Herren Fernsehzuschauer sich noch gepflegt zurücklehnen und ihrer Liebsten beruhigt und sorgenlos beim Arbeiten in der Küche zusehen. Die bedrohliche Emanzipation schien wirklich nur wie Science-fiction. Wenn die geahnt hätten, daß ein paar Jahre später Alice Schwarzer ihnen erklärt, wie und wo der Hase zu laufen hat – ob sie dann genauso entspannt vor dem Fernseher gesessen hätten?

Keine Nationalstaaten, Frauen in Uniform, Planeten außer Kurs und Außerirdische, die die Erde zerstören wollen: Da war es doch beruhigend, einige Konstanten im Drehbuch zu erhalten; zivilisatorische Errungenschaften, die sich auch nicht in tausend Jahren dem Zeitgeist opfern lassen. Whiskey wird kistenweise an Bord der „Orion“ geschmuggelt. Und geschwoft wird nach Dienstschluß im Starlight-Casino. Was allerdings sehr jetztzeitig wirkt: bei „Raumpatrouille“ flammt nie eine Zigarette auf!

Bei den Amerikanern      ging es noch züchtig zu

Genausowenig wie auf der „Enterprise“. Am 8. September 1966 konnten sich die nordamerikanischen Fernsehzuschauer mit Kapitän James T. Kirk bekanntmachen, der in fremde Galaxien aufbrach, die noch nie zuvor ein Mensch betreten hatte. Gedüst wurde mit Warp-Geschwindigkeit in die unendlichen Weiten des Universums. Die spätere deutsche Synchronisation machte daraus den SOL-Antrieb – Speed over Light. Überlichtgeschwindigkeit. Die sozialen Medien beherrschen das heute mühelos.

Doch Absacker nach Dienstschluß – auf der „Enterprise“ total verpönt. Emanzipation der Frau – kein Thema. Die Amis hatten doch glatt die erste Offizierin aus der Pilotfolge herausgestrichen. Frauen, die befehlen? No way! Frauen, die unter kurzen Uniformröckchen ihre langen Beine geschmeidig übereinanderschlagen – immer! Aber immer züchtig. Dabei sollen wir Zuschauer den ersten Kuß zwischen einer Farbigen und einem Weißen, dem wir via Mattscheibe zusehen durften, dieser Serie zu verdanken haben. Wobei, als Sensation mögen das nur Amerikaner empfunden haben.

Zwei Fernsehvisionen der Zukunft, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die noch schwarz-weiße deutsche „Orion“ rettet die Erde mit einer fünfköpfigen Stammbesatzung und einem Sicherheitsoffizier. Auf der in Farbe gedrehten US-„Enterprise“ besteht die Mannschaft aus 430 Leuten. Minimalismus auf dem einen, Gigantismus auf dem anderen Raumschiff korrespondierte mit der Politik der Herkunftsstaaten. Faszinierend und auch liebenswert sind sie beide.