© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

Entwicklungshelfer mit dem Sturmgewehr
Die Bundeswehr in Afghanistan – Teil 1: Der Auftakt in Kabul – Ein Friedenseinsatz?
Gregor Maurer

Am 8. Januar 2002 schickte, nach Zustimmung des Bundestags am 22. Dezember 2001 auf Basis der UN-Resolution 1386, die Bundeswehr ihr erstes Vorauskommando nach Afghanistan. Deutschland hatte sich bereit erklärt, intensiv am Wiederaufbau Afghanistans mitzuwirken – gemeinsam mit 35 anderen Nationen im Rahmen der am 20. Dezember vom UN-Sicherheitsrat ins Leben gerufenen Nato-Operation „International Security Assistance Force“ (Isaf). 

Ausschlaggebend für die deutsche Beteiligung war in erster Linie das Bekenntnis zur „uneingeschränkten Solidarität“ mit den USA durch Bundeskanzler Gerhard Schröder nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Das Isaf-Mandat war laut Beschluß des Sicherheitsrats ein „robustes Mandat“. Für die beteiligten Soldaten bedeutete dies eine Rechtsgrundlage zum Einsatz von Waffen zur Selbstverteidigung, zur Verteidigung der Einsatzmission und zum Schutz von Zivilisten, das heißt, die Soldaten durften sich selbst verteidigen, sich aber nicht an Kampfhandlungen beteiligen. 

Die Isaf war somit keine friedenssichernde Uno-Blauhelm-Truppe, sondern eine vom Sicherheitsrat mandatierte Schutztruppe, deren regelmäßig verlängerter Einsatzdauer sich der Deutsche Bundestag jeweils anschloß  und damit mandatierte. Als Begründung wurde insbesondere die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und islamistischen Extremismus (Peter Struck: „Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“) angeführt. Das deutsche Engagement sollte so auch zur Reduzierung von Stabilitätsrisiken dienen und einen Beitrag für die Sicherheit dieser Region leisten. Hinzu kamen die bündnispolitische Einbindung Deutschlands und humanitäre Aspekte, wie möglicherweise in ferner Zukunft die Etablierung von Demokratie und Menschenrechten. 

Die deutsche Öffentlichkeit, sofern sie sich überhaupt für diesen Einsatz interessierte, nahm ihn, so wie er von offizieller Seite dargestellt wurde, als einen bewaffneten Entwicklungshilfeeinsatz wahr. Bundeswehrsoldaten fuhren in ungepanzerten, offenen Geländewagen vom Typ „Wolf“ durch Kabul, verteilten Süßigkeiten und Teddybären an Kinder, bohrten manch einen Brunnen und halfen beim Wiederaufbau von Schulen. 

Aber auch militärisch übernahm Deutschland innerhalb dieses Einsatzes sukzessiv mehr Verantwortung: Am 19. März 2002 unterstand beispielsweise die taktische Führung der multinationalen Brigade in Kabul deutschem Kommando, am 10. Februar 2003 erfolgte gemeinsam mit den Niederländern die Übernahme der Lead-Nation-Verantwortung, also die Führung des Isaf-Einsatzes. Gleichzeitig wurde das deutsche Kontingent auf 2.500 Mann verstärkt. Sogenannte „Provincial Reconstruction Teams“ (PRT), bestehend aus 50 bis 300 militärischen und zivilen Experten, sollten darüber hinaus dem Wiederaufbau Afghanistans dienen. Von deutscher Seite aus wurde als Pilot-Projekt das PRT in Kunduz begonnen und durch Zivilkräfte – unter anderem für Brunnenbau – ergänzt. 

Vier Ministerien waren an der Mission beteiligt

Somit sollten hier Vertreter von vier Ressorts der Bundesregierung in zivil-militärischer Zusammenarbeit agieren: Neben der Bundeswehr, die ein sicheres und stabiles Umfeld garantieren sollte, war das Auswärtige Amt für die politische Unterstützung und humanitäre Hilfe verantwortlich, das Entwicklungshilfeministerium sollte sich um Fragen des Wiederaufbaus kümmern und das Innenministerium für die Ausbildung und den Aufbau der afghanischen Polizeikräfte. Die ersten deutschen Soldaten trafen am 25. Oktober 2003 in Kunduz ein, lag doch „ein stabiles Afghanistan im genuinen deutschen Interesse“, so noch die 2009 im Bundeskabinett formulierte Grundüberzeugung, auf der der deutsche Einsatz letztlich basierte. 

Der Schutz der Zivilbevölkerung und eine zunehmende afghanische Eigenverantwortung galten als die zentralen Prinzipien. Ein mehr als schwieriges Unterfangen, waren doch nach dem Ende der Taliban-herrschaft im Herbst 2001 die jahrhundertealten gesellschaftlichen Strukturen auf den Dörfern ebenso zerstört wie alle Ansätze einer modernen Infrastruktur. Zudem hatte sich die Sicherheitslage in Afghanistan seit 2003 dramatisch verschärft, was dann auch die ersten Opfer innerhalb des deutschen Kontingentes zur Folge hatte: Am 29. Mai 2003 fuhr während einer Erkundungsfahrt ein Fahrzeug auf eine Mine, wobei ein deutscher Soldat fiel, und am 7. Juni 2003 wurde ein deutscher Konvoi von einem Selbstmordkommando der Taliban angegriffen. Vier Soldaten, die mit einem ungepanzerten (!) Bus Richtung Kabuler Flughafen auf dem Nachhauseweg waren, starben durch eine in einem Taxi gezündete Bombe, 29 weitere wurden zum Teil schwer verletzt.

Die Illusion eines bewaffneten, aber ansonsten doch friedlichen Stabilisierungs- und Entwicklungshilfeeinsatzes der Bundewehr war schlagartig beendet. Der Wandel vom ursprünglichen Ziel einer Friedenssicherung hin zur Bekämpfung der Taliban, verbunden mit Gefechtshandlungen, war für die breite Öffentlichkeit zunächst kaum erkennbar und später dann auch nur schwer vermittelbar. Die Frage „Was wollen bzw. sollen wir in Afghanistan?“ sollte immer lauter werden. Geichzeitig sank mit dem zunehmend militärischen Charakter des Einsatzes insgesamt die Zustimmung des deutschen Volkes.