© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Zu den Mißlichkeiten der Dienstleistungsgesellschaft im Zeitalter der Virtualisierung gehört auch, daß sich kein Adressat für den Dank mehr findet. Auf Anfragen, Beschwerden oder Klagedrohungen wird im Regelfall prompt reagiert, die freundlichen Worte des Kunden, dem geholfen wurde, bleiben ohne Echo.

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„In dieser Geschichte sind wir die Indianer.“ (Viktor Orbán, Premierminister Ungarns)

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Neben der Karlsruher „Türkenbeute“ zählt die Dresdener „Türckische Cammer“ sicher zu den bedeutendsten Hinterlassenschaften jener Turkomanie, der wir neben Mokka und Hörnchen auch die Janitscharenmusik, deren Einfluß auf das militärische wie das kriegerische Komponieren, und die Pferdeschwänze am Schellenbaum verdanken. Im 17. und 18. Jahrhundert ließ man zudem große Feste unter Zelten stattfinden, deren Bahnen eigens aus Konstantinopel geholt worden waren, stolzierte mit Turban, in Pluderhosen und prächtig bestickten Pantoffeln am Ufer der Elbe herum, lag auf kostbaren orientalischen Kissen, während man die Wasserpfeife schmauchte und von „Kammertürken“ bedient wurde, ergötzte sich an Trampeltieren und dem Aufmarsch der eigenen Soldaten in osmanischer Tracht. Irritierend ist diese Adaption des Feindlichen vor allem, wenn man bedenkt, daß sie in der Zeit des großen Konflikts zwischen Abendland und Osmanischem Reich stattfand. Mit dem Wunsch nach Verkleidung oder Exotismus ist das nicht ausreichend erklärt. Wahrscheinlich ging es immer auch um das Bedürfnis, sich anzueignen, was den Gegner stark machte. Ein Konzept, dem Kulturen mit einer gewissen Regelmäßigkeit folgen. Erwähnt sei nur die „Partherisierung“ der römischen Kavallerie im 3. Jahrhundert oder die Adaption arabischer oder asiatischer Elemente für die Uniformen der europäischen Kolonialarmeen des 19. Jahrhunderts.

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Westminster Abbey, London: „1898–1955. Zur Erinnerung an das Werk von Männern und Frauen unserer Rasse, die dem Volk des Sudan dienten, wurde diese Tafel errichtet. 1960“ 

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Was an den erhaltenen osmanischen Feldzeichen der frühen Neuzeit auffällt, ist deren archaischer Charakter. Die Mondsichel, die noch in der türkischen Nationalflagge als Hauptsymbol vorkommt, wurde oft mehrfach und in Mustern angeordnet dargestellt, das, was sich heute als Stern präsentiert, war eindeutig eine vielstrahlige Sonne; das spricht für die Herleitung aus den uralten Kulten des Ostens, in denen die Verehrung der Himmelskörper eine zentrale Rolle spielte. Noch früher liegt der Ursprung der abwehrenden, geöffneten Hand. Deren Bezeichnung als „Hand Fatimas“ hat genauso mit Anverwandlung zu tun wie die Wiedergabe des gespaltenen – magischen – Schwertes Dhu l-faqar als „Schwert Alis“. Daß die ihrem Wesen nach heidnische Bildsprache durch die Koranverse auf den Fahnen eingerahmt und gebannt wurde, hat deren eigentlichen Charakter nie ganz verbergen können.

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Splitter zur Biographie Hans-Ulrich Rudels: „Und es wäre für weitblickende und undogmatische Politiker eine wahrhaft lohnende Aufgabe, Männer vom Schlage eines Rudel zu gewinnen, sie von der Lauterkeit ihres politischen Wollens zu überzeugen, ihnen die Möglichkeiten und Grenzen unserer politischen Bemühungen darzulegen und sie zu Mitarbeitern an einer echten Erneuerung unseres staatlichen Lebens zu machen. Wir zweifeln keinen Augenblick daran, daß diese Männer das rechte und wirksame Gegengewicht gegen die Volkspolizeigeneräle von links wie gegen die politischen Hasardeure von rechts bilden könnten, ein Gegengewicht, das nicht in Paragraphen und Bestimmungen eines Gesetzes zum Schutze der Demokratie, sondern in den Herzen der Jugend verankert wäre. Wenn nicht unser nationales Leiden, die politische Spätzündung, uns auch um diese Chance bringen soll, dürfte es Zeit sein, einmal über solche Möglichkeiten nachzudenken, ehe die Zwangsläufigkeit des Emigrantenschicksals diese Männer allzuweit von der deutschen Wirklichkeit entfernt.“ (aus dem Stern vom 23. April 1950)

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Wenn greyness der Modetrend des kommenden Herbstes wird und es nicht einfach nur um das „freundliche Schwarz“ beim seriösen Herrenanzug geht oder die letzte Hoffnung auf der Fähigkeit des menschlichen Auges beruht, fünfhundert Grautöne zu unterscheiden, dann bleibt uns wohl nur Loriots Blöhmann, der um die Nuancen weiß, zwischen Schiefergrau, Steingrau, Mausgrau.

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„Wie viele Völker mögen aus einem Häuptlingsgefolge entstanden sein oder aus einer Schar von Flüchtlingen.“ (Oswald Spengler)

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Falls man einen optischen Eindruck von der zukünftigen Bevölkerungsstruktur des alten Kontinents gewinnen möchte: der Blick in den Katalog eines großen schwedischen Möbelhauses genügt.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 23. September in der JF-Ausgabe 39/16.