© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

Ritter ohne Schwert
Finanzkontrolle: Die Landesrechnungshöfe versagen bei der Kontrolle von Großprojekten / Flughafendesaster Hahn und BER keine Einzelfälle
Klaus-Richard Grün

Daß die zum Flughafen Frankfurt-Hahn (HHN) umgetaufte Hahn Air Base keinen seriösen Privatinvestor findet, war absehbar: eine sanierungsbedürftige Hinterlassenschaft der abgezogenen US-Luftwaffe, 125 Kilometer von Frankfurt am Main im Hunsrück gelegen, nur durch zwei enge Bundesstraßen angebunden. Ohne Gebühren unterhalb der Rentabilität wäre Hahn weder der sechstgrößte deutsche Luftfrachtflughafen, noch wären dort voriges Jahr 2,7 Millionen Passagiere gestartet und gelandet. Die Fraport AG hat ihre Anteile wohlweislich schon 2009 für einen Euro an das SPD-geführte Rheinland-Pfalz abgestoßen.

Der Hauptstadtflughafen BER hätte solche Probleme nicht und dazu ein Potential von 30 bis 40 Millionen Fluggästen – aber das unvollendete Milliardenprojekt ist schon viel zu klein geplant und harrt seit 2007 seiner Eröffnung. Nun soll es vielleicht 2018 soweit sein. Bis dahin kostet allein die Instandhaltung des künftig drittgrößten deutschen Flughafens den Steuerzahler 15 bis 20 Millionen Euro monatlich. Die Regierenden in Mainz (JF 28/16), Potsdam und Berlin (JF 29/16) sehen sich unschuldig und verweisen auf die beteiligten Privatfirmen. Falsche Beratung und schlampige Bauausführungen seien für die versickerten Steuermilliarden verantwortlich.

Dabei existieren in allen 16 Bundesländern Landesrechnungshöfe (LRH), welche gemäß den Landesverfassungen (LV) die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Länder zu prüfen haben. Die LRH sind selbständige, unabhängige und nur dem Gesetz unterworfene oberste Landesbehörden, die sich weder der Legislative, Exekutive oder Judikative zuordnen lassen, noch stellen sie eine „vierte Gewalt“ dar.

Selbständig, unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen

Die leitenden LRH-Mitglieder müssen „richterliche Unabhängigkeit“ gemäß Artikel 97 GG besitzen. Das bedeutet, daß diese vor Ablauf ihrer Amtszeit nicht entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden dürfen. Die 16 LRH verfügen über etwa 3.400 Beamte, die direkt in das Prüfungsgeschehen eingebunden sind. Doch die meisten LRH-Juristen sind keine ausgebildeten Revisoren – echte Fachkenntnisse zur Finanzkontrolle sind die Ausnahme, nicht die Regel (JF 26/16). Mit gegenwärtig zwei Ausnahmen gehören alle Präsidenten mitregierenden Parteien an. Das erklärt, warum „unliebsame“ Feststellungen unter den Tisch fallen sowie brisante Prüfungen gar nicht erst beginnen. Kritik wird unter Verweis auf die „Unabhängigkeit“ abgeschmettert. Einmal im Jahr fassen die LRH ihre Prüfungsergebnisse für das jeweilige Landesparlament in einem Bericht zusammen – doch der enthält keineswegs alle Steuergeldverschwendungen, es wird passend „ausgewählt“.

Ein Beispiel für die Untertänigkeit ist die Elbphilharmonie, für deren Kontrolle der Hamburger Rechnungshof zuständig wäre. Doch der LRH hat keine Prüfungen mit der Begründung durchgeführt, weil doch die Hamburger Bürgerschaft schon einen Untersuchungsausschuß eingesetzt hätte. Der BER, dessen Finanzierung durch den Bund, von Berlin sowie vom Land Brandenburg erfolgt und über die Flughafen Berlin-Brandenburg GmbH abgewickelt wird, scheint ebenfalls keiner echten Prüfung wert.

 Zuständig sind der Bundesrechnungshof sowie der Berliner und der Brandenburger LRH. Keiner dieser drei hat je eine Rechnung, Vergabe, Abschlagsrechnung oder Schlußrechnung intensiv geprüft, von der Einhaltung kassenrechtlicher Regelungen sowie der wirtschaftlichen Verwendung der Mittel ganz zu schweigen. Die Prüfungsrechte beschränken sich auf die jeweiligen Beteiligungsverwaltungen.

Es geht letztlich um 620 Milliarden Euro jährlich

Grandios versagt hat auch der Sächsische Rechnungshof beim Bau des Paulinum in Leipzig. Der neue Campus sollte ursprünglich für 52,5 Millionen Euro zur 600-Jahr-Feier der Uni 2009 fertig sein. Nach dreistelligen Millionenausgaben soll die Einweihung nun frühestens 2017 erfolgen. Doch selbst wenn die LRH prüfen, sind sie „Ritter ohne Schwert“: Sie besitzen weder Weisungs- noch Sanktionsrechte, denn das ist politisch nicht gewollt. Dabei ist die Finanzhoheit gemäß Artikel 28 Abs. 2 Grundgesetz (GG) ein wesentlicher Teil der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie.

Auf den unteren Ebenen herrscht hingegen fast „Wettbewerb“: Mit wenigen Ausnahmen sind die LRH zudem für die überörtlichen Prüfungen der Kommunen, Landkreise sowie Verwaltungs- und Zweckverbände zuständig. Dies beinhaltet die Prüfung der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften der Haushalts-, Kassen- und Rechnungsführung, einschließlich der Prüfung der Jahresabschlüsse innerhalb von fünf Jahren. Zudem werden örtliche Prüfungen durch die Rechnungsprüfungsämter (RPA) der Gebietskörperschaften durchgeführt. Es gibt etwa 600 RPA mit insgesamt rund 6.000 Prüfern, welche den Oberbürgermeistern, Landräten oder den Parlamenten unterstellt und Bestandteil der Verwaltungen sind.

Die verkrusteten Strukturen der kommunalen Finanzkontrolle werden aber bislang ebenfalls nicht in Frage gestellt. Wie die LRH kommen auch sie meist über die Rolle eines hilflosen Betrachters nicht hinaus – dabei geht es um die ordnungsgemäße Kontrolle unserer Steuergelder: 620,3 Milliarden Euro nahm der Fiskus voriges Jahr ein. Das waren 4,6 Prozent mehr als 2014. Und dabei sind die Gemeindesteuern noch nicht einmal mitgerechnet. Angesichts solcher Zahlen sind die von einer auf bislang sechs Milliarden Euro gestiegenen BER-Kosten offenbar politisch vernachlässigbar.






Klaus-Richard Grün arbeitete bei der Finanzrevision Leipzig und als Rechnungsprüfer in Sachsen. Sein Erfolgsbuch „Finanzrevisor Pfiffig aus der DDR“ (Engelsdorfer Verlag 2012) wurde 2015 als Hörbuch veröffentlicht.