© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

Nach der Wahl ist vor der Wahl
Kroatien: Die tiefe Spaltung des Landes wird auch nach dem erneuten Wahlgang am Sonntag kaum zu kitten sein
Carl-Gustaf Ströhm

Auf ein Neues. Am Sonntag dürfen die Kroaten erneut wählen. Dabei sah es kurz nach dem Wahlgang am 8. November im vergangenen Jahr anders aus. Im Hauptquartier der konservativen Kroatischen Demokratischen Union (HDZ) knallten Sonntag abend die Sektkorken. Doch so richtig in Feierstimmung zeigte sich HDZ-Chef Tomislav Karamarko nicht. Denn der erhoffte Erdrutschsieg blieb aus. Nur die kroatische Diaspora hatte zu 85 Prozent die von der HDZ geführte „Patriotische Koalition“ gewählt. 

Die große Frage lautet: Wie hältst du es mit Tito?

Zwar konnte diese mit 59 Sitzen die regierenden Sozialdemokraten (SDP)  mit ihrer Mitte-links-Koalition „Kroatien wächst“ (56 Sitze) in die Schranken weisen. Doch mit dem Erfolg der „Brücke der unabhängigen Listen“ (Most), einer Koalition aus liberalen Bürgerlisten, hatte kaum jemand gerechnet. Mit ihren 19 von 151 Sitzen in der Nationalversammlung (Sabor) sprach Most-Chef Božo  Petrov ein gewichtiges Wort mit. Nach langen, zähen Verhandlungen einigte sich der 36jährige Ende Januar mit der HDZ auf eine Koalition. Voraussetzung war, daß der ehemalige Unternehmer und Exil-Kroate Tihomir Oreškovic den Premierminister stellen sollte. 

Doch der parteilose Oreškovic, der sich zum Ziel setzte, bis 2020 das Wachstum des Landes um drei und die Exporte um 30 Prozent steigen zu lassen sowie die Arbeitslosigkeit auf unter 14 Prozent sowie die Staatsschuld auf unter 80 Prozent zu senken, wurde wegen seiner mangelnden Kroatischkenntnisse belächelt und wie ein Premierminister eines weit entfernten Landes wahrgenommen. Seit seinem ersten Lebensjahr hatte der Finanzexperte, der für verschiedene Pharmafirmen arbeitete, sein Leben in Kanada verbracht.

Karamarko mußte sich mit dem Vize-Posten begnügen, jedoch hatte er einen großen Einfluß auf die Bestellung der Minister, von denen einige dann bei der linken Opposition, aber auch bei manch Abgeordneten in der Koalition umstritten waren. Im Mittelpunkt stand hier der Kulturminister Zlatko Hasanbegovic, der es, einem Bericht des Nachrichtenportals kroatein.de zufolge, nicht nur gewagt hatte, in einer Fernsehsendung Tito zu kritisieren. Unter Hinweis auf die Spaltung der kroatischen Gesellschaft, die auf der einen Seite Anhänger von Tito, auf der anderen Seite die Befürworter der Unabhängigkeit trenne, forderte der Historiker eine ideologische Wende und die Aufarbeitung der kommunistischen Seilschaften in Kroatien. Doch das wollten SDP-Mitglieder nicht hören, die 40 Jahre Tito-Herrschaft in einem kommunistischen Staat „totschwiegen“. Auch Karamarko machte keinen Hehl  daraus, mit den „neokommunistischen“ Kräften abrechnen zu wollen.

Die Koalitionsregierung hatte nicht nur aufgrund der deutlich verschiedenen politischen Ausrichtung ein Ablaufdatum, sondern auch wegen der mangelnden politischen Disziplin der Bürgerbewegung Most und der virulenten Machtkämpfe innerhalb der HDZ. 

Das Faß zum Überlaufen brachte schließlich eine Spendenaffäre rund um Karamarkos Ehefrau, die vom ungarischen Mineralölkonzern MOL 60.000 Euro für eine Beratertätigkeit erhalten hatte. Karamarko selbst hatte den politisch höchst umstrittenen Teilverkauf des stattlichen Mineralölkonzerns INA an MOL befürwortet. 

Gleich nach der Bekanntgabe des Deals forderten Oreškovic, Most und SDP den Rücktritt Karamarkos. Am 15. Juni sprach das kroatische Parlament auf Initiative Karamarkos aber erst einmal Oreškovic mit 125 der 151 Stimmen das Mißtrauen aus. Doch es gelang dem konservativen Politiker nicht, neue Mehrheiten zu bilden. Am 20. Juni stimmte das Sabor für seine Auflösung und für Neuwahlen. 

Kurz vor dem Wahlgang sehen die Meinungsumfragen die Liste der SDP unter Zoran Milanovic knapp vor der HDZ-Liste, die jetzt der ehemalige Europaabgeordnete Andrej Plenkovic führt. Beide wollen die Wirtschaft des Landes ankurbeln und die Mehrwertsteuer senken. Während Milanovic von der kroatischen Rechten weiterhin ein „proserbisches Verhältnis“ vorgeworfen wird, übt sich Plenkovic als krasses Gegenteil von Karamarko. Zwar führt er weiterhin die „patriotische Liste“ an, doch entschärft diese an allen Ecken und Enden. Sein Ziel wäre es eine große Koalition mit der SDP anzustreben, doch stößt dies auf Kritik bei den patriotischen rechten Parteien der HDZ-Liste.