© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

Triumph über Merkel
Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern: Die AfD zieht als zweitstärkste Kraft ins Schweriner Schloß ein / Debakel für die CDU
Christian Schreiber / Christian Vollradt

Am Ende war einer der größten Verlierer der Sieger. Mehr als fünf Prozentpunkte mußte die SPD unter Führung von Ministerpräsident Erwin Sellering bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern abgeben, dennoch kann sich der 66jährige aussuchen, mit wem er regieren möchte, da die SPD mit 30,6 Prozent doch noch stärkste Partei wurde. Ein Debakel erlebte die CDU, die mit 19 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis einfuhr und noch hinter die AfD rutschte. Rechnerisch ist nun sowohl eine Neuauflage der „Großen“ Koalition möglich, als auch ein Bündnis mit der Linkspartei. Die Post-Kommunisten büßten die meisten Stimmen ein und kommen nur noch auf rund 13 Prozent. 

Da die Grünen überraschend mit 4,8 Prozent ebenso an der Fünfprozenthürde scheiterten wie FDP und NPD, hätte auch ein rot-rotes Bündnis eine Mehrheit. „Wer hätte das zu Beginn des Wahlkampfes gedacht, als wir über fünf Monate bei 22 Prozent in den Umfragen lagen“, rief Sellering seinen jubelnden Anhängern zu. Der Wahlkampf sei der schwerste gewesen, den die SPD in Mecklenburg-Vorpommern jemals hätte führen müssen. Die Verluste seien angesichts des klaren Abstands der Regierungspartei SPD zu den anderen Parteien Schönheitsfehler. 

„Politik in unsere          Richtung treiben“ 

Die Alternative für Deutschland, die aus dem Stand auf knapp 21 Prozent der Stimmen – und drei Direktmandate – kam, schnitt aber entgegen vorheriger Wahlen nicht stärker ab als in den Umfragen vorhergesagt. Spitzenkandidat Leif-Erik Holm hält den Erfolg für historisch: „Wir schreiben hier in Mecklenburg-Vorpommern Geschichte.“ Die Wahl habe gezeigt, daß die Menschen die Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht wollen. Dies „könnte der Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Merkel sein.“ Ganz ungetrübt war die Freude bei der AfD allerdings nicht. Zwar äußerten mehrere Spitzenfunktionäre ihre Genugtuung darüber, die CDU vom zweiten Platz verdrängt zu haben, doch insgeheim hatten viele Anhänger mit einem Ergebnis von 25 Prozent gerechnet. Auch die Aussage von Landeschef Holm, seine Partei wolle stärkste Kraft im neuen Landtag werden, stieß nicht überall auf Gegenliebe. 

Ministerpräsident Sellering nahm die Steilvorlage jedenfalls dankbar auf: „Natürlich hat die AfD einen Erfolg eingefahren. Aber sie hat sich auch mehr erwartet, und man sieht, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.“ Die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry sah im Abschneiden ihrer Partei vor allem ein Signal gegen die bisherigen Parteien. Die AfD habe aus allen Parteien Wähler für sich gewinnen können (siehe Grafik). „Das liegt daran, daß sie die Wähler zu lange nicht gehört haben.“ Ihre Partei sieht sie mittlerweile „als im Parteienspektrum verankert“. Petry erhofft sich nun einen Schub für die Berlin-Wahl am übernächsten Wochenende. „Dort führen wir einen Wahlkampf unter sehr schweren Bedingungen, aber wir werden sicherlich ein zweistelliges Ergebnis erzielen können.“

Der stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Alexander Gauland sah im AfD-Ergebnis „große Symbolkraft“ für die Bundestagswahl in einem Jahr. Er bekräftigte, daß seine Partei noch nicht bereit sei, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Ob die Zielvorgabe, stärkste Kraft zu werden, daher kontraproduktiv gewesen sei, ließ er offen: „Ich denke, daß viele Menschen gegen Merkel gestimmt haben und es doch eine gewisse regionale Zufriedenheit mit Erwin Sellering gab.“ 

Für den Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen dagegen steht fest, daß die AfD „langfristig dieses Land mitregieren“ wolle. „Wir drängen nicht an die Macht, wir scharren nicht mit den Füßen, aber das kommt irgendwann von selbst“, gab sich Meuthen zuversichtlich.

Einig waren sich Vertreter aller Parteien darüber, daß der AfD-Erfolg mit der mißlungenen Flüchtlingspolitik der Kanzlerin zu tun habe. Daß die Union in Merkels Heimat ein Debakel erlebte, hat in der CDU für Entsetzen gesorgt: „Das Ergebnis entspricht nicht meinen Erwartungen, aber meinen Befürchtungen“, erklärte der Bundestagsabgeordnete und Merkel-Kritiker Wolfgang Bosbach: „Es gibt nicht wenige, die über lange Zeit Union gewählt haben, sich aber jetzt als politisch heimatlos betrachten.“ CDU-Generalsekretär Peter Tauber bemühte sich dagegen, eine Personaldebatte im Keim zu ersticken. „Merkel wird uns auch weiterhin durch Krisen führen. Es braucht Zeit, bis alle Maßnahmen wirken und verlorenes Vertrauen zurückgewonnen wurde.“ Allerdings verlor nicht nur die CDU Stimmen an die AfD, auch alle anderen Parteien litten unter der thematischen Fokussierung auf die Flüchtlingskrise. 

 „Dagegen war es schwer anzukommen“, sagte Grünen-Chefin Simone Peter. Ihrer Partei sei es nicht gelungen, sich mit lokalen Themen Gehör zu verschaffen. Dies gelang auch der FDP nicht. Das zentrale Wahlkampf-thema „Digitalisierung“ war ein Flop, am Ende rutschten die Liberalen mit nur drei Prozent wieder auf das Niveau einer Splitterpartei. „Mich ärgert, daß die Wut der Menschen über eine zugegeben schlechte Politik bei der AfD landet. Für uns war nicht mehr drin“, sagte der Bundesvorsitzende Christian Lindner. Das gleiche Schicksal ereilte auch die NPD. Trotz des Wahlkampfthemas Einwanderung flog die Partei nach zehn Jahren mit ebenfalls nur drei Prozent aus dem Landtag. Am Ende erreichte die NPD lediglich in ihren Hochburgen in den östlichen Landesteilen Ergebnisse oberhalb der Fünfprozenthürde.  

Keine Rolle bei dieser Wahl spielte die Allianz für Fortschritt und Aufbruch (Alfa) des AfD-Mitgründers Bernd Lucke. Die erzielten 0,3 Prozent dürften weitere Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Projekts nähren.

AfD-Spitzenkandidat Holm bekräftigte unterdessen bei der Pressekonferenz der Partei am Montag, daß seine Schweriner Fraktion „nicht Fundamentalopposition spielen, sondern konstruktiv“ mitarbeiten werde: „Wir wollen die Politik in unsere Richtung treiben.“ Symbolisch reichte Holm den Staffelstab am Montag in Berlin an seinen Parteifreund Armin-Paul Hampel aus Niedersachsen weiter. Im Flächenland zwischen Ems und Elbe, Nordsee und Harz finden am kommenden Sonntag Kommunalwahlen statt. Ziel der Partei sei es, gibt der Landesvorsitzende Hampel zu bedenken, landesweit ein gutes Ergebnis in den Kreistagen zu erzielen. „Wir müssen erste Pflöcke einschlagen“, so Hampel gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Dies gelte mit Blick auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr und vor allem für die Landtagswahl 2018. 

Thematisch setze man auf bundespolitische Themen, deren Auswirkungen die Kommunen betreffen. Dazu gehöre auch die Asylkrise, Hampel nannte aber auch Themen wie den Abgas-Skandal bei VW. Dies sei in Wahrheit ein Wirtschaftskrieg der Amerikaner gegen Europas größten Autohersteller; der AfD-Landesvorsitzende kritisierte in diesem Zusammenhang die Passivität der Kanzlerin sowie des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD). Die Erwartungen dämpft Hampel ein wenig: „Wir müssen auf dem Teppich bleiben.“