© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

Der Wind dreht sich
AfD deklassiert CDU: Die Asylkrise wälzt die politische Landschaft in Deutschland um
Dieter Stein

Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern hat sich der Siegeszug der AfD ungebremst fortgesetzt. Die Degradierung der CDU zur drittstärksten Kraft mit einem der bundesweit historisch schlechtesten Wahlergebnisse ist eine Zäsur. Grüne, FDP und NPD nicht im Landtag. Alle Parteien (außer der ohnehin marginalen FDP) verloren dramatisch.

Das Wahlergebnis ist eine schallende Ohrfeige für die Politik der Bundeskanzlerin. Ein Jahr nach der unkontrollierten Öffnung der deutschen Grenzen und dem „Wir schaffen das“-Mantra von Angela Merkel wurde die Entscheidung der Wähler im Nordosten eindeutig von einer bundespolitischen Frage bestimmt: der Asylpolitik und dem Massenzustrom illegaler Einwanderer nach Deutschland.

Bemerkenswert ist der Anstieg der Wahlbeteiligung um ganze zehn Prozentpunkte von 51 auf 61 Prozent. Es sind nach jahrelang stetig sinkender Beteiligung wieder deutlich mehr Bürger zur Urne gegangen. Der Grund: Offensichtlich hat der Antritt der AfD wesentlich dazu beigetragen, daß Bürger erstmals wieder das Gefühl hatten, über echte politische Alternativen abzustimmen.

Der Erfolg der AfD ist ein Erfolg für die Demokratie. Ob Eurokrise, Asylchaos, nationale Souveränität oder direkte Mitwirkung von Bürgern – endlich kann nicht nur in Hinterzimmern oder sozialen Netzwerken, sondern am für politische Entscheidungen und Willensbildung in einer Republik vorgesehenen Ort, nämlich dem Parlament, wieder mit echtem Für und Wider gestritten werden, hat man es nicht mehr mit einer absurden Allparteienkoalition zu tun.

Um so bemerkenswerter ist das AfD-Ergebnis, als die Partei massive Diskriminierungen und gewaltsame Attacken von Linksextremisten zu erleiden hat. Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus in Berlin in der kommenden Woche wird die erst vor drei Jahren gegründete junge Partei voraussichtlich in das zehnte Landesparlament einziehen. Die etablierten Parteien, aber auch die Journalisten in den Leitmedien des Landes müssen sich damit abfinden, daß Deutschland die überfällige Normalisierung seiner politischen Landschaft erlebt. Die gouvernantenhafte Bevormundung der Bürger durch eine politische Klasse kommt an ihr Ende. Wir erleben eine erfreuliche Repolitisierung der Gesellschaft, die Emanzipation von einer bislang linksliberal beherrschten öffentlichen Meinung. Und das ist gut so!

Ohne die wachsenden Wahlerfolge der AfD gäbe es kein Umdenken in der Asylpolitik. Ohne die erdrutschartige Ablehnung der unkontrollierten illegalen Masseneinwanderung durch die Bürger gäbe es nicht den Vormarsch der AfD. Nicht die AfD hat die Bürger „verunsichert“ und „verführt“, wie manche Kommentatoren meinen. Der Erfolg der AfD ist Ausdruck einer tiefgreifend veränderten Stimmungslage. Die etablierten Parteien regieren in wachsendem Maße an den vitalen Interessen des Volkes vorbei, also suchen sich die Wähler Alternativen – und finden sie. 

Es scheint für Politiker der Altparteien ein unerhörter Skandal zu sein, daß es für sie nicht so etwas wie Erbhöfe gibt. Sie stellen verblüfft fest, daß in einer Demokratie Parteien auch wieder vom Markt verschwinden können. Dann, wenn sie unfähig sind, im Sinne des Souveräns, des Volkes, zu handeln und sich stattdessen neue Parteien etablieren, die erfolgreich an der „politischen Willensbildung mitwirken“, so wie es das Grundgesetz wünscht.

Nun wird allseits der Abgesang auf Angela Merkel angestimmt. „Merkels Reich zerfällt“, orakelt Berthold Kohler in der FAZ, der Kanzlerin hänge die Öffnung der deutschen Grenzen „wie ein Mühlstein um den Hals“, die SPD gehe auf Abstand zur „waidwunden“ CDU-Chefin. Doch ist Merkel wirklich die einsame Entscheiderin gewesen, als sie die Grenzen vor einem Jahr nicht schloß? In einem erstaunlich selbstkritischen Beitrag für die Zeitschrift Cicero räumt Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo jetzt das Versagen seiner Zunft ein, die „anfängliche Euphorie unter Journalisten“ sei heute schwer zu verstehen: „Wir waren aber zumindest in der Anfangszeit geradezu beseelt von der historischen Aufgabe“, selbst die Bild-Zeitung habe „die Parole der Autonomen“ („Refugees welcome“) übernommen. 

Tatsächlich war Merkel bislang eine Virtuosin der Macht, die witterte, wohin sich der Wind dreht: Ob beim abrupten Atomausstieg nach Fukushima oder dem Abschied von der Wehrpflicht – nie hat sie gegen die Stimmung in der öffentlichen Meinung gehandelt, sondern umgesetzt, wofür mit breiter Zustimmung zu rechnen war. So auch bei der Asylkrise im vergangenen Herbst. Nachdem sie noch im Frühsommer vor laufenden Kameras einem Palästinenser-Mädchen nüchtern erklärt hatte, weshalb Deutschland nicht jeden aufnehmen könne und vom Stern auf dem Titel als gefühlskalte „Eiskönigin“ tituliert wurde, schaltete sie um. Kurz darauf sah sie sich frenetisch umjubelt und getragen von einer Woge konzertierter Begeisterung durch Presse und Fernsehen, als sie das Willkommenskultur-Sommermärchen dirigierte.

Nun schlagen sich die Merkel-Fans von damals der Reihe nach in die Büsche. Selbst der Bundesverband der Deutschen Industrie sieht in Flüchtlingen keine Reservearmee für den Arbeitsmarkt mehr. Auch SPD-Chef Gabriel will nun immer gewarnt haben und fordert Obergrenzen. Und das „Refugees welcome“-Logo ist längst aus der Bild-Zeitung verschwunden – den Schwarzen Peter soll Merkel behalten.

Mit Merkel steht die CDU auf Treibsand, und ein Kurswechsel ist nicht in Sicht. Die Asylkrise ist nicht mit einer Gelddruckmaschine zu deckeln wie die Griechenlandkrise. An der libyschen Küste stauen sich wieder Hunderttausende, um nach Europa überzusetzen. Das Thema wird auch die Bundestagswahl bestimmen und die politische Landschaft umwälzen, wenn nicht bald harte Entscheidungen fallen.