© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/16 / 02. September 2016

Der Flaneur
Ein Nachmittag am Baggersee
Paul Leonhard

Auf dem verrosteten Schild steht „Baden verboten“. Stadt und Pächter haben sich so abgesichert, denn natürlich hält sich niemand an das Gebot. Eine Kiesgrube mit klarem Wasser mitten in der Großstadt ist im Sommer einfach zu verführerisch. Zu DDR-Zeiten sind wir in der großzügig ausgelegten Mittagspause mit Kollegen im Trabant vorgefahren und kurz ins kühle Naß gesprungen, jetzt fahre ich mit dem Rad hin. Neugierig, wie es dort wohl aussieht.

Erste Erkenntnis: ein Geheimtip ist der Baggersee nicht. Der Strand ist voller Menschen, die sich in der Sonne aalen. Kinder planschen im flachen Wasser. Ein paar Strandmuscheln sind aufgebaut. Ich fahre am Sandstrand entlang, schiebe dann das Rad einen schmalen Trampelpfad, der zum hinteren Teil des Sees führt.

Zwischen den Gruppen scheint friedliche Koexistenz mit Abschreckung angesagt.

Zwischen zwei Weiden, deren Wurzeln im Wasser enden, steigt süßlicher Geruch auf. Hier hockt am Ufer auf einem ausgebreiteten Tuch eine arabische Familie, zwei Männer in Badehosen und eine züchtig bekleidete Frau mit Kopftuch. Aus einiger Entfernung schallen Parolen herüber, die den Staatsschutz auf den Plan rufen könnten. Eine Gruppe sichtlich angetrunkener junger Männer reagiert damit auf zwei junge Afrikaner, die sich an ihnen vorbeidrücken.

Die beiden Asylbewerber laufen zum FKK-Bereich, wo schon Landsleute hocken, um staunend und tuschelnd die nackten Leiber zu betrachten. Neugierig verfolgen sie das Imponiergehabe von drei russischsprachigen Männern, die ganz offenbar von zwei minderjährigen Blondinen beeindruckt sind. Diese zeigen wenig Interesse und kraulen einen großen Schäferhund.

Friedliche Koexistenz mit Abschreckung scheint angesagt. Am späten Nachmittag packen die Familien ein. Dafür nimmt die Zahl der südländisch aussehenden Badegäste zu. Auffallend viele kommen auf schicken Bergrädern. Die glatzköpfigen Deutschen sind inzwischen betrunken genug, ganz verbotene Losungen zu grölen. Dazu läuft die entsprechende Musik. Unangenehm. Ich ziehe es vor, den Ort zu verlassen.