© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/16 / 02. September 2016

Dorn im Auge
Christian Dorn


In der U-Bahn kommentiert der dicke, großmäulige weiße US-Amerikaner, unterwegs mit seinen vier Kindern, als der Zug die Station Spittelmarkt erreicht: „Spital-Markt – what a strange name!“ Darauf erklärt ihm sein Nachwuchs, er habe den Namen falsch verstanden, was der aber gar nicht hat. Einmal in Fahrt, setzt er im moralisierenden, herablassenden Ton fort: „Gauck, not divorced by his wife, lives with another woman in Bellevue and in Bonn somewhere, but don’t know exactly, five children, has been a pastor! Imagine this guy as Americas President – unbelievable. And Angela Merkel: too from the east. Now – whole goverment from the east. Merkel has been a chemist and in the FDJ.“ Auf die ratlosen Blicke seiner Kinder erklärt er: „Like McDonald’s“, was wohl in seinen Augen eine unvorstellbare Tätigkeit sein muß. Darauf der zweitälteste Sohn: „I’ve been too working at McDonald’s for another time.“ Der Familienvater verstummt einen kurzen Augenblick. Er muß „America“ gar nicht mehr „great again“ machen, denk ich, das übernehmen seine Kinder, die wachsen noch.


Im Café erklingen die Talking Heads und verkünden: „We’re on the road to nowhere, come on inside“. Der gleichzeitige Blick durch die große Fensterfront auf den Park gegenüber wirkt wie ein Breitwandkino – ein impressionistischer Zauber, als befände ich mich vor, oder besser, in einem dreidimensionalen Monet-Gemälde. Gestört wird dies durch die Aktion der „Lambda-Männer“, über die ich mich am Telefon streite. Denn nicht die Quadriga beherrscht Berlins Straßen, sondern der hauptstädtische Amtsschimmel. Als gälte das Motto: Sei planlos, sei verantwortungslos, sei Berlin.


Dies beweist die Baustelle vor dem Zeitungskiosk. Dessen Betreiber berichtet: „Der Senat hat gesagt: Die Wasserbetriebe, die Wasserbetriebe haben jetzt gesagt ‘Ja’, und dann ist ihnen eingefallen: Nein, dafür sind sie doch nicht zuständig. Wir sollen uns ans Ordnungsamt wenden. Das Ordnungsamt hat gesagt ‘Nein’, wir sollen uns ans Tiefbauamt wenden. Das Tiefbauamt hat gesagt ‘Nein’, ihnen sei gar nicht bekannt, daß hier eine Baustelle ist, wir sollen uns ans Straßenbauamt wenden. Die sind aber dafür auch nicht zuständig und sagten uns, wir sollen uns wieder ans Ordnungsamt wenden. Dann hatten wir beim Ordnungsamt die richtige an der Strippe. Die hat dann allerdings gesagt, daß sie gar nicht wissen, daß es eine Baustelle gibt – und daß sie keine Leute haben, daß die alle verplant sind.“