© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/16 / 02. September 2016

Arbeiter im Weinberg
Erntehelfer in Südfrankreich: Paul Lacostes Dokumentarfilm handelt „Von Trauben und Menschen“
Sebastian Hennig

Paul Lacostes „Entre les Bras“ (JF 33/12) inszenierte den Generationswechsel in einem Feinschmeckerlokal als Saga vom Wesen und Streben des Menschen. Es geht ihm offenbar alles durch den Magen. „Von Trauben und Menschen“ ist das nächste Kapitel seiner Sozio-Gastrosophie. Der Originaltitel lautet ganz schlicht „Vendanges“ – Ernte. Möglicherweise erklärt uns Lacoste in zwei Jahren die Weltordnung am Beispiel der Reifung eines Weichkäses.

Anhand der traditionellen Handarbeit weist er uns auf einige grundsätzliche Veränderungen der Gesellschaft hin. Bis vor einiger Zeit noch verrichteten Fremdarbeiter für vergleichsweise niedrige Löhne diese Arbeit in Südfrankreich. Unterdessen hat das Schicksal der sonstigen Arbeits- und Sinnlosigkeit die Einheimischen zu Arbeitern im Weinfeld werden lassen. Die historischen Fotos am Filmende lassen erkennen, daß es vor Jahrzehnten bereits so war. Und doch ist es heute anders.

Ein hagerer Mann berichtet von der Last des Winters, wenn es keine Arbeit im Freien gibt, es spät erst hell wird und am Nachmittag schon wieder dunkelt. Die veränderte Zusammensetzung der Erntehelfer gilt ihm als schlechtes Zeichen. Die Rentner kämen zwar vor allem zum Vergnügen und dann erst wegen des Geldes. Um so bedenklicher seien die einheimischen jungen Leute, die inzwischen gar keine andere Arbeit mehr finden könnten. Das sei kein erfreulicher Zustand.

Jeder trägt hier eine Geschichte mit sich herum

Die Betroffenen reden anders darüber. Sie beschreiben ihre Lebensweise als ein selbstgewähltes Schicksal. Wir sehen eine Familie aus der Gegend. Die Mutter bringt die kleinste Tochter zu Bett. „Bon nuit, Chiara“ wünscht der Vater, dann schildert er seine Lage als eine angenommene, wenn nicht gar selbst gewählte Lebenshaltung. Nicht mehr als acht Monate würde er arbeiten. Dafür gäbe es dann zwar nicht viel Geld. Stattdessen behielte man seine Freiheit. Holz für den Ofen würde er nicht kaufen, wenn er die Zeit hat, es in aller Ruhe selber zu machen.

Mitte September geht es los. Die Helfer steigen in den Laderaum des Kleintransporters und werden auf das Weinfeld gebracht. Mit Eimern und Scheren gehen sie voran. Hier fahren keine modernen Rüttelmaschinen durch die Reihen. Jede Traube wird mit der Hand gegriffen und vom Stock geschnitten. Der Inhaber steht in Jeansjacke daneben und ermahnt zur Sorgfalt. Alle sollen möglichst in einer Linie durch das Feld gehen und niemanden zurücklassen.

Jeder trägt hier eine Geschichte mit sich herum. Nur einzeln angesprochen, verrät mancher der Saisonarbeiter mehr von seiner Lage und seinen Ansprüchen. Auf dem Feld entspinnt sich ein Wortwechsel über den Sinn von Gewerkschaften. Da keine Einigung zu erzielen ist, lauten die jeweiligen Schlußworte: „Ich bin links, du bist rechts“ und „Steck’ dir das sonstwohin.“ Die ruhige Marine bedauert später den oberflächlichen Umgang und die Beziehungslosigkeit unter den Hilfsarbeitern.

Ein Automechaniker meint aus Erfahrung, das Leben sei nicht bequem. Erfolg müsse rastlos errungen werden. Die 35-Stunden-Woche sei etwas für die Armen. Mit 14 ist er aus dem Waisenhaus ausgebrochen und hat dann später in der eigenen Werkstatt doppelt soviel gearbeitet wie ein Angestellter. Davon konnte er sich bald sein Haus bauen. Bei der Arbeit im Freien schäkert der Schwerenöter reihum mit den Frauen.

Frau Artuso blickt durch das Fenster in den Betrieb, in dem sie über zwanzig Jahre gearbeitet hat. Dann kam die Pleite, und die stolze Frau hat sich in die Weinlese hineingefunden. Die junge Ilham el Kamouri mault und gerät darüber mit der Arbeit in Rückstand. Die Kokotte aus der Stadt quiekt erschrocken, als ein Blatt an ihrem aufgesteckten Haarturm hängenbleibt. Die ältere einheimische Frau erklärt ihr am Blick über die Landschaft, wo sie sich befinden. Doch ihr will das alles nur trostlos vorkommen. Ihr Gegenüber meint fassungslos: „Geh doch zurück in deine Betonwelt.“ Aber was soll sie in den Geschäften, wenn sie kein Geld hat, etwas zu kaufen. Für die Aussicht des Lohns tut die Pechmarie weiter so, als würde sie arbeiten wie die anderen. Die Bereitschaft zu Toleranz und Integration ist hier unerschütterlich.

Die Melancholie des Herbstes legt sich über die Landschaft. Es wird gescherzt, mit Trauben geworfen und gerempelt. Der Herbstwind ist heftig. Von oben und aus der Ferne ist nicht zu unterscheiden, wo er die Reben bewegt und wo es die Erntehelfer sind. Als der Regen plötzlich niederprasselt, hüllen sie ihre Köpfe in die Kapuzen. Auf dem Hof übernehmen dann Edelstahlbecken und Kunststoffschläuche die sorgsam handverlesene Ernte. Der Most wird maschinell aus den Trauben geholt. Die gespülten Ernteeimer stehen als großer Stapel vor der Wand. Eine Grundschulklasse besichtigt das Weingut.

Am 25. September stehen alle wieder auf dem Feld und entfernen das Laub um die Trauben. In der Provinzstadt regnet es. Die Kamera ist aus dem Fenster des geschlossenen Cafés vorbei an den hochgestellten Stühlen auf die leere Straße gerichtet. Es kommen zuwenig Gäste. Darum ist nun auch die Wirtin in der Weinlese beschäftigt.

Eine andere der Frauen hat in das Weinbaugebiet Gaillac zurückgefunden in das Landleben ihrer Kindheit, nachdem sie über Jahre in Paris im Verkauf tätig war. Der Traum vom kreativen Leben hat sich nicht erfüllt. Die Malerei betreibt sie noch als Hobby.

Nach getaner Arbeit waschen sich alle die Hände unter dem Wassertank. Der Lehm wird von den Stiefeln gestreift. Das Einsammeln der Scheren wird von der Hoffnung begleitet, sie im nächsten Jahr wieder in die Hand zu bekommen.

Kinostart am 1. September