© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/16 / 02. September 2016

Ein wahres Jahrhundertleben
Deutsche Unternehmerlegende: Der passionierte Pilot, Rallyefahrer und Spezialuhrenfabrikant Helmut Sinn feiert seinen 100. Geburtstag
Thomas Fasbender

Helmut Sinn, Chronometer-Produzent, Junkers- und Heinkel-Pilot, Rallyefahrer und – was er nur den wenigsten verrät – Frauenheld wird an diesem Samstag 100 Jahre alt. Der 1916 im damals noch zum Reichsland Elsaß-Lothringen gehörenden Metz geborene Tausendsassa gründete 1961 das heute Sinn Spezialuhren genannte Unternehmen, das sich im Markt der mechanischen Uhren, der teuren Chronometer, den Ruf untadeliger Präzision erworben hat: Zeitmesser ohne überflüssigen Schnickschnack.

Verrät nur eine Armbanduhr die wahre Gesinnung?

Wie oft hat dieser Mensch sich selbst erfunden: Fasziniert verfolgte er als Kind in der französisch besetzten Pfalz die Starts und Landungen der Militärmaschinen. Seine Berufswahl stand fest. Nach einem Absturz als Aufklärer im Rußlandfeldzug schwer verwundet, wurde er Blind- und Kunstfluglehrer auf Junkers-Maschinen. 15.000mal ist er in 64 Pilotenjahren gestartet. Als Deutsche nach 1945 nicht mehr fliegen durften, heuerte er als Rallyefahrer an. 1953 fuhr er seinen von Oettinger mit einem Porsche-Motor getunten Käfer bei der Rallye Algier–Kapstadt über 18.000 Kilometer hinweg zum Klassensieg.

Seine zweite Leidenschaft waren Uhren. In der schweren Nachkriegszeit sicherte der (Schwarzmarkt-)Handel seinen Lebensunterhalt. Sinns erstes Tauschkapital war die eigene, in den Nachkrieg gerettete Fliegeruhr. Auch die Fliegerei selbst nahm er nach Ende des Flugverbots 1955 wieder auf; den erforderlichen Schein hatte er schon 1950 in der Schweiz erworben. Der Prüfer, erinnert er sich, habe anerkennend bemerkt, er fliege ja wie eine „gesengte Sau“. 1961 registrierte der gelernte Pilot die Sinn Spezialuhren Frankfurt am Main GmbH. Der Aufbau des Unternehmens war alles andere als gemähte Wiese. Bis in die achtziger Jahre genossen deutsche Uhren keinen herausragenden Ruf. Im Gegenteil: Wer Schweizer oder französische Chronometer am Handgelenk trug, wähnte sich damals als Angehöriger des internationalen Jetsets. Das änderte sich erst in den Jahren seit der deutschen Vereinigung. Zu den Symptomen des neu gefühlten Patriotismus zählt seither der Kauf von Luxusprodukten „made in Germany“. Auf Vorstandsetagen und in teuren Wohnlagen, wo das verbale Bekenntnis zum Vaterland noch immer als leicht anrüchig gilt, verrät bisweilen nur die Armbanduhr die wahre Gesinnung.

Die alte sächsische Uhrenindustrie mit ihrem Zentrum im osterzgebirgischen Glashütte, vom Sozialismus vorübergehend in die volkseigene Zwangsjacke gesteckt, blüht und gedeiht. Für viele deutsche Chronometer-Liebhaber war es ein Befreiungsschlag, nicht länger auf Genfer und Schaffhausener Marken angewiesen zu sein. Auch den internationalen Investoren, alle längst in global agierenden Luxus-Holdings organisiert, blieb die Entwicklung nicht verborgen. Die beiden teuren Glashütter Marken, A. Lange & Söhne und Glashütte Original, gehören heute ebenso Schweizern wie die Hamburger Montblanc.

Doch betrifft das nicht alle Hersteller. Auch nicht die Sinn Spezialuhren GmbH, aus der sich der damals 78jährige Unternehmensgründer 1994 zurückgezogen hat. Seither führt der neue Eigentümer Lothar Schmidt, Veteran der Schweizer Luxus-Uhrenmanufaktur IWC in Schaffhausen, die Geschäfte – und das weiß Gott nicht erfolglos. „Made in Germany“ hat Konjunktur, das beweist auch das beeindruckende Comeback des größten deutschen Herstellers, der Schwarzwälder Traditionsfirma Junghans, seit ihrem Insolvenzantrag 2008. Den Wettbewerbern gegenüber, deren im Ausland gefertigte Chronometer sich mit der Prägung „Swiss Made“ begnügen müssen, verfügen die deutschen Produzenten über einen klaren Wettbewerbsvorteil. Deutsche Wertarbeit gilt gerade in schwierigen Zeiten – für teures Geld erhält der Kunde echten Gegenwert.

Wobei sich zwischen Weiß und Schwarz eine Menge Graustufen befinden. In den ersten Jahrzehnten hat auch Helmut Sinn die Herzstücke seiner Produkte, die Uhrwerke, aus der Schweiz bezogen. Längst ist es üblich, daß alle Hersteller arbeitsteilig und grenzüberschreitend kooperieren. Der Trend zur einheimischen Uhr ist dennoch unverkennbar. So bieten Sinn, die Sächsische Uhrentechnologie Glashütte (SUG) und die Uhren-Werke-Dresden (UWD) seit diesem Jahr ein vorerst noch limitiertes Modell an, bei dem alle wesentlichen Teile aus Deutschland stammen.

Im Fall der Marke Sinn kommt hinzu, daß der Kunde für sein Geld keinen durch teure Hochglanzwerbung aufgeblasenen Markenwert, dafür aber echte Produktqualität erhält. Es war Helmut Sinn, der 1961 das in Deutschland völlig neue Konzept des Direktmarketings im Uhrenmarkt etablierte. Der konsequente Verzicht auf Zwischenhändler war möglich, weil Sinn mit Fliegeruhren begann und sich konkret nur an Piloten wandte. Auf die zig Millionen schweren Werbekampagnen der Rolex & Co. hat er sich auch später nie eingelassen.

Härtetests in der rauhen Wirklichkeit

Die Idee, seine Uhren für teures Geld James-Bond-Schauspielern an den Arm zu hängen, paßt nicht zu ihm: Sinns Chronometer bestehen die Härtetests der Wirklichkeit: am Handgelenk der GSG-9-Elitepolizisten und des deutschen Kommandos Spezialkräfte der Marine (KSM), bei den Weltraummissionen deutscher Astronauten, zuletzt im Spezialanzug des Amerikaners Robert Alan Eustace bei seinem Weltrekord-Stratosphärensprung mit dem Fallschirm aus über 41 Kilometern Höhe.

Helmut Sinn, der „überzeugte Nichtmehrverheiratete“, ist eine der letzten deutschen Männerpersönlichkeiten. Sein Ziel, 103 Jahre alt zu werden, ist keineswegs illusorisch, denn er hat vieles überstanden und geleistet: Zwei Kriege überlebt, zweimal vertrieben und neu angefangen. Schwer krank aus der Gefangenschaft entlassen und später Höchstleistungen als Rallyefahrer vollbracht sowie vier Uhrenlegenden etabliert: Chronosport, Guinand, Jubilar und Sinn.

Informationsseiten über Helmut Sinn:  

www.guinand-uhren.de/

 www.sinn.de/

 www.helmut-sinn.com

 zeigr.com