© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/16 / 02. September 2016

Vom Saulus zum Paulus
Syrien: Die radikal-islamische Al-Nusra-Front sucht ihr Heil mit einem Namens- und Strategiewechsel / Mit neuen Verbündeten gegen Assad
Marc Zoellner

Es sind schwere Vorwürfe, die Moskau im syrischen Bürgerkrieg gegenüber den Vereinigten Staaten erhebt. Washington habe zugestimmt, daß die Al-Nusra-Front eine terroristische Organisation sei, empörte sich das russische Außenministerium vergangene Woche. „Aber sie ist noch immer nicht zum Ziel von Luftangriffen geworden. Und seit fast einem Jahr schon verweigern uns die Amerikaner ihre Daten über den Aufenthalt von Al-Nusra-Militanten.“ 

Parallel dazu agierte Rußland mit einer neuen Offensive autark von seinen westlichen Gesprächspartnern – und beeindruckt mit seinem unerwarteten Vorstoß nicht nur das Pentagon, sondern auch die radikalislamische syrische Bürgerkriegsmiliz.

So überraschend der Angriff für die Al-Nusra-Front geschah, so erfolgreich wurde er von Moskau bewertet: Eine Kommandostation der Extremisten konnte in der Provinz Aleppo zerstört werden, berichtete die staatliche russische Nachrichtenagentur Sputniknews; des weiteren ein Waffenlager sowie eine Munitionsfabrik. Drei Raketen vom Modell „Kalibr“ seien dazu von einer russischen Korvette vom Mittelmeer aus abgefeuert worden. Sämtliche Geschosse hätten ihr Ziel mit höchster Präzision getroffen. 

Sunnitische Opposition rückt enger zusammen 

Eine Strategie, die aufzugehen scheint: Denn zumindest für die Al-Nusra-Front wird es eng in Syrien. Derart eng, daß sie sich vor gut vier Wochen gezwungen sah, mit ihrer Mutterorganisation zu brechen und sich neu zu erfinden. Vormals noch dem internationalen Dschihad verschrieben und mit Anschlägen in Europa und den USA drohend, löste sich die Terrorgruppe Ende Juli aus dem Al-Qaida-Netzwerk, gab sich mit Jabhat Fateh al-Sham (JFS) einen neuen Namen – die „Front zur Eroberung der Levante“ – und baut seitdem nach der Manier „Vom Saulus zum Paulus“ an ihrem Anstrich einer moderat-islamischen, im syrischen Volk verwurzelten Miliz.

Es sind einschneidende Schritte der Konsolidierung einer beunruhigten Bewegung, deren Vorzeichen noch bis Juli eigentlich recht günstig gestanden hatten. Denn mit  rund 10.000 Mann unter Waffen stellte al-Nusra bis dato nicht nur eine der größten Milizen in den Wirren des syrischen Vielfrontenkriegs dar. Sie galt überdies als willkommener Verbündeter diverser Fraktionen im Kampf sowohl gegen die Regierungsarmeen Baschar al-Assads als auch gegen die Söldner des Islamischen Staats. Selbst Truppenverbände der eng mit der Türkei kooperierenden Freien Syrischen Armee (FSA, JF 35/16) kooperierten in der Vergangenheit mehrfach mit den Islamisten – trotzdem sie zu anderen Gelegenheiten wiederum brutal von diesen bekämpft wurden. Erst Mitte März dieses Jahres überrannten Kämpfer der Al-Nusra-Front in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das Hauptquartier der 13. Division, einer unter der Flagge der FSA operierenden säkulären Miliz, im nordwestsyrischen Maarat an-Numan und erbeuteten dabei unter einer Vielzahl an Waffen auch mehrere von den Vereinigten Staaten an die FSA gelieferte Panzerabwehrraketen.

Gemeinsam mit anderen Rebellengruppen kontrollierte al-Nusra zuletzt gut zehn bis fünfzehn Prozent des syrischen Staatsgebiets; größtenteils in den dicht besiedelten Regionen westlich und südlich der stark umkämpften Stadt Aleppo. Noch vor dem Bruch mit al-Qaida war gar eine Verschmelzung mit der salafistischen Gruppe „Ahrar al-Scham“ geplant. Dank dieses Bündnisses prognostizierte die US-amerikanische Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW), „wird die al-Nusra ein islamisches Emirat im nordwestlichen Syrien erschaffen haben“; und zwar spätestens bis Januar 2017. Ein Bündnis, welches sich unter dem neuen Logo der Organisation nun auch anderen, weit moderateren aufständischen Verbänden öffnet. Während der Belagerung von Aleppo durch Regierungstruppen stellte die Terrorgruppe die Speerspitze des Durchbruchs und eroberte im Alleingang die stark befestigte Artillerieakademie der Stadt. „Tausende Soldaten und die erfahrendsten Kommandeure fanden sich zusammen“, rühmte sich Mostafa Mahamed, Chefsprecher der JFS, Mitte August im Interview mit dem britischen Sender Sky News der Erfolge seiner Organisation, „um die Bestrebungen der vier Reiter der syrischen Apokalypse zu vereiteln – des Assad-Regimes, Rußlands, des Iran und der Hisbollah“.

Mit der Schlacht um Aleppo rücken die sunnitischen Oppositionsparteien Syriens einmal mehr eng zusammen. Al-Nusra oder Jabhat Fateh al-Sham sieht sich dabei bevorzugt im Zentrum.