© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/16 / 02. September 2016

Auf die Migranten angewiesen
Nauru: Allein mit Hilfe des Flüchtlingsdeals mit Australien kann sich der Inselstaat über Wasser halten
Lukas Noll

Naurus Geschichte kennt Höhen und Tiefen. Daß das winzige Eiland in letzter Zeit vor allem Bekanntschaft mit letzteren macht, liegt nicht nur daran, daß das Meer kurz hinter den Stränden des Pazifikatolls über 4000 Meter in die Tiefsee abfällt: Der Zwergstaat präsentiert sich nach Enthüllungen des britischen Guardian als ein Ort von Korruption, Mißhandlung und Gewalt. 

Rausch an sprudelnden Rohstoffeinnahmen vorbei  

Wo in den achtziger Jahren Queen Elizabeth II. mit ihrem Gatten Prinz Philip unter Palmen weilte, ist mittlerweile ein wenig ansehnlicher Schauplatz der Flüchtlingskrise entstanden. Schon länger kritisieren Menschenrechtler die australische Regierung dafür, Bootsflüchtlinge auf abgelegene Pazifikinseln zu verfrachten. Die insgesamt 2.100 Berichte, die der Guardian von Mitarbeitern des „Nauru Detention Centre“ geleakt hat, dürften sich nun als Wasser auf die Mühlen der Kritiker erweisen. Sie dokumentieren zahlreiche Fälle von sexueller Nötigung und Gewalttaten, deren Opfer größtenteils Kinder sein sollen. 

Die Regierungen von Nauru und Australien verorten zwar linke Medien und Politiker hinter dem angeblich provozierten Skandal: Die meisten Anschuldigungen seien erfunden worden, um nach Australien verlegt zu werden, erklärte Naurus Regierung. „Die sogenannten Berichte beruhen ausschließlich auf solchen Behauptungen.“ 

Doch welches Interesse hat ein Land wie Nauru überhaupt daran, zahlreiche Flüchtlinge auf seinen nur 21 Quadratkilometern unterzubringen, während sich größere und reichere Länder vor allem darum sorgen, wie sie Flüchtlinge von ihrem Territorium fernhalten?

Kein großes, aber doch ein reiches Land war auch Nauru einst, ohne daß man dafür besonders weit zurückblicken müßte. Seine immensen Phosphatvorkommen haben der Insel nach der Unabhängigkeit 1968 zu raschem Reichtum verholfen. Denn mit Australiens Agrarsektor hatte sich ein zahlungskräftiger Abnehmer für Phosphat gefunden, einem der wichtigsten Bestandteile von Dünger. Bei damals nur 4.000 Einwohnern katapultierten die Rohstoffvorkommen Nauru auf Platz zwei der reichsten Länder der Welt gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. 

So war es für Naurus Ex-Präsidenten René Harris im Spätsommer 2001 auch nicht finanzielle Not, sondern die „Gastfreundlichkeit“ seines Volkes, die er als offiziellen Grund für die Einrichtung des Flüchtlingslagers anführte: Gerade erst hatte Australien 433 Bootsflüchtlinge davon abgehalten, mit der Weihnachtsinsel im Indischen Ozean australisches Territorium zu betreten und so das Recht auf ein Asylverfahren zu erwerben.

 Fünf Tage lang mußte die MS Tampa, die die schiffbrüchigen Asiaten gerettet hatte, das australische Außenterritorium umrunden, bis die Regierung in Canberra mit Nauru ein Refugium aufgetrieben hatte, das weit genug von seiner Küste entfernt war. 

Die „Pazifische Lösung“ war geboren. Da war Nauru längst auf dem finanziellen Tiefpunkt angelangt, seine Flüchtlingspolitik trotz verbaler „Willkommenskultur“ vor allem dafür da, Devisen aufzutreiben. Denn aus der wohlhabenden Insel war in den neunziger Jahren ein Armenhaus geworden. 

Mehr als zwei Jahrzehnte lang hatten sich die Nauruer an sprudelnden Rohstoffeinnahmen berauscht, welche sie nicht einmal selbst aus dem Boden zaubern mußten: Arbeiter aus umliegenden Inselstaaten leisteten das Handwerk, an dem sich die Einheimischen ihren Obolus verdienten. Und sich dabei vor allem auf ihre Hobbys konzentrieren konnten, wie der Franzose Luc Folliet in seinem Buch „Nauru. Die verwüstete Insel“ enthüllte. 

„Sie sind Privatiers und verhalten sich auch so: müßig und verschwenderisch.“ Wo das private Einkommen nicht ausreiche, helfe der Staat nach. Strom und Dienstleistungen seien über Jahre hinweg kostenlos gewesen, selbst der Hausputz sei von staatlich bezahlten Reinigungskräften erledigt worden.

 Auch mit Paßgeschäften Schiffbruch erlitten

Doch der fallende Phosphatkurs leitete den Niedergang Naurus ein – kaum mehr als zehn Jahre nachdem die kollektive „Lustreise“ der Insel begonnen hatte. Anfang der neunziger Jahre war Naurus Phosphat nahezu vollständig abgetragen, weite Teile der Insel lagen brach. Der Staat mußte Kredite aufnehmen, um den dekadenten Lebensstil seiner Einwohner weiterhin bezahlen zu können. Als auch das zu Beginn des neuen Jahrtausends nicht reichte, wird auf anderem Wege „angeschafft“: Für 15.000 Dollar wurden nauruische Pässe verscherbelt – das Geschäft mit der Staatsbürgerschaft endete erst, als die Einbürgerung von zwei Terroristen Nauru kurzerhand auf die Liste der Schurkenstaaten beförderte. Die Insel wurde zur Steueroase und holte Hunderte zwielichtiger Banken und Briefkastenfirmen an Land – auch dieses Modell endete erst auf internationalen Druck hin, nachdem allein die russische Mafia längst über 70 Milliarden Dollar in der Südsee gewaschen hatte. Die proklamierte „Gastfreundlichkeit“ gegenüber Australiens ungewollten Bootsflüchtlingen bringt Nauru schließlich 30 Millionen Euro ein. „Ohne Flüchtlinge würde Nauru nicht mehr existieren“, ist sich Ex-Präsident René Harris noch immer sicher.