© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/16 / 02. September 2016

Rechte Spontis kapern das Brandenburger Tor
Der unerträgliche freie Diskurs
Dieter Stein

Wir haben uns an sie gewöhnt, die spektakulären Aktionen von Greenpeace, deren Aktivisten einst Waljäger mit Schlauchbooten stoppten und die Schornsteine erklommen, um Banner gegen das Waldsterben anzubringen. Doch nicht nur Bauwerke der Industrie, sondern auch symbolträchtige Gebäude des Staates wurden erobert, so der Reichstag, an dessen Hauptportal Greenpeace-Leute 2009 das Banner „Eine Zukunft ohne Atomkraft“ befestigten oder das Brandenburger Tor 2011, wo sie die Parole „Jeder Tag Atomkraft ist einer zuviel“ festmachten.

Im Falle von Organisationen wie Greenpeace, Robin Wood, allen möglichen linken Lobbygruppen und Bürgerinitiativen haben wir uns daran gewöhnt, daß sie den öffentlichen Raum beherrschen, und es gehört zur etablierten Protestkultur, daß sie dabei auch Hausfriedensbruch begehen und sich nicht an das Versammlungs- und Demonstrationsrecht halten. Die Bilder dieser Aktionen erreichen stets die Abendnachrichten, die Bilder der „Aktivisten“ transportieren den Eindruck von „weitverbreitetem Protest“, und es ist selten, daß diese Aktionen kritisch eingeordnet werden.

Nun ist am vergangenen Samstag der kleinen rechten Spontigruppe der „Identitären“ ihr bislang aufsehenerregendster Coup à la Greenpeace mitten in Berlin gelungen (siehe Seite 5). Passend zum von der Bundesregierung veranstalteten Tag der offenen Tür erklommen ein knappes Dutzend Männer das Brandenburger Tor und konterkarierten das penetrante Motto „Migration und Integration“ mit der simplen Forderung „Sichere Grenzen – sichere Zukunft“, die sie symbolträchtig als Banner am Portal unter der Quadriga befestigten. Ein Jahr nach dem Beginn des Kontrollverlustes Deutschlands über seine Grenzen trafen sie damit ins Schwarze.

Das Entsetzen, das Wutgeschrei, welches in den Medien auf diese Aktion folgte, entlarvt, welche Auffassung von demokratischem Diskurs im öffentlichen Raum existiert: Den Vogel schoß der Berliner Kurier mit der Schlagzeile ab: „Brauner Mob schändet Brandenburger Tor“, gefolgt vom Redakteur der Frankfurter Rundschau Hanning Voigts, der die plumpe Lüge twitterte „Junge Leute mit der Forderung ‘Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!’ auf dem Brandenburger Tor“ oder die Vorkämpferin gegen Haßsprache, Anetta Kahane, die Identitäre mit „freilaufenden Säuen“ verglich.

Die Empörung bei den Platzhirschen der Öffentlichen Meinung ist so groß, weil es um den Herrschaftsanspruch über den öffentlichen Raum, letztlich politisch-publizistische Macht geht: Droht die Dominanz der Linken zu schwinden, endet die Asymmetrie im Meinungskampf? Die schlichte Selbstverständlichkeit, daß in einer funktionierenden Demokratie nicht eine politische Richtung allein den Diskurs bestimmt, sondern viele, scheint für einige Linke unerträglich.