© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Der Flaneur
Im Café Zwergenland
Sebastian Hennig

Eine Fahrradtour führt mich zu Freunden, die zu einem Hoffest einladen. An vielen Toren in den Dörfern hängen heute Trauben von Luftballons. Es wird der Schulanfang gefeiert. Da die Strecke weit ist, gestatte ich mir eine Einkehr ins gerühmte dörfliche Eiscafé. Vom Freisitz des Café Zwergenland ist die Autobahn in Sicht, und von den Feldern weht ein penetranter Güllegeruch herüber. Neben der schmucklosen Baracke ist in einem Fichtenhain ein Spielplatz gelegen, der wahrscheinlich für Hyperaktive konzipiert wurde. Da gibt es eine kleine Hochstraße, und einem Autowrack sind große Lautsprecherboxen aufgebunden, aus denen Radiomusik dudelt. In der anderen Richtung unterhalb der Stellfläche mit den Kunststoffmöbeln liegt ein Tümpel, den schwarze Schwäne bevölkern. Dort unzählige Gartenzwerge, Miniaturhäuschen, Windmühlen und Taubenschläge. In einer Voliere zappeln Wellensittiche.

Es ist nicht rundweg erfreulich, aber dennoch ganz erträglich. Ein spezieller Frieden.

Die Bedienung ist ansehnlich geraten. Kurzärmliger dunkler Strickpullover mit breitem Umschlagkragen, enge Hosen und ein Pferdeschwanz, der bis zur Hüfte reicht. Die hat der Schöpfer mit Bedacht und Segen ausgedrechselt auf seiner Werkbank.

Am Nachbartisch nehmen ältere Kurzstreckenwanderer in lässiger Kleidung Platz. Die Senioren werden nach ihrem Kaffeebedarf ausgefragt. Da gehen die Hände hoch wie in der Schulklasse bei sehr einfachen Fragen. Die Kinder bemächtigen sich jetzt der verstreut liegenden Roller und Dreiräder, um das Wege- und Straßensystem des Verkehrsgartens zu erkunden. Der Junge trägt ein weißes Oberhemd mit Schlips, das Mädchen ein Trägerkleid. Am Montag bekommen die einen Ranzen aufgepackt. Verborgen, aber unumkehrbar, vollzieht sich mit dem Schulbesuch der heimliche Eintritt in den Vorhof zum Arbeitsleben. Jetzt, wo am Nachbartisch die Kaffeelöffel klappern und die Kinder rufen, rücken das Autobahnrauschen und das Radiogedudel in den Hintergrund. Es ist nicht rundweg erfreulich, aber dennoch ganz erträglich. Ein spezieller Frieden. Lauer Wind umfächelt die Szenerie.