© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Aufrichtig und weltgewandt
Totalitarismen: In Frankreich und Italien fand Ernst Nolte stärkere Fürsprecher
Alain de Benoist

Der Historikerstreit, für den die Veröffentlichung von Ernst Noltes Aufsatz über die „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Juni 1986 den Anlaß lieferte, griff auch auf Frankreich und Italien über. Dort wurden Noltes Thesen – über den „reaktiven“ Charakter des Nationalsozialismus gegenüber dem Kommunismus stalinistischer Prägung, der ihm Vorbild und Schreckbild zugleich ist, und die Existenz eines „Kausalnexus“ zwischen dem Gulag und dem KZ – zwar nicht weniger heftig diskutiert. Sie stießen jedoch auf sehr viel stärkere Zustimmung sowohl seitens der Öffentlichkeit als auch der Medien als in Deutschland. 

Dies gilt vor allem für Italien, wo man Nolte immer wieder mit Renzo De Felice verglich, dem großen Historiker des Faschismus, dessen „provokante“ Ansichten die wissenschaftliche Erforschung des Mussolini-Regimes revolutioniert hatten. Nicht nur wurden sämtliche Werke Noltes schnellstmöglich übersetzt, sondern es erschienen auch mehrere Bände mit Aufsätzen,  Interviews und Stellungnahmen, die in Deutschland bis heute unveröffentlicht sind. Noltes Ruf als einer der großen Historiker der Nachkriegszeit ist heute in Italien unumstritten.

In Frankreich, wo die Übersetzung von „Der Faschismus in seiner Epoche“ in den sechziger Jahren hitzige Debatten ausgelöst hatte – hier verübelte man dem deutschen Historiker insbesondere, daß er die royalistische Action française mit dem Faschismus und dem Nationalsozialismus auf eine Stufe gestellt habe –, kam Nolte vor allem die Unterstützung zweier recht unterschiedlicher Persönlichkeiten zugute. Der Historiker und Publizist Stéphane Courtois, ein ehemaliger Maoist, der mit der Veröffentlichung des „Schwarzbuchs des Kommunismus“ 1997/98 weltweite Berühmtheit erlangte, zeichnete für die Neuauflage mehrerer Werke von Nolte bei einem großen französischen Verlag verantwortlich. Nolte habe den Weg für die geschichtswissenschaftliche Erforschung des Totalitarismus geebnet, so seine Einschätzung.

1996 begann in der italienischen Zeitschrift Liberal ein Dialog zwischen Nolte und François Furet, dem großen liberalen Historiker der Französischen Revolution. Dieser Meinungsaustausch fand seine Fortsetzung auf den Seiten der französischen Zeitschrift Commentaire und wurde anschließend unter dem Titel „Feindliche Nähe. Kommunismus und Faschismus im 20. Jahrhundert. Ein Briefwechsel“ in Buchform veröffentlicht.

Totalitäre Systeme stehen in „dialogischem Verhältnis“

Die Deutung des Nationalsozialismus als bloße „Reaktion“ auf den Bolschewismus – als „Gegendiktatur“, die aus einem „grundsätzlichen Antimarxismus“ entstand – weist Furet zurück. Hingegen teilt er Noltes Überzeugung, daß sich die beiden großen totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts nicht separat, sondern nur in ihrem „dialogischen Verhältnis“ zueinander erforschen und begreifen lassen. Eine vergleichende historisierende Betrachtung beider Ideologien aus „entstehungsgeschichtlicher“ Perspektive sei daher unbedingt erforderlich.

Einen nicht weniger anregenden Dialog führte Ernst Nolte im Mai 2000 in der Zeitschrift Eléments mit dem Historiker Dominique Venner. Letzterer griff weiter zurück als Nolte und rückte vor allem die Bedeutung des Ersten Weltkriegs in den Blickpunkt. Den Ursprungskern des Bolschewismus und vor allem des Nationalsozialismus, so sein Argument, hätten Männer gebildet, deren Weltbild von den Fronterfahrungen und im deutschen Fall von der Niederlage geprägt war.

In einem Interview mit Ernst Nolte, das ich im September 2008 in der Zeitschrift Le Spectacle du monde veröffentlicht habe, merkte er unter Berufung auf einen von dem Staatsrechtler Carl Schmitt geprägten Begriff an, es liege in der Natur des Totalitarismus, daß er außerstande sei, „den Feind anzuerkennen“, meint: ihm jegliche Legitimität abspreche. Dies, so meine Erwiderung, sei ein Erkennungsmerkmal sämtlicher Vernichtungsideologien.

Das Paradoxe ist, daß man ebendiese Mentalität bei Verfechtern der These von der Unvergleichbarkeit des Nationalsozialismus als „absolutem Bösen“ wiederfindet: „Insofern entspricht ihre Argumentationsweise der Hitlers, der in den Juden das ‘Ebenbild des Teufels’ sah. Sie wenden metaphysische oder religiöse Begriffe auf historische Realitäten an (...) Wer sich weigert, ein historisches Ereignis in seinem Kontext zu verstehen, argumentiert nicht nur unwissenschaftlich, sondern anti-historisch.“

Daß Ernst Nolte das Vorwort zur deutschen Übersetzung meines Buches über den Totalitarismus beisteuerte, die 2001 unter dem Titel „Totalitarismus. Kommunismus und Nationalsozialismus – die andere Moderne. 1917–1989“ im JF-Verlag erschien, empfinde ich als große Ehre. Ihn zeichnete eine Liebenswürdigkeit, Aufrichtigkeit und Weltgewandtheit aus, die einem anderen Zeitalter angehören.






Alain de Benoist, französischer Philosoph und Publizist, ist Herausgeber der Zeitschriften „Nouvelle École“ und „Krisis“.