© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Gegen die Mehrheit bauen
Dresden: Anders als zunächst versprochen, wird das berühmte Palais Riesch am historischen Neumarkt doch nicht rekonstruiert
Paul Leonhard

Daß die Mitglieder des Dresdner Vereins „Gesellschaft Historischer Neumarkt“ (GHND) faire Verlierer sind, demonstrierten sie in ihrer kurzen Pressemitteilung. In der loben sie den Entwurf eines Neubaus im Quartier nahe der Frauenkirche, da „dieser sich respektvoll gegenüber dem vorhandenen Stadtentsemble verhält“. Konkret geht es um das Palais Riesch, Dresdens zur Zeit wohl bekanntestes Gebäude. Dabei existiert es gar nicht. Und es wird auch nicht wieder nach historischen Plänen aufgebaut, obwohl das möglich gewesen wäre und es sich viele gewünscht haben.

Es geht um Dresdens sensibelste Baustelle, den Neumarkt. Wie die gesamte Bebauung wurde das Palais in der Nacht zum 14. Februar 1945 von britischen und amerikanischen Bomben zerstört und nach Kriegsende abgetragen. An seiner Stelle entstand Jahrzehnte später ein sozialistischer Neubau, der wiederum nach der Wiedervereinigung abgerissen wurde. Die Dresdner wollten, wenn schon ihre alte Stadt nicht komplett in barocker Form wieder errichtet werden konnte, dann wenigstens den Neumarkt um die Bährsche Frauenkirche nach historischem Vorbild entstehen sehen, kleinteilig, den alten Straßenfluchten folgend.

„Strichcode als Symbol     für Wegwerfarchitektur“

In den alten Bundesländern wurden sie dafür insbesondere von jungen Architekten belächelt, während die Kriegs- und Nachkriegsgeneration, die eigenen, gesichts- und seelenlosen Innenstädte vor Augen, ihre Brieftaschen öffneten, um den selbstbewußten Sachsen zu helfen. In der Elbestadt selbst waren es konservative Kräfte im Stadtrat, die in den neunziger Jahren durchsetzten, daß ein städtebaulich-gestalterisches Konzept für den Wiederaufbau entwickelt und  vom Stadtrat festgeschrieben wurde.

Inzwischen haben sich die Zeiten geändert. Die CDU ist im Stadtrat Opposition und die Bündnisgrünen, die nichts mehr mit den Bürgerrechtlern des Herbstes 1989 gemeinsam haben, installierten mit Raoul Schmidt-Lamontain einen Baubürgermeister, für den das Beharren der Dresdner am Historischen ein Greuel ist. „Nur mit der modern gestalteten Fassade kann eine schlüssige und selbstständige Gestaltung, die durch die Untergliederung in Sockelbereich, Hauptgeschosse und mit geneigtem Dach einen direkten gestalterischen Anschluß zur Umgebung hat, seine Wirkung entfalten“, ließ sich der Bürgermeister von den Investoren, der CG Gruppe AG, zitieren, als diese ihre Ergebnisse des Workshops zur Fassadengestaltung des Palais Riesch vorstellte.

Dabei handelt es sich um einen Teil eines der größten Stadtpalais, der eigentlich wieder so gebaut werden sollte, wie es im späten 18. Jahrhundert aussah. Die in Berlin ansässige Investorengruppe hat am Neumarkt die Quartierfläche erworben, die sich über mehrere Höfe erstreckte. Auf der Landhausstraße sollte das Palais Hoym, auf der Rampischen Straße das Palais Riesch als Leitbauten entstehen. Ziel war eine Annäherung an die historischen Gegebenheiten, wobei Architekten durchaus neue Lösungen anbieten konnten, soweit diese das Gesamtbild nicht beeinträchtigen.

Ursprünglich hatte Christoph Gröner, Vorstandsvorsitzender der CG Gruppe, zugesagt, das Ensemble entsprechend dem Motto seines Unternehmens „vorbildlich historisch“ zu rekonstruieren. Um so größer war der Schock, als CG ihren Entwurf der Fassadengestaltung vorstellte: „Der Strichcode als Symbol für Wegwerfarchitektur“, faßte ein Dresdner auf Facebook die geplante Außenansicht in einem Satz zusammen.

Die Wettbewerbsergebnisse hätten gezeigt, daß eine Nutzung des Palais Riesch in den Proportionen der Fassade von 1780 nicht realisierbar ist, argumentierte dagegen der Investor.  Insbesondere die Höhen der Geschosse für Wohnen und Gewerbe seien in die historische Fassade nicht integrierbar. Daher sei „beim größten Wohlwollen eine historische Rekonstruktion für eine angestrebte Nutzung nicht möglich beziehungsweise genehmigungsfähig“, sagte Gröner.

Letztlich war der von einer achtköpfigen Jury vorgeschlagene zeitgenössische Entwurf – eine Arbeit der Architekten Dähne und Pfau – so häßlich, daß 28 prominente Dresdner in einem offenen Brief protestierten. Maßstab für die Investoren sollte der von diesen selbst gesetzte Anspruch sein, heißt es in dem Schreiben, das unter anderem vom früheren Landeskonservator Heinrich Magirius, Ex-Baubürgermeister Gunter Just und Kammersänger Peter Schreier initiiert wurde und in dem gewarnt wird: „Bauen gegen den Willen einer großen Bevölkerungsmehrheit dürfte auf Dauer auch wirtschaftlich schwierig sein.“

Die Proteste hatten immerhin das Ergebnis, daß die CG-Gruppe erneut einen Wettbewerb ausschrieb und nun einen Entwurf des Berliner Architekten Tobias Nöfer umsetzen will, der auch aus Sicht des Kuratoriums der GHND „Eleganz und Hochwertigkeit“ ausstrahlt und dessen „Proportionen und Material großstädtisches Flair“ vermitteln. Für die Dresdner ist es ein Teilerfolg. Die schlimmste Variante wurde verhindert, aber der zum Bau vorgesehene Entwurf hat mit dem historischen Vorbild nichts gemeinsam: Es wird sieben Geschosse geben, statt nur fünf, wie sie es das einstige Palais besaß.

Investor auf Optimimierung der Wohnfläche fixiert

Der Investor sei zu sehr auf die  Optimierung von Wohnfläche fixiert, hatte die Gesellschaft schon früh kritisiert: „Die nun getroffene Entscheidung besiegelt den Wegfall des Palais Riesch unwiederbringlich.“ Ob die dafür angegebenen Gründe langfristig zu rechtfertigen seien, müßten nachfolgende Generationen beurteilen: „Aus heutiger Sicht bleiben deutliche Zweifel.“ Noch deutlicher werden Kommentatoren auf den Internetseiten der Dresdner Tageszeitungen: „Es bleibt dabei, der Investor hat sein Versprechen einer originalgetreuen Wiedererrichtung gebrochen zugunsten von mehr Nutzfläche und Return of Invest.“ 

Investorensprecher Gröner ist dagegen zufrieden: „Das Palais Riesch wird in dem neuen Gebäude erkennbar fortleben und dem gesamten Quartier großstädtisches Flair verleihen. Gleichzeitig erfüllt es alle Anforderungen an die modernen Nutzungen, die in unserem Kaufvertrag festgeschrieben sind.“ Geplanter Baubeginn ist das kommende Frühjahr. Bezugsfertig soll der Neubau im Dezember 2019 sein.