© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

„Das wäre ein Paukenschlag“
Könnte die AfD erstmals bei einer Landtagswahl stärkste Kraft werden? Am 4. September will Spitzenkandidat Leif-Erik Holm in Mecklenburg-Vorpommern dieses Kunststück vollbringen
Moritz Schwarz

Herr Holm, wird die AfD im Nordosten tatsächlich stärkste Partei?

Leif-Erik Holm: Darauf hoffen wir nicht nur, dafür gibt es sogar eine realistische Chance.

In den Prognosen liegen Sie bei 19 Prozent – SPD und CDU allerdings bei 26 beziehungsweise 23 Prozent. Ist es nicht eher unwahrscheinlich, daß Ihnen tatsächlich gelingt, beide noch zu überrunden? 

Holm: Erinneren Sie sich an die letzten Landtagswahlen: Jedesmal lag die AfD am Wahlabend deutlich über den Umfragen. Etwa in Sachsen-Anhalt, wo uns 18 Prozent vorausgesagt wurden und wir 24 Prozent erzielten. Wenn das auch am 4. September passiert, dann werden wir wohl stärkste Kraft!

Eine neue Partei aus dem Stand als Wahlsieger hat es in der deutschen Nachkriegsgeschichte noch nicht gegeben. Welche Konsequenzen hätte das? 

Holm: Eben! Das wäre nicht nur für Mecklenburg-Vorpommern ein starkes Zeichen, sondern bundesweit: Es würde den Altparteien unübersehbar zeigen, daß die Bürger in der Einwanderungspolitik endlich eine Umkehr wollen. Zwar glaube ich nicht, daß das Frau Merkel noch erreicht – aber es wäre ein echter Paukenschlag, der das Kanzleramt in Zugzwang setzte. 

Andererseits: Gefährden Sie mit solchen Spekulationen nicht Ihren eventuellen Wahlerfolg? Denn werden Sie nicht stärkste Kraft, ist der Hohn groß – selbst wenn Ihr Ergebnis sonst beachtlich sein sollte.   

Holm: Wir sagen ja nicht, daß es zweifelsohne so kommt, sondern nur, daß dafür eine echte Chance besteht. Aber wissen Sie, wir kommen als neue Partei im Land von null Prozent. Daher wären auch 19 Prozent genaugenommen ein großer Erfolg. 

Etliche Medien spekulieren, daß sie stärkste Partei werden könnten. Steckt dahinter aber vielleicht der Versuch, jene Wähler, die gegen die AfD sind, zu erschrecken und zu mobilisieren, um Ihr Ergebnis zu drücken?

Holm: Das ist zwar ein interessanter Gedanke, und der eine oder andere mag so denken, aber ich glaube nicht, daß das dahintersteckt. Wären unsere Aussichten nicht realistisch – würden wir uns eine solche Chance nur einbilden –, würden die Medien uns eher mit Spott übergießen. Tun sie aber nicht. 

Bundesweit liegt die AfD – je nach Umfrage und vermutlich infolge ihrer Führungskrise – nur bei 11 bis 13 Prozent. Warum scheint die Krise der Partei Sie im Norden nicht zu erreichen?

Holm: Es mag durchaus sein, daß auch wir wegen der letzten Querelen eine kleine Delle erfahren haben – aber die haben wir inzwischen wieder ausgebügelt. Natürlich mögen die Wähler Streitereien in einer Partei nicht. Allerdings, der jüngste Ärger in Baden-Württemberg ist doch weit weg von Mecklenburg-Vorpommern – ebenso wie die Zwistigkeiten im Bundesvorstand. Demgegenüber stehen die realen Probleme hier im Land, für die die Bürger eine Kraft wollen, von der sie sich Lösungen versprechen. Hinzu kommt: Etliche Bürger glauben den Medien kaum noch und vermuten, daß diese den Streit in der AfD aufbauschen. 

Der Streit ist real. Warum bricht er in der AfD immer wieder aus?

Holm: In jeder Partei gibt es Streit. Bei den anderen dringt er nur meist nicht an die Öffentlichkeit, weil sie erfahrener im Umgang damit sind. Entscheidend ist für mich, daß es keine inhaltlichen Gründe für ihn gibt, daß die Partei also inhaltlich geschlossen ist! 

Um so absurder ist doch, daß ständig gestritten wird. 

Holm: Die Ursachen liegen im Zwischenmenschlichen. Es gibt eben auch bei uns hin und wieder Dissonanzen, die sich dann leider auch mal aufschaukeln.

Wer ist schuld an dem Streit?

Holm: Wie meist im Leben gibt es nicht einen Alleinschuldigen. Wir müssen uns alle disziplinieren. Es war gut, daß wir uns beim Kasseler Parteikonvent unter Ausschluß der Öffentlichkeit getroffen haben, um uns auszusprechen und wieder zusammenzufinden – was ja auch geklappt hat. 

Gauland, Höcke und Meuthen haben etwa zu Beginn Ihres und des Berliner Wahlkampfes erklärt, Petry als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2017 verhindern zu wollen. Haben die drei dadurch nicht de facto Ihren Wahlkampf torpediert?

Holm: Ich rate generell, über solche ungelegten Eier nicht vor der Zeit zu diskutieren, sondern dann, wenn es notwendig ist – und bitte intern.

Frauke Petry dagegen hat Meuthen in der Gedeon-Krise brüskiert, ja sie scheint gar den Zerfall der Stuttgarter Landtagsfraktion in Kauf genommen zu haben, um sich selbst dann als Krisenmanagerin positionieren zu können. Ist das mit Blick auf die beginnenden Landtagswahlkämpfe nicht ebenso unverantwortlich?

Holm: Frauke Petry wollte in schwieriger Situation helfen. Andererseits kann ich Jörg Meuthen verstehen, der keine Hilfe von außen in Anspruch nehmen wollte. Das ist sicher nicht optimal gelaufen. Ich denke aber, daß das mit der Aussprache von Kassel von nun an Vergangenheit ist. 

Gerade weil der Streit nicht im Inhaltlichen, sondern im Zwischenmenschlichen gründet, ist doch zu befürchten, daß er wieder ausbricht. So zumindest war es bisher – auch zwischen Petry und Lucke.  

Holm: Das hoffe und glaube ich nicht   – denn trotz allem geht man im Bundesvorstand doch sehr professionell miteinander um.

Wie reagieren denn Ihre wahlkämpfenden Mitglieder auf den Streit an der Spitze?

Holm: Das hat uns alle natürlich seinerzeit schon geärgert. Aber nachdem das nun zum Glück überstanden ist, konzentrieren wir uns voll auf den Wahlkampf! 

Warum erreicht die AfD in Mecklenburg-Vorpommern einen so viel besseren Wert als die AfD im Bund oder in Berlin, wo zwei Wochen später gewählt wird und die Partei derzeit bei 15 Prozent steht?

Holm: Na, ich finde, 15 Prozent sind für das schwierige Pflaster Berlin schon ein guter Wert. Daß wir im Osten stärker abschneiden, ist kein neues Phänomen. Ich glaube, der Grund ist die Erfahrung von 1989: Die großen Ereignisse von damals haben die Bürger hier besonders sensibel für den Wert der Meinungsfreiheit gemacht. Sie spüren, wie diese heute  durch die gesellschaftlich erwartete Politische Korrektheit eingeschränkt wird. Hinzu kommt, daß sich viele Bürger bei uns von der Politik verraten und verkauft fühlen, gerade in der Migrationskrise. Viele Gesprächspartner sagen mir im Wahlkampf, sie hätten seit der Wende alle Parteien durchprobiert – und seien von allen enttäuscht worden. Viele sind sauer auf die Altparteien und freuen sich, daß die AfD da ist. Sie sagen: Jetzt gibt es endlich eine Alternative, dann wählen wir die auch!

Also sind Ihre Wähler tatsächlich keine Überzeugungs-, sondern Protestwähler?

Holm: Jede neue Partei lebt zu einem gewissen Grad vom Protest – sonst bräuchte es sie gar nicht. Ja, natürlich sind wir auch eine Protestpartei. Wir sind aber ebenso auch eine Partei, die konstruktiv arbeitet – das sieht man unter anderem an dem sehr soliden Landeswahlprogramm, das wir vorgelegt haben und das auch Zustimmung bei Anhängern anderer Parteien gefunden hat. Und natürlich haben wir neben Protestwählern auch Überzeugungswähler, die sagen: Endlich gibt es, seit Frau Merkel die CDU nach links verschoben hat, wieder eine vernünftige bürgerliche Partei!

Welchem Thema verdanken Sie Ihren Wählerzuspruch? Ist es nach wie vor die Flüchtlingspolitik oder gibt es auch landeseigene Themen? 

Holm: Wir kümmern uns um alle wichtigen Landesthemen. Wir wollen unsere Familien mehr unterstützen, unserem Nachwuchs endlich beste Bildung ermöglichen und für mehr Sicherheit sorgen. Wir erleben aber in der Tat auf jeder Veranstaltung, daß es nach wie vor das Asylthema ist, das die Bürger mit Abstand am meisten bewegt. Allerdings ist das bei etwa zwei Millionen Einwanderern im letzten und etwa 700.000 erwarteten in diesem Jahr auch kein Wunder. 

Das heißt, daß Ihre Wähler den 4. September weniger als Landtagswahl, denn als „kleine Bundestagswahl“ verstehen?

Holm: Das ist tatsächlich so. Es gibt nun mal derzeit keine andere Wahl, bei der die Bürger ihre Kritik daran zum Ausdruck bringen können, daß Frau Merkel und Herr Gabriel ihnen ungefragt die Lasten ihrer unkontrollierten Massenzuwanderung aufbürden. Da treten landespolitische Themen in den Hintergrund. Allerdings gibt es auch bei der Migrationsfrage einige Aspekte, die in die Kompetenz des Landes fallen und um die wir uns im Landtag intensiv kümmern wollen. Etwa das Thema Abschiebung, das Sache des Landes ist und bei dem die jetzige Landesregierung allerhöchstens Symbolpolitik betreibt. 

Die AfD ist, laut politischem Gegner, die Partei der Modernisierungsverlierer. Mecklenburg-Vorpommern ist tatsächlich strukturschwach. Beweist also der Anklang, den die AfD dort findet, die Modernisierungsverlierer-These?

Holm: Es ist eine sehr arrogante Herangehensweise einiger Politiker und Medien, die Wähler, die sich für eine Alternative entscheiden, so abzuqualifizieren. Zumal Politik doch gerade dazu da ist, sich der sozialen Probleme anzunehmen. Natürlich gibt es auch viele strukturschwache Gebiete und viele sozial schwache Bürger in Mecklenburg-Vorpommern. Und wir sehen es als unsere Aufgabe an, uns um diese zu kümmern. Aber zu uns finden Wähler aus allen Schichten, das zeigen Studien. Wir werden ebenso von Handwerkern, Selbstständigen und Mittelständlern gewählt. Wir sind eine echte, gar nicht mehr so kleine Volkspartei.

AfD, die Familienpartei – lautet Ihr Motto. Warum ist Ihnen das wichtig?

Holm: Weil nach meiner Ansicht die größte Krise Deutschlands die demographische Krise ist! Obwohl sie von der etablierten Politik unter ferner liefen behandelt und als angeblich unausweichlich betrachtet wird. Das sehen wir nicht so und wollen das Problem angehen. Allerdings nicht durch Zuwanderung, sondern dadurch, daß wir wieder mehr Kinder bekommen. Dafür wollen wir die Bedingungen schaffen!  

Anders als Björn Höcke in Thüringen und Alexander Gauland in Brandenburg versuchen Sie nicht zu polarisieren. Warum setzen Sie sich von diesem angeblichen politischen „Ost-Stil“ der AfD ab?

Holm: Na ja, ich spitze im Wahlkampf durchaus auch zu – nur möchte ich die Gesellschaft bei allem Streit in der Sache nicht polarisieren.    

Laut Herrn Gauland müsse man in den mitteldeutschen Ländern polarisieren, um Erfolg zu haben. Widerlegt Ihr Stil ihn?

Holm: Nein, so groß sind die Unterschiede doch gar nicht. Was ich versuche, ist, möglichst viele Menschen mitzunehmen – konsequent in der Sache, moderat im Ton. Wie gesagt, wir wollen Volkspartei sein. Wir haben im Osten eine Stärke erreicht, bei der wir jetzt darangehen müssen, Mehrheiten für uns zu gewinnen. Wir können uns da viel bei der FPÖ abschauen. 

Orientieren Sie sich bewußt eher an den AfD-Landesvorsitzenden in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz als an denen in Thüringen und Brandenburg?

Holm: Ich würde das nicht an Personen festmachen. Und wenn, dann haben mich da noch ganz andere beeinflußt. Helmut Schmidt zum Beispiel, der die Dinge klar und deutlich angesprochen hat und die Menschen mitzunehmen wußte. Übrigens hat Schmidt gerade in der Migrationsdebatte die AfD-Positionen inhaltlich voll untermauert. 

Wie würden Sie sich und die AfD in Mecklenburg-Vorpommern politisch definieren? Gehören sie auch, wie angeblich alle mitteldeutschen Landesverbände, zum „rechten Flügel“ der Partei, von dem viele Medien gerne sprechen?

Holm: Ich sehe uns keinem Flügel angehörig, weder einem angeblich rechten noch einem angeblich liberalen. Nochmal: In Mecklenburg-Vorpommern sind wir Volkspartei und integrieren verschiedene Strömungen. 

Was werden Sie als erstes anpacken, wenn Sie in den Landtag einziehen? 

Holm: Vor allem werden wir die Regierung mit unserer Arbeit in die richtige Richtung treiben, in der Familien- und Bildungspolitik oder bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Wir werden uns dem Thema GEZ widmen, denn Rundfunkpolitik ist Ländersache, und wir wollen uns dafür einsetzen, daß die Zwangsgebühren abgeschafft werden. Und wir werden möglichst schnell einen Gesetzentwurf einbringen, um für mehr direkte Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern zu sorgen.

Sollten Sie tatsächlich stärkste Partei werden, hätten Sie eigentlich den Auftrag zur Regierungsbildung. 

Holm: Dessen sind wir uns voll bewußt, und deshalb werden wir den anderen Parteien dann auch Gespräche anbieten, auch wenn diese schon abgewunken haben. Allerdings müßte ein möglicher Partner sich schon sehr deutlich in unsere Richtung bewegen. Das sehe ich nicht. Auch wenn es an der Basis, etwa bei der CDU, einige vernünftige Leute gibt, an der Spitze wird weiterhin Merkels Linkskurs unterstützt. Wir werden also realistischerweise als starke Oppositionskraft ins Rennen gehen. 

Sollten Sie also demnächst eine starke Landtagsfraktion im Rücken haben, werden Sie dann auch im AfD-Bundesverband künftig Akzente setzen?

Holm: Wir setzen schon jetzt Akzente durch unsere unaufgeregte, stringente Arbeitsweise. Aber klar, auch wenn wir zu den eher kleinen Landesverbänden gehören, wird sich unser Gewicht  mit einem starken Wahlergebnis sicher erhöhen.

Müssen Ihre Wähler nicht fürchten zu erleben, was man aus anderen AfD-Landtagsfraktionen kennt: Streit, Austritte, Skandale nach der Wahl?

Holm: Das hoffe ich nicht, und dafür sehe ich auch keinerlei Anzeichen. Wir versuchen hier, unsere Aufgabe im Fokus zu behalten. Viele Bürger in Mecklenburg-Vorpommern und in ganz Deutschland setzen schließlich große Hoffnungen in uns, das hören wir immer wieder. Ja, wir sind die letzte Chance zu einer wirklichen Wende. Diesem Vertrauensvorschuß müssen wir uns jederzeit würdig erweisen. 






Leif-Erik Holm, ist einer von zwei Landesvorsitzenden sowie Spitzenkandidat der Alternative für Deutschland in Mecklenburg-Vorpommern. Der ehemalige Radiomoderator des NDR und verschiedener privater Sender (zuletzt Antenne Mecklenburg-Vorpommern) wurde 1970 in Schwerin geboren, lernte Elektromonteur und studierte nach der Wende in Berlin Volkswirtschaft. Bereits vor Gründung der AfD trat Holm dem eurorettungskritischen „Plenum der Ökonomen“ bei, aus dem unter anderem die AfD entstand, der er seit Frühjahr 2013 angehört. 

 

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