© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/16 / 19. August 2016

Afrikas Zukunft steuern die Frauen
Die Bevölkerungsexplosion des Schwarzen Kontinents als globale Herausforderung
Oliver Busch

Das schauerlichste „Politikversagen“ (Bundesverfassungsrichter a. D. Hans-Jürgen Papier) seit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ist den Deutschen und den übrigen Europäern im Sommer 2015 als Erfüllung des „humanitären“ Gebots verkauft worden, „vor Krieg und Bürgerkrieg fliehenden Menschen“ zu helfen. Nur wenige einsame Rufer in der Wüste wie der Demograph Gunnar Heinsohn erinnerten im kollektiven Rausch der „Willkommenskultur“ daran, daß unter den aus raum- und kulturfremden Weltregionen eingefluteten Massen lediglich ein Viertel, etwa 300.000 meist junge, männliche Personen, aus dem nahöstlichen Krisengürtel stammte, während das Gros offenkundig als „Armuts- und Wirtschaftsflüchtlinge“ einzustufen war. Diesen Zustrom identifizierte Heinsohn daher als Rinnsal, das einen gewaltigen Abfluß aus den Menschenreservoiren Vorder- und Mittelasiens sowie vor allem Afrikas ankündigen würde.

Anstieg von heute 1,2 auf 4,4 Milliarden Afrikaner

Von Afrika sprechen jetzt auch zwei der Hauptverantwortlichen für die vermeintliche „Flüchtlingskrise“. Fast gleichzeitig wiesen Angela Merkel, vor dem CDU-Wirtschaftstag, und Wolfgang Schäuble, in seinem berüchtigten rassistischen „Inzucht“-Interview (Die Zeit vom 8. Juni 2016), auf die Überbevölkerung des Schwarzen Kontinents hin, deren Herausforderung durch  „Willkommenskultur“ und „Integration“ weder länger zu verstecken noch jemals zu meistern sei.

Wahrscheinlich geht diese plötzliche Horizonterweiterung auf einen barmherzigen Referenten zurück, der beiden Politikern das Juni-Heft von Spektrum der Wissenschaft in die Dienstpost schmuggelte. Es enthält einen Aufsatz des auf Demographie spezialisierten US-Wissenschaftsjournalisten Robert Engelman über „Afrikas bedrohliche Bevölkerungsexplosion“. An dessen Argumentationsmuster schienen sich Merkel und Schäuble zu halten und aus dem destillierten sie ihre neuen Weisheiten.

Engelmans Botschaft ist so simpel wie alarmierend: Die Erdbevölkerung bliebe mit derzeit 2,1 Kindern pro Frau konstant, wenn es Afrika nicht gäbe. Dort gebiert jede Frau durchschnittlich 4,7 Kinder. Die Vereinten Nationen korrigierten daher ihre Bevölkerungsprognosen „drastisch“: 11,2 statt der bisher errechneten 9,1 Milliarden Menschen dürften 2100 auf der Erde leben. Und diese Zunahme verursacht allein Afrika, wo nach vorsichtigen Modellierungen bis dahin ein Anstieg von heute 1,2 auf 4,4 Milliarden zu erwarten ist, während statistisch alternative Szenarien sogar mit „atemberaubenden“ 6 Milliarden kalkulieren. Gegen diese planetare Bedrohung nimmt sich der Klimawandel wie die Gelegenheit für eine Katastrophenübung des Technischen Hilfswerks aus.

Deswegen gehe der bereits heute von der globalen Entwicklung abgehängte Kontinent einer „düsteren Zukunft“ entgegen. Die weltweit einzigartig hohe Fertilitätsrate werde die fragilen politischen und sozioökonomischen Strukturen weiter unter Druck setzen. Parallel zur dafür ursächlichen Bevölkerungszunahme verschärfe sich Konkurrenz um Arbeit und Nahrung, um Wasser und fruchtbaren Boden. Landflüchtige streben in die Ballungszentren, Megastädte mit endlosen Slums breiten sich unkontrolliert aus. Amerikanische und französische Demographen sagen unisono ein exzessives Wachstum afrikanischer Großstädte voraus. Für Lagos bedeute dies 2050 bis zu 40 statt heute 11 Millionen, für Kin-shasa 31 statt 8,4 Millionen Einwohner. Ein Slum wie die Kibera-Vorstadt in Nairobi, mit seinen halben bis einer Million Menschen der größte Afrikas, werde bis 2050 zu Hunderten zwischen Kairo und Kapstadt anzutreffen sein.    

Hier komme ein Prozeß mit Riesenschritten voran, den der permanente Kampf um Existenzgrundlagen und Rohstoffe begleite, der Terrorismus und Bürgerkriege schüre. So resultiere der Aufstieg der nigerianischen Terrorgruppe Boko Haram vermutlich aus einem Streit zwischen Hirten und Bauern um das austrocknende Buschland in der Sahelzone. Wegen des Mangels an Arbeit vornehmlich in der Landwirtschaft nehme in ganz Zentralafrika „die Aggressivität junger Männer“ zu. Sudan, Südsudan, Somalia und die Zentralafrikanische Republik, bevölkerungsreich, unfähig ihr Gebiet zu verwalten und ein Mindestmaß an Sicherheit zu garantieren, führen die Liga der „instabilsten Länder der Welt“ an.

Größte Völkerwanderung der Menschheitsgeschichte

Überall eskalierten Konflikte und entlüden sich Spannungen, die nicht nur die natürlichen Ressourcen in den 54 Staaten Afrikas, sondern auch die anderer Kontinente gefährdeten. Denn 37 Prozent aller jungen Schwarzafrikaner zwischen 15 und 25, derzeit etwa 100 Millionen, wollen auswandern, um sich die Ressourcen des „Auslandes“ zu erschließen – faktisch die Europas. Aber selbst diese dann „größte Völkerwanderung der Menschheitsgeschichte“ (Heinsohn) behöbe Afrikas Elend nicht. 

Der einzige Ausweg eröffne sich, wenn es gelinge, das Bevölkerungswachstum zu bremsen. Diese Erkenntnis hätten UN und internationale Hilfsorganisationen zwar schon nach 1960 gewonnen, als sie deswegen afrikanische Regierungen drängten, „etwas zu unternehmen“. Doch seit Mitte der Neunziger verstummten die Appelle, denn Kritik am Fortpflanzungsverhalten wurde als politisch inkorrekt geächtet, weil es von „mangelndem Kulturverständnis“ zeuge. Da die Realität sich aber regelmäßig nicht an PC-Spielregeln hält, müßten sich, wie Engelman fordert, Afrikas Potentaten demographische Ratschläge von außen nun endlich gefallen lassen. 

Eine Schlüsselrolle spielten dabei die Frauen. Kleinere Familien setzen Aufklärung, Emanzipation und wirtschaftliche Selbständigkeit der Frau voraus. Ein Übergang zu Wohlstand ist für die nächsten Generationen nur dort möglich, wo die Verhütungsrate bei 60 statt bei gegenwärtig 29 Prozent liege. Dafür muß Aufklärung greifen. Denn Kinderzahl und Bildungsgrad hängen zusammen. Afrikanerinnen ohne Schulbildung bringen 5,4, jene mit Grundschulbildung 4,3, Absolventinnen höherer Schulen 2,7 und Frauen mit Hochschulabschluß schließlich die erwünschten 2,2 Kinder zur Welt. 

Obwohl die Daten nicht optimistisch stimmen, entdeckt Engelman einige ermunternde Anzeichen für ein Gegensteuern. In Tunesien habe der autoritäre Präsident Habib Bourgiba zwischen 1957 und 1987 mit Sozialreformen die Frauenemanzipation durchgesetzt, so daß die Geburtenziffer von sieben auf zwei Kinder gesunken sei. Auf der „Trauminsel“ Mauritius sank der Wert, gegen Widerstände von Muslimen und Katholiken, von 6 (1960) auf 1,5 (2015). Äthiopiens nach dem Vorbild Bourgibas regierende Führung drückte die Rate sogar in kürzester Zeit, von 2012 bis 2015, von 4,8 auf 4,1. Einige ebenso eindrucksvolle Rückgänge erzielten Kommunen in Kenia und Ghana. Tropfen auf den heißen Stein, aber für Engelman sichern nur solche das Bevölkerungswachstum eindämmenden Initiativen Afrikas Zukunft, und nicht die von bundesdeutschen Einladungen geförderte Auswanderung der „Überflüssigen“ in Europas Sozialsysteme.