© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/16 / 19. August 2016

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht
„Kopp“-Ente: Die Gerüchteküche im Internet ist direkte Folge des Glaubwürdigkeitsverlusts der Leitmedien
Ronald Gläser

Bis 2007 lag an vielen Supermarktkassen in den USA die Weekly World News. Das Schwarzweiß-Heft war immer voll mit Geschichten über Außerirdische. Viele Leute haben die Geschichten gelesen. Niemand hat sie je ernst genommen. 

In Deutschland gab es nie ein solches Blatt mit großer Reichweite, aber Geschichten über Marsmenschen wurden trotzdem immer wieder erzählt. In den achtziger Jahren trällerte Heinz Rudolf Kunze satirisch über einen Alien-Besuch: „Sie sind gelandet, mein Schwager hat’s mir erzählt. Nicht in Nevada, sie haben Deutschland gewählt.“

Aus Ali Sonboly wurde David S.

Geschichten mit Außerirdischen würden auch heute noch nicht geglaubt. Aber dafür sind andere mehr oder weniger fiktive Geschichten groß im Kommen. Die Vergewaltigung der rußlanddeutschen Lisa in Berlin beispielsweise  oder die von Polizeiberichten abweichende Darstellung des Münchner Amoklaufs von Ali Sonboly im Juli.

Die jüngste Story dieser Art wurde vor einer Woche vom Kopp-Verlag herausgebracht und verbreitete sich rasend schnell im Netz: Die Regierung schleust nachts heimlich Asylanten mit Chartermaschinen nach Deutschland. Beweis: überdurchschnittlich viele Flugverbindungen nach 22 Uhr aus der Türkei und Griechenland. Abflugorte sind Städte wie Heraklion, Izmir oder Istanbul. Alles nachlesbar im Netz. Dazu zitiert Kopp-Info anonyme Zeugen, die beweisen, daß neuerdings Passagiermaschinen auf dem Militärflughafen Wunstorf (Niedersachsen) landeten. Die Passagiere würden danach in Bussen weggekarrt.

Die JF-Redaktion ist der Sache nachgegangen: Ein paar Telefonate und Klicks im Netz später entschied sie, die Sache zwar weiter zu untersuchen – aber nicht mit dem Furor, den Kopp an den Tag legte. Denn: Es handelt sich bei den Flugzeugen um reguläre Passagiermaschinen, nicht um eigens gecharterte „Flüchtlingsbomber“. Zudem berichtete JF-Reporter Marco Pino vom Flughafen Köln-Bonn, wo er eine Nacht ausgeharrt und auf die angeblichen Flüchtlinge gewartet hat: „Ich habe nichts, wirklich gar nichts, gesehen, was einen Verdacht in diese Richtung rechtfertigen würde.“ In einem Interview auf JF Online entkräftet er die These vom Massenansturm, die auch offiziell dementiert wurde.

Selbst Kopp ruderte nach zwei Tagen etwas zurück. Der Autor räumte ein, daß es sich um reguläre Maschinen handele, die wegen niedriger Gebühren nachts ankämen und auch von normalen Touristen genutzt würden. Massenhafte Familienzusammenführungen gäbe es dennoch.Damit könnte die Story als Sommerlochgeschichte abgehakt werden. Wird sie aber nicht. Einige Leitmedien nutzen sie jetzt, um ein Strafgericht gegen den Kopp-Verlag einzuberufen. Die Huffington Post warnte ihre Leser vor der „großen rechten Verschwörungsseite“: „Die Geschichte, die bis Mittwoch mittag über 23.000mal bei Facebook geteilt wurde, ist einfach nur hanebüchener Unsinn.“ Der Standard bemängelt die Existenz „nachprüfbarer Fakten“. Und die B.Z. titelte: „Wer glaubt denn sowas?“ 

In der Seite-1-Geschichte präsentierte die Berliner Boulevardredaktion eine satirisch gemeinte Zuspitzung eines Facebook-Nutzers, der behauptet, „die Amerikaner“ würden Asylanten mit Stealthbombern auf dem Flughafen BER abladen, der insgeheim zu diesem Zweck eröffnet worden sei. Dazu präsentierte die Zeitung einen Psychologen, der behauptet, die angebliche Fremdenfeindlichkeit der Deutschen sei der Nährboden für solche Geschichten.

Wieder vertun die Leitmedien eine Chance. Sie könnten solche Geschichten zum Anlaß nehmen, ihre eigene Rolle kritisch zu überdenken. Denn die Ursache für die Verbreitung  solcher Verschwörungstheorien liegt auf der Hand: Es wurde selten so viel gelogen wie in der Asylkrise. 

Ständig müssen Gerüchte überprüft werden

Wer faktenfrei über die Asylkrise berichtet (siehe Beitrag unten), aber die offensichtliche Herkunft von Grapschern im Freibad verschweigt, darf sich über seinen eigenen Glaubwürdigkeitsverlust nicht wundern. Es waren der Spiegel und die Süddeutsche, die aus dem iranischstämmigen Münchner Amokläufer Ali Sonboly den Todesschützen Davis S. machten. Georg Mascolo (NDR/WDR/SZ, ehemals Spiegel) verbreitete sogar die Vermutung, München sei ein rechtsextremer Anschlag gewesen. Eine andere Spiegel-Reporterin reagierte mit Unverständnis, daß die JF der Sache mit den Flugzeugen überhaupt nachgegangen ist: „Muß man Irrsinnsgerüchte ernsthaft überprüfen?“ 

Ja. Journalisten überprüfen den Wahrheitsgehalt von Gerüchten. Das meint auch Nikolaus Fest. Der frühere Vize-Chef der Bild am Sonntag sagte im Zusammenhang mit dieser Geschichte zur JF: „Die im Netz kolportierten Geschichten von heimlichen Nachtflügen für Migranten sind vermutlich ebenso wahr wie die der etablierten Medien über das plötzliche Massenphänomen der Syrer oder Afghanen, die Tausende Euro fanden und bei der Polizei ablieferten. Wie es Zeitungsenten gibt, gibt es auch Netzenten – nur daß früher solche Falschmeldungen meist auf Irrtümern beruhten, heute dagegen oft auf Vorsatz.“