© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/16 / 19. August 2016

„Ackerland, günstiger Diesel und tolle Frauen“
Agrarmarkt: Wegen der beiderseitigen Sanktionspolitik investieren ausländische Unternehmer zunehmend direkt in Rußland
Thomas Fasbender

Seit 2013 hat sich der deutsche Export nach Rußland von 38 Milliarden auf 21 Milliarden Euro fast halbiert. Im laufenden Jahr sollen die Ausfuhren erstmals auf unter 20 Milliarden Euro rutschen – dem Niveau der Exporte nach Dänemark. Das trifft besonders schmerzlich die deutsche Agrarbranche (JF 25/16). Die deutsche Milchwirtschaft in Rußland hat indes weiter einen festen Stand. Das verdankt sich nicht zuletzt dem hessischen Bauernsohn Stefan Dürr, der 1989 als Praktikant in den unbekannten Osten aufbrach. 14 Hektar plus Gastwirtschaft bewirtschaftete Vater Dürr im Odenwald – ein Vierteljahrhundert später hat der Sohnemann es in Rußland zu annähernd 200.000 Hektar gebracht.

Deutscher schlug Putin Gegenmaßnahmen vor

Neben Ackerland bilden 25.000 Milchkühe die Basis von Dürrs Agroholding Ekosem. Ende 2013 waren es noch keine 20.000 Stück. Dann brach der schwelende politische Konflikt mit dem Westen aus. Dürr hat selbst eingestanden, daß er es war, der bei einem Treffen mit Präsident Wladimir Putin im Sommer 2014 in seiner südwestrussischenWahlheimat Woronesch vorschlug, ein Importembargo gegen westliche Agrarprodukte zu verhängen. Zuvor hatten die USA und die EU in Reaktion auf die Krim- und Ukrainekrise weitreichende Sanktionen gegen russische Bürger und Firmen beschlossen.

Für Dürr und die übrigen russischen Milchproduzenten war das inzwischen bis 2017 verlängerte Embargo ein Gottesgeschenk. 2014 steigerten die Ekosem-Betriebe ihren Milchausstoß um 28 Prozent auf fast 154.000 Tonnen. Stefan Dürr ist seither der größte Milchproduzent Rußlands. Die Nummer zwei im Markt gehört einem Duma-Abgeordneten, aber auch Danone und PepsiCo gehören längst zu den „systemrelevanten Unternehmen“, die bei Problemen auf den russischen Staat zählen können.

Das Deutsche Milchkontor (DMK), 2011 aus dem Zusammenschluß der Molkereien Humana und Nordmilch entstanden, setzt künftig auch auf die Produktion in Rußland. Die mächtige Genossenschaft verarbeitet derzeit jährlich 6,7 Millionen Tonnen Milch und ist mit 4,6 Milliarden Euro Umsatz auch europaweit einer der ganz Großen. 

Das russische Kartellamt erlaubte der DMK im Mai die Übernahme der Bobrowsker Käserei sowie der im Woronescher Gebiet beheimateten Milchverarbeiter CheeseArt und FlamanFracht. Vor Verhängung des Importembargos waren diese Unternehmen wichtige DMK-Importeure. Künftig könnten sie als Distributoren lokaler Produktion unter deutscher Kontrolle dienen.

Die Lactalis-Gruppe, nach Danone die Nummer zwei im französischen Markt, produziert Weichkäse der Marke Galbani im Jefremower Milch- und Käsewerk im Moskauer Gebiet. Arla Foods aus Skandinavien bereitet eine Kooperation mit dem russischen Partnerunternehmen Molwest vor. Die finnische Valio, die darauf gesetzt hatte, den russischen Markt von Finnland aus zu bedienen und so 2014 gravierende Einbußen erlitt, plant die Verdopplung der lokalen Produktion auf den Anlagen der Wettbewerber Ehrmann, Galaktika, Allgäu und Kochmeister.

Es sind nicht nur die Großen, die von der Lokalisierung profitieren. Vor zwölf Jahren wanderten drei Schweizer in das südlich von Moskau gelegene Kaluga aus. Seither hat der Betrieb „Schweizer Milch“ sich auf 420 Kühe und 800 Hektar vervierfacht. Der Milchpreis liegt dabei deutlich über dem in Westeuropa. Die Nachteile: mehr als 220 Tage Winterfütterung und Zinsen von bis zu 20 Prozent.

Chance zu Aufbau von riesigen Agrarfabriken

Günstige Agrarkredite erhält nicht jeder. Doch nach harten Anfangsjahren sind sie inzwischen etabliert. Ein anderer Eidgenosse, Georg Zelerin, anfangs ein erfolgreicher Landtechnikimporteur, hat weiter im Süden über 5.000 Hektar Ackerland und 250 Simmentaler Kühe von der Kolchose „Stiller Don“ gekauft und zeigt mit Weizen, Körnermais und Sonnenblumen erfolgreich, was im Schwarzerdegebiet möglich ist. Auch Landwirte, die nicht als Investoren kommen, finden in Rußland ihr Glück. „Hier gibt es alles, was dem deutschen Bauern fehlt“, sagt der Franke Christian Kowalczyk und konkretisiert: „Ackerland, günstigen Diesel und tolle Frauen.“ 2009 erhielt er bei Stefan Dürrs Ekosem die Chance, einen Betrieb mit 24.000 Hektar aufzubauen. Inzwischen ist er Vizegeschäftsführer eines Großbetriebs im Gebiet Orjol unweit des Dreiländerecks Ukraine, Weißrußland und Rußland. Dort kümmert Kowalczyk sich um 158 Mitarbeiter und 35.000 Hektar Ackerfläche – gut ein Drittel der Fläche Berlins. Der durchschnittliche deutsche Landwirt bestellt gerade mal einen Bruchteil davon. Seine russische Frau, ebenfalls studierte Agraringenieurin, hat er auf dem Acker kennengelernt.

Die Politik kann noch so viele Sanktionen verhängen – Rußland ist allerdings viel zu attraktiv, um es links liegen zu lassen. Die deutschen Unternehmen engagieren sich inzwischen unter dem Radar – ohne Politiker, ohne Diplomaten und ohne Journalisten. 1,78 Milliarden Euro haben sie 2015 investiert. Fast 1,1 Milliarden  Euro waren es allein im ersten Quartal 2016. Wenn das so weitergeht, übertreffen die deutschen Direktinvestitionen 2016 sogar die Boomjahre vor 2008.

Agroholding Ekosem/EkoNiva-APK:

 www.ekosem-agrar.de

 ekoniva-apk.ru