© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/16 / 19. August 2016

Selbstbewußt, aber nicht abgehoben
Österreichs Außenminister Sebastian Kurz: Mit klaren Worten der FPÖ Paroli bieten
Verena Inauen

Zu einem Minister mit Ecken und Kanten entwickelt sich derzeit Österreichs jüngster Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP). Durch zuwanderungskritische Aussagen wie „Rettung aus Seenot ist kein Ticket nach Europa“ oder klaren Ansagen in Richtung der Türkei gewinnt er immer mehr Wähler aus dem freiheitlichen Lager. Parteiintern gilt er als vielversprechende Zukunftshoffnung, nicht zuletzt aufgrund miserabler Umfragewerte der Altpartei von nur noch 19 Prozent (Gallup) der Wählerstimmen. 

Mit 17 Jahren trat das heutige Aushängeschild der Altpartei der Jungen ÖVP (JVP) bei, vier Jahre später ist er deren bundesweiter Obmann. Mit 23 Jahren war er Landtagsabgeordneter in Wien und nur ein Jahr später Integrationsstaatssekretär. Ein Amt, das für ihn erfunden und auf ihn maßgeschneidert wurde, bevor er mit nur 27 Jahren zum jüngsten Außenminister Europas gemacht werden sollte.

Anfänglicher Flop mit „Geil-o-mobil“

Vor wenigen Jahren noch tourte der gebürtige Wiener nach seinem mit Auszeichnung bestandenen Abitur mit einer mobilen Umweltsünde durch die Stadtbezirke, um den Jungwählern seine Partei schmackhaft zu machen. „Schwarz macht geil“ betitelte die JVP ihre später als Flop abgestempelte Werbeaktion mit einem schwarzen Hummer, der als „Geil-o-mobil“ wiedererkannt wurde. 

Nicht weniger von Fremdschämen gekennzeichnet war das Starkmachen von Kurz für eine Nacht-U-Bahn. Neben einer jungen Frau, die ihren Begleiter anschmachtete, war das Motto „24h Verkehr in Wien“ zu lesen. Heute nicht mehr wegzudenken, wurden die Nachtlinien nach einer Volksabstimmung umgesetzt. 

Trotz dieser Peinlichkeiten zog der damals noch für viele Wähler überheblich wirkende Sebastian Kurz nach absolviertem Präsenzdienst beim Bundesheer in den Wiener Landtag ein und sorgte dort bereits als Jungspund für Furore. Gern widersprach er in den Bereichen Sport und Jugend sowie bei sozialen Belangen wesentlich älteren und erfahreneren Abgeordneten.

 Zwar sagte seine Partei etwa ja zu einer finanziellen Mindestsicherung, „aber vor allem zu einer bedarfsorientierten Mindestsicherung mit dem Ziel des Wiedereinstiegs in den Arbeitsmarkt“. Die Anreize zu einer schnellstmöglichen Eingliederung ins Berufsleben sah Kurz vor allem in der Motivation zur Leistungsbereitschaft und nicht in der von den Grünen vorangetriebenen Abschaffung von Schulnoten. Denn damit würde jungen Menschen vermittelt werden, „daß es nicht notwendig ist, Leistung zu erbringen, daß die, die weiterkommen und etwas in ihrem Leben erreichen wollen, ohnehin die Schlechten sind“. 

Bereits zu diesem Zeitpunkt versuchte der Sohn einer Gymnasiallehrerin und eines Ingenieurs, der FPÖ das Wasser abzugraben und setzte sich vermehrt für die heimischen Hilfsbedürftigen ein. Dort ortete er den wirklichen Handlungsbedarf und weniger bei finanziell schlecht gestellten Zuwanderern: „Das ist etwas, wo es auch genug zu tun gibt und was man bei all der Freude über die Mindestsicherung, glaube ich, nicht vergessen darf.“ Mit just jener Klientel sollte sich die Nachwuchshoffnung allerdings ab Juni 2011 vermehrt beschäftigen.

Ein knappes Jahr nach ersten scharfen Wortmeldungen in Richtung Zuwanderer wurde ein eigenes Amt geschaffen, und Sebastian Kurz wurde zum Integrationsstaatssekretär ernannt. Bereits zu diesem Zeitpunkt beschäftigte eine vermehrte Zuwanderung die österreichische Bevölkerung, worauf die in Umfragen bereits schwächelnde ÖVP ein gesondertes Programm zur besseren Integration einführte. Dies forderte unter anderem die Sprachförderung bereits im Kindergarten als auch die bessere Identifikation von Migranten mit Österreich.  

„Der durchschnittliche Zuwanderer von heute ist gebildeter als der durchschnittliche Österreicher“, entfuhr es Kurz nach Amtseinführung bei einer scheinbar unbedeutenden Diskussionsrunde im ländlichen Niederösterreich. Dem 24jährigen Studenten der Rechtswissenschaften gelang es trotzdem unerwartet schnell, eine sachliche Debatte in der von Emotionen geprägten Zuwanderungsfrage voranzutreiben. Während er eine rasche Verleihung der Staatsbürgerschaft für vorab geprüfte und gut integrierte Ausländer forderte, hob er allerdings auch massive Mißstände in einem öffentlichen Bericht hervor.

Ungewohnt harsche Kritik in Richtung Ankara

Kritik kam von der oppositionellen FPÖ, welche die Untersuchung als „Dokument des Scheiterns“ betitelte und von Kurz nicht nur Worte, sondern Taten forderte. Als auffällig aktiv wurde der damalige Sekretär des Innenministeriums hinter vorgehaltener Hand von den Grünen gelobt, welche bereits auf eine Nachfolge aus den eigenen Reihen für das neu erschaffene Amt hofften. Doch nur wenige Tage vor der Nationalratswahl im Oktober 2013 wurde Kurz hochriskant von seiner Partei in den Nationalrat einberufen. 

Trotz eines Wahldebakels für Rot-Schwarz wurde er bei der Neuauflage der Koalition im Dezember zum Minister für Europa, Integration und Äußeres ernannt. Das nur drei Jahre existierende Integrationsstaatssekretariat wurde dabei zum Ärger der Grünen kurzerhand mit in das Auswärtige Amt verlegt. Und der damals 27jährige Politiker legte den bislang steilsten Karrieresprung hin, indem er der jüngste Außenminister in der Geschichte Österreichs wurde. 

Vorbereitet wurde der heutige Paradepolitiker auf das von ihm im Dezember 2013 übernommene Amt bereits während etlicher Auslandsbesuche in den Jahren davor. Während er vom serbischen Innenminister Ivica Dacic noch mit einem Schmunzeln empfangen wurde, machte er bei den darauffolgenden Besuchen in Bosnien, Deutschland oder der Türkei eine gute Figur. Dort traf er 2012 Ministerpräsident Recep T. Erdogan, dessen austro-türkischen Anhängern er heute nach dem mißglückten Putschversuch nahelegt, ihre Gesinnung besser in der Türkei als in Österreich auszuleben. „Wer sich in der türkischen Innenpolitik engagieren will, dem steht es frei, unser Land zu verlassen“, ließ Kurz von der Anti-IS-Koalition in Washington per Telefon selbstbewußt an den türkischen Botschafter in Wien ausrichten. Selbstbewußt agiert Kurz auch in Hinblick auf die türkischen Drohungen, den „Flüchtlingsdeal“ platzen zu lassen. Konträr zum Stillhalten der deutschen Kanzlerin Angela Merkel gibt der 29jährige nun den Ton in außenpolitischen Angelegenheiten in der EU vor.

Sebastian Kurz kleidet sich elegant, legt trotz seines jungen Alters eine Etikette an den Tag, die man auf dem internationalen Parkett achtet. Journalisten weiß er mit kritischen Antworten zu kontern und überzeugt durch eine erfrischende Ehrlichkeit. Eine Koalition mit den Blauen schließt er nach derzeit besten Umfrageergebnissen für die FPÖ nicht aus. Und doch schafft er es damit, nicht nur den weiter rechts stehenden Freiheitlichen Konkurrenz zu machen, sondern auch seinen innerparteilichen und wesentlich älteren Kollegen, die um das Amt des Bundeskanzlers buhlen. Bislang waren alle Kanzlerkandidaten Mitglied in einer katholischen Studentenverbindung, was Kurz mit seinem beachtlichen Werdegang erstmals gelingen könnte zu durchbrechen.