© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/16 / 12. August 2016

Fiat ist wieder auf der Überholspur
Familie Agnelli: Vor 150 Jahren wurde eine der großen Industriellendynastien Europas begründet
Thomas Fasbender / Jörg Fischer

Gottlieb Daimler, Carl Benz, August Horch oder Ferdinand Porsche – diese deutschen Autopioniere kennt jeder. Auch Henry Ford ist ein Begriff. Der Name Giovanni Agnelli sagt den Jüngeren jedoch kaum noch etwas. Dabei ist der Agnelli-Clan eine der ganz großen und immer noch einflußreichen Industriellendynastien in Europa, die am 13. August 1866 mit der Geburt von Giovanni Agnelli begründet wurde. Der aus einer Grundbesitzerfamile aus dem Turiner Umland stammende Unternehmer gründete 1899 mit Partnern die Fabbrica Italiana Automobili Torino, die unter dem Namen Fiat Industriegeschichte schrieb und schreibt.

Selbst Ford, GM und Chrysler, die großen drei US-Automobilhersteller, folgten erst später. Als der letztgenannte 2008 in die Krise geriet, wurde er von Fiat gerettet. Das überraschte – doch die Amerika-Orientierung pflegte schon Giovanni Agnelli, der Henry Ford 1906 erstmals traf. Die Autobaron-Freundschaft übertrug sich auch auf Henry Ford II, der nur dreieinhalb Jahre älter war als Agnellis gleichnamiger Enkel.

Mit Kleinwagen zum ganz großen Erfolg

Mit dem meist nur „Gianni“ genannten Agnelli (1921–2003) zogen auch Glamour und Reichtum in die Turiner Familie ein, Agnelli-Repräsentanten prägten die Ära der Playboys und des Jet-Sets. Der Schillerndste unter ihnen, der Gründerenkel, oft „il Re“ (der König) genannt, verkörperte beispielhaft den angelsächsischen Begriff „larger than life“. Größer als das Leben selbst, eine Existenz jenseits der Realität. Gianni war es auch, unter dessen Herrschaft der Familienkonzern Fiat im Zenit seiner Bedeutung stand. Fiat ist Agnelli, auch wenn die jüngsten Sprosse, die Söhne der Gianni-Tochter Margherita, den Familiennamen Elkann tragen.

Den Grundstein für die Präsenz der Familie in der Welt der Reichen, Schönen und Edlen legte schon der Gründersohn Edoardo 1919 mit der Wahl seiner Ehefrau: Donna Virginia Bourbon del Monte aus dem Hause der Prinzen di San Faustino. Edoardo holte auch die Liebe zum Fußball in die Familie: Vier Familienmitglieder waren Präsidenten von Juventus Turin, seit 2010 ist es Andrea Agnelli, der letzte männliche Namensträger. Juventus-Eigentümer ist die von dem 40jährigen John Elkann geführte Exor-Holding, zu der heute unter anderem einer der weltgrößten Rückversicherer (PartnerRe), Teile des Economist-Verlages oder Ferrari gehören.

Der Wunsch, weitere Branchen zu erobern, schlummerte schon im Fiat-Gründer. Mit dem – wie er aus dem Piemont stammenden – Unternehmer Riccardo Gualino organisierte Agnelli ab 1917 den Transport von US-Militärhilfe über den Atlantik und produzierte Motorschiffe in den USA. 1918 unternahmen die beiden den Versuch, die Bank Credito Italiano zu übernehmen und kauften sich mit einem Drittel bei der Zeitung La Stampa ein. 1923 wurde Giovanni Senator auf Lebenszeit. Als er 1945 im Alter von 79 Jahren starb, hatte er Edoardo um zehn Jahre überlebt.

Mit dem Fiat ging es steil bergauf: 1914 lag Fiat auf Platz 30 unter den Unternehmen der italienischen Industrie. Bei Kriegsende 1918 war Fiat bereits die Nummer drei. Gianni kämpfte ab 1941 als Leutnant an der Seite der Wehrmacht in Rußland, dann in Nordafrika, wo ihm ein deutscher Offizier während des Streits um ein Mädchen in den Arm schoß. Nach der Absetzung Mussolinis kämpfte er auf seiten der Alliierten.

In der Nachkriegszeit war er als Playboy und Stilikone bekannt: Viele kopierten seine Manier, die Armbanduhr über der Manschette zu tragen. Offene Hemdkragen unter der Krawatte und Cowboystiefel zum Maßanzug waren inszenierte Details, „sprezzatura“ zu erzeugen, noble, coole Lässigkeit. 

Den Kickstart für den ganz großen Erfolg lieferte ein Kleinstwagen: der Fiat 500. Dessen Ära begann 1957, er wurde 20 Jahre lang fast unverändert produziert. Der Fiat 124 und seine Derivate (Asia, Lada, NSU, Seat, Tofas) zählten zu den zehn meistgebauten Pkws der Welt. Gianni übernahm 1966 die Fiat-Gesamtleitung und kontrollierte damit vier Prozent der gesamten italienischen Wirtschaftsleistung und drei Prozent der Industriearbeiterschaft. 

Der wiederauferstandene Fiat 500 verkauft sich gut

Er war ein Gegner der Linken und Gewerkschaften, aber gleichzeitung wurde Fiat in Turin „La Mamma“ genannt. Wie zu Gründerzeiten von Bosch, Siemens, Krupp oder Zeiss erlebten Zehntausende Fiat-Mitarbeiter heute unvorstellbare Verhältnisse: freie Wohnungen, Gratis-Gesundheitsversorgung, Sanatorien und Kindergärten. Mit der Globalisierung zerbrach schließlich das Turiner Modell, Fiat rauschte in die Krise. 

1996 übergab Gianni den Stab an seinen jüngeren Bruder Umberto. 1997 starb Umbertos Sohn Alberto mit 33 Jahren an Krebs. Im Dezember des selben Jahres wurde der damals 20jährige John Elkann, Sohn der Gianni-Schwester Margherita, testamentarisch als Erbe eingesetzt. Elkann ist Margheritas Sohn aus ihrer Ehe mit Alain Elkann, der einer französischen Industriellenfamilie entstammt. Giannis Sohn Edoardo stürzte sich 2000 in Turin von einer Brücke.

Obwohl Fiat mehr als ein Pkw-Hersteller ist – zu Fiat Industrial (seit 2013 CNH Industrial) gehören unter anderem die Lkw-Sparte Iveco, der Agrar- und Baufahrzeugkonzern New Holland, Steyr-Traktoren oder Magirus (Feuerwehr) –, folgten schwierige Jahre. Erst als der familienfremde, in Kanada aufgewachsene Manager Sergio Marchionne 2004 den Fiat-Chefposten übernahm, ging es mit dem Konzern wieder aufwärts. Der inzwischen 64jährige ist das Gegenteil des unvergessenen Gianni – mit weniger Bürokratie, schnelleren Prozessen, Ausrichtung auf den Markt und vor allem neuen, erfolgreichen Modellen hat Marchionne den Konzern saniert.

2014 mündete die 2008 geschmiedete Allianz mit Chrysler in eine italienisch-amerikanische Fusion: Die Fiat Chrysler Automobiles hat ihren Sitz aus steuerlichen Gründen in Amsterdam und London. Die Führung blieb aber in Turin und Auburn Hills (Metropolregion Detroit). Zu FCA gehören so klangvolle Namen wie Alfa Romeo, Lancia und Maserati oder Dodge und Jeep. Der Chrysler Town & Country ist mit zwölf Millionen Exemplaren der meistverkaufte Minivan in den USA, der riesige Ram 1500 lag 2015 mit 550.000 Exemplaren auf Platz drei bei den Pickups. Aus dem 2007 wiederauferstandenen Kleinwagen Fiat 500 ist eine Erfolgsbaureihe entstanden – mit dem Minivan 500L (produziert in Serbien) und dem 2014 vorgestellten Mini-SUV 500X, der Lifestyle-Modellen wie BMWs Mini-Serie solvente Käufer abjagt.

Erbe John Elkann steht derweil Exor vor, wo die Familienbeteiligungen gebündelt sind. Das Magazin Fortune hält ihn für den weltweit viertmächtigsten Manager bis 40 – denn Marchionne hat angekündigt, 2018 in Rente gehen zu wollen. Dann dürfte Elkann das Fiat-Ruder übernehmen und damit in die Fußstapfen Giovanni Agnellis treten, mit dem vor 150 Jahren die Turiner Erfolgsgeschichte begann.

Jennifer Clark: Mondo Agnelli – Fiat, Chrysler, and the Power of a Dynasty. Wiley-Blackwell Verlag, Hoboken 2011, 368 Seiten, gebunden, 29,95 Dollar