© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/16 / 12. August 2016

Karlsruher Kulturwandel
Bundesverfassungsgericht: Die als progressiv eingeschätzte Göttinger Juristin Christine Langenfeld folgt dem konservativen Richter Herbert Landau
Björn Schumacher

Mit der Wahl und Ernennung von Christine Langenfeld zur Richterin am Bundesverfassungsgericht rückt die Frage, nach welchen Kriterien Stellen am höchsten deutschen Gericht besetzt werden, wieder einmal ins Blickfeld. Maßgebend sind vor allem die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG). 

Es sieht vor, daß Bundestag und Bundesrat jeweils die Hälfte der insgesamt sechzehn Richter in den zwei Senaten bestimmen. Gewählt werden die Kandidaten in beiden Parlamentskammern mit einer Zweidrittelmehrheit, was einen breiten Konsens der dort vertretenen Parteien erfordert. Da Grundsatzurteile der Karlsruher Richter von großer politischer Tragweite sind, werden die Kandidaten naturgemäß einer „Gesinnungskontrolle“ unterzogen.    

So stolperte 2008 der Würzburger Rechtsphilosoph und Staatsrechtler Horst Dreier über seine Kommentierung des Artikels 1 Grundgesetz (GG). SPD-Mitglied Dreier hatte zwar ein klares Bekenntnis zur Unantastbarkeit der Menschenwürde abgelegt, zugleich aber hervorgehoben, daß sich im Falle polizeilicher Rettungsfolter nicht nur der (mutmaßliche) Verbrecher, sondern auch dessen Opfer auf Artikel 1 des Grundgesetzes berufen könne. Die daraus resultierende „Pflichtenkollision“ sei unter Umständen zugunsten der Rettungsfolter aufzulösen.

Den CDU/CSU-Mitgliedern des Bundesrats war das zu subversiv. Anstelle von Dreier wechselte der Freiburger Staats- und Verwaltungsrechtler Andreas Voßkuhle nach Karlsruhe. Inzwischen Präsident des Bundesverfassungsgerichts, wurde er zur medialen Galionsfigur des „Lissabon-Urteils“ vom 30. Juni 2009. Diese Entscheidung des Zweiten Senats folgt im wesentlichen traditioneller Verfassungsinterpretation und schützt den souveränen demokratischen Nationalstaat als Teil einer unveränderbaren „Verfassungsidentität“ gegen Machtansprüche der Brüsseler Bürokratie.

Problemlos schaffte  Christine Langenfeld den Sprung an das Bundesverfassungsgericht. Vor allem die Grünen bejubelten diesen Richtervorschlag der CDU. Langenfelds Vita paßt wie maßgeschneidert zum postnationalen Elitendiskurs mit schwarz-rot-grüner Grundierung, dessen Gravitationsfelder von Angela Merkel besetzt werden. 

Geboren 1962 in der „europäischen Hauptstadt“ Luxemburg als Tochter des EU-affinen CDU-Politikers und zeitweiligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Carl-Ludwig Wagner, veröffentlichte Langenfeld eine juristische Habilitationsschrift mit dem erstaunlichen Titel „Integration und kulturelle Identität zugewanderter Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland“. Seit 2000 ist sie Lehrstuhlinhaberin für Öffentliches Recht in Göttingen und seit 2012 Vorsitzende des „Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration“.

Wie Christine Langenfeld die Deutungsspielräume ihrer Richtertätigkeit ausfüllen wird, bleibt einstweilen offen. Die Befürworter dieser Personalie dürften auf einen Zuwachs an Political Correctness spekulieren, zumal Langenfelds Vorgänger im Zweiten Senat, Herbert Landau, Duftmarken als „konservativer Rebell“ hinterlassen hat. 2013 widersetzte er sich dem feministischen Grundsatz-urteil zur steuerlichen Gleichstellung von Ehe und eingetragener Partnerschaft und bekräftigte per Sondervotum, daß Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehen (Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes). 

Läßt sich aus dem höchsten deutschen Gericht im Wege der Richterwahl ein Schwert des linksideologischen Kulturkampfs schmieden? Beispielsweise dann, wenn Linksparteien geistesverwandte Richterkandidaten vorschlagen, die von anderen Parlamentariern aus Desinteresse oder Koalitionskalkül „durchgewinkt“ werden? Diese Bedingung könnte auf Bundesebene idealtypisch erfüllt sein. 

2010 wählte der Deutsche Bundestag die von Rot-Grün nominierte Susanne Baer, eine bekennende „radikale Feministin“, Gender-Preisträgerin und Lehrstuhlinhaberin für öffentliches Recht und Geschlechterstudien, in den Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts. Kein Thema für die breite Öffentlichkeit – die Transformation von Volk und Staat ist ein schleichender Prozeß.