© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/16 / 12. August 2016

Viele kommen, wenige gehen
Asylstatistik: Über eine Million Verfahren abgeschlossen / „Dublin“ funktioniert nicht
Henning Hoffgaard / Felix Krautkrämer / Christian Vollradt

Anfang der Woche legte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine neuen Zahlen vor. Demnach steigt die Zahl der gestellten Asylanträge in Deutschland weiter. So wurden im Juli 74.454 Asylbegehren registriert. Im Vergleich zum Vorjahresmonat stieg diese Zahl um fast einhundert Prozent. Gegenüber Juni ist ein leichter Rückgang um 0,2 Prozent zu verzeichnen. Hauptherkunftsländer waren wieder Syrien (22.547), Afghanistan (16.229), der Irak (9.175), Iran (3.640) sowie Pakistan (1.913). Aus den Westbalkanstaaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien wurden insgesamt 4.225 Asylgesuche gestellt. 

Im gleichen Zeitraum wurde über die Anträge von 53.008 Personen entschieden. In 31,3 Prozent der Fälle wurde den Asylbewerbern dabei die Rechtsstellung eines Flüchtlings laut der Genfer Flüchtlingskonvention zuerkannt. Weitere 30 Prozent erhielten subsidiären Schutz. Zwei Prozent dürfen vorerst nicht abgeschoben werden. Abgelehnt wurden die Anträge von 12.434 Personen (23,4 Prozent). Anderweitig erledigt, etwa durch Rücknahme des Antrags oder Verfahrenseinstellungen, wurden 13,3 Prozent. 

Unterdessen wurde bekannt, daß immer mehr Asylbewerber juristisch gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorgehen. Bis Ende Mai waren knapp 6.000 sogenannte Untätigkeitsklagen gegen die Behörde anhängig, berichtet der Radiosender „hr-info“. Ende März lag die Zahl der Klagen noch bei 3.271. Mit dem juristischen Vorgehen wollen Asylbewerber das Bundesamt zwingen, sich mit ihren Asylanträgen zu beschäftigen. Teilweise liegt die Bearbeitungsdauer bei bis zu zwei Jahren. Ein Sprecher des Verwaltungsgerichts Gießen sagte, die Mehrzahl der Klagen komme von Somaliern. 

Außerdem halten sich in Deutschland derzeit mehr als eine halbe Million Asylbewerber mit abgelehntem Antrag auf. Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mitteilte, habe die Behörde zum 30. Juni dieses Jahres 1.051.892 abgeschlossene Asylverfahren gezählt. Darunter befänden sich 39.645 Asylberechtigte, 364.990 anerkannte Flüchtlinge, 12.519 Personen, denen subsidiärer Schutz nach dem Asylgesetz gewährt worden sei, sowie 536.997 Personen mit dem Status „Asylantrag abgelehnt“. Zu letzteren zählten aber auch Personen, deren Asylantrag bereits vor vielen Jahren abgelehnt wurde und die sich mittlerweile legal in Deutschland aufhielten. Zu den mehr als eine Million abgeschlossenen Asylverfahren kämen noch 496.000 Anträge, die derzeit in Bearbeitung seien. Auch gebe es eine nicht zu beziffernde Anzahl an Personen, die noch keinen Antrag auf Asyl gestellt hätten. Insgesamt hielten sich damit bis zum 30. Juni mehr als 1,5 Millionen Ausländer in Deutschland auf, die Asyl beantragt oder Schutz gemäß anderer Richtlinien erhalten hatten. 

Untertauchen kann         sich durchaus lohnen

Gemäß dem Dublin-Abkommen haben deutsche Stellen zudem im ersten Halbjahr 2016 insgesamt 23.911 Übernahmeersuchen an andere EU-Mitgliedstaaten gestellt; davon 16.393 mit Treffern in der sogenannten Eurodac-Datenbank, in der die Fingerabdrücke von Asylbewerbern gespeichert werden, und 7.518 ohne entsprechende Treffer. Allerdings wurden laut Auskunft des Bundesinnenministeriums im selben Zeitraum nur 1.758 Personen aus Deutschland in andere Mitgliedstaaten tatsächlich überstellt. Zielländer waren Italien (521), Polen (311) Ungarn (165), Spanien (143) Frankreich (122). 

Die Gesamtzahl der aus anderen EU- beziehungsweise Schengen-Staaten nach Deutschland überstellten Personen betrug im ersten Halbjahr 6.657. Die meisten von ihnen kamen aus Schweden (2.200), den Niederlanden (803), der Schweiz (961), Finnland (536) und Norwegen (520). Daß mehr Asylbewerber nach Deutschland überstellt werden als umgekehrt, habe verschiedene Gründe, teilte eine Sprecherin des BAMF auf Anfrage der jungen freiheit mit. So übernehme etwa Deutschland die Bearbeitung der Asylverfahren auch jener Leute, die über Griechenland in das Dublin-Gebiet eingereist sind und in deren Fällen eigentlich Athen für das Asylverfahren zuständig wäre. Hintergrund sind die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2011, laut denen die Dublin-Überstellungen nach Griechenland wegen der dortigen Zustände ausgesetzt wurden. 

Ein weiterer Grund für die geringe Zahl der tatsächlichen Überstellungen seien die zahlreichen Klagen von Asylbewerbern gegen die Dublin-Überstellungsbescheide des Bundesamts. „Wenn das zuständige Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid anordnet, kann der Betreffende bis zum Ende des Hauptsacheverfahrens nicht überstellt werden, was durchaus mehrere Monate in Anspruch nehmen kann“, heißt es in der Mitteilung des BAMF. In einzelnen Fällen komme es zur Aufhebung der Überstellungsbescheide durch die Verwaltungsgerichte. Ein zusätzliches Problem sei, daß die Asylbewerber, die überstellt werden sollen, nicht angetroffen werden, weil sie zum Beispiel untergetaucht sind. „Nach der aktuellen Rechtslage kann das dazu führen, daß nach Ablauf einer sechsmonatigen bzw. im Fall des Untertauchens 18monatigen Frist die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens auf Deutschland übergeht.“ Die EU-Kommission arbeite jedoch mit deutscher Unterstützung daran, „das Dublin-System grundlegend zu reformieren, um die sekundäre Migration innerhalb der EU zu beschränken“, teilte die Nürnberger Behörde der JF mit.