© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/16 / 22. Juli 2016

Freundliche Artikel gab es kaum
„Bild“: Die Medien hätten den Fall Kachelmann besser zum Anlaß genommen, ihre Vorurteile auf den Prüfstand zu stellen
Ronald Berthold

Die Medienbranche bejubelt die Niederlage von Bild gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann wie einen Titelgewinn. Was ist passiert? Das Boulevardblatt muß den Kläger mit 512.785,66 Euro entschädigen, weil dessen Journalisten wiederholt die Persönlichkeitsrechte des 58jährigen verletzt haben.

Es ist eine herbe Schlappe, doch die Branchendienste rufen einen „guten Tag für die Pressefreiheit“ (Kress) aus und einen „Pyrrhussieg“ (Meedia) Kachelmanns. Die Rechnung geht so: Kachelmann habe ursprünglich 2,25 Millionen Euro gefordert, das Landgericht hatte ihm in erster Instanz 635.000 Euro zugestanden, geblieben seien jetzt nur 395.000 plus Zinsen und Nebenkosten, eben jene runde halbe Million. 

Die Reduzierung der Entschädigung und die Feststellung des Oberlandesgerichtes, Bild habe „keine Kampagne“ gegen den Prominenten geführt, werden zum Sieg des sauberen Journalismus umgedeutet. Das Gericht stellte aber fest, daß 26 Berichte der Springer-Zeitung über Kachelmann falsch und persönlichkeitsverletzend gewesen seien. Die Journalisten haben den Moderator demnach auch viermal „vorverurteilt“. 

Dem hält Meedia entgegen, Bild habe 800mal über Kachelmanns Prozeß berichtet, der Anteil der verletzenden und vorverurteilenden Texte liege also nur bei 3,25 Prozent. Eine eigenartige Rechnung. 

Wenn umgekehrt über einen Journalisten 26 falsche Berichte veröffentlicht worden wären – wäre das dann auch nur eine Petitesse? Und vor allem: Fast 1.000 Artikel über eine Person in einem so kurzen Zeitraum: Das soll keine Kampagne sein? Ohne sich auf die Seite Kachelmanns schlagen zu wollen, muß die Frage erlaubt sein, wie viele der Bild-Artikel denn neutral oder positiv waren? Die Zahl tendiert gegen null. Die Berichterstattung war absolut einseitig. Auch ohne juristisch das Persönlichkeitsrecht verletzt zu haben, können journalistische Texte vernichtend für den Betroffenen sein.

Die Chance, sich selbstkritisch mit unseriöser Arbeit und dem Vertrauensverlust auseinanderzusetzen, wurde vertan.