© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/16 / 22. Juli 2016

Stolz auf das Eigene, Demut vor Gott
Spaniens Goldenes Zeitalter: Ausstellung „Die Ära Velázquez“ in der Gemäldegalerie Berlin
Fabian Schmidt-Ahmad

Das „Goldene Zeitalter“ Spaniens, jene kulturelle Hochblüte etwa zwischen dem Regierungsantritt Philipps II. (1556) und dem Tod Karls II. (1700), ist Gegenstand einer monumentalen Ausstellung in Berlin. Auf zweitausend Quadratmetern versammelt „El Siglo de Oro“ über 120 Meisterwerke aus 64 Ländern, neben den bedeutendsten Vertretern El Greco und Diego Velázquez auch weniger bekannte Zeitgenossen, die so in ihrer Gesamtheit einen einzigartigen Einblick in eine Phase ungeheurer Produktivität ermöglicht. Gelegenheit für eine künstlerische Spurensuche.

Sieben Jahrhunderte Krieg. Sieben Jahrhunderte, in denen sich das mittelalterliche Spanien einen zähen, unablässigen Abnutzungskrieg mit seinem islamischen Eroberer lieferte. Wo andere Völker längst sich selbst aufgegeben und den fremden Glauben angenommen hätten, blieb die Iberische Halbinsel standhaft. Ihre Kinder sind nicht wankelmütig geworden, sie haben sich nicht von ihrem Weg abbringen lassen. Und für ihre Treue und Tapferkeit wurden sie reich belohnt. Gott, für den sie diesen unmöglichen Sieg erfochten, gab ihnen Berge von Gold und eine neue Welt zum Geschenk.

Den Glauben an sich selbst verloren

Es ist dieses Feuer eines jahrhundertelangen Glaubenskrieges, durch das sich der spanische Charakter ausformte und sein unverwechselbares Gepräge erhielt: eine seltsame, eben spezifisch spanische Mischung von religiöser Inbrunst, politischem Herrschaftswillen und dem Wunsch, alles dies durch künstlerische Überhöhung zum Ausdruck zu bringen. Zusammengefaßt zeigt dies El Escorial in der Nähe von Madrid: Von Philipp II. als gewaltiges Kloster errichtet, war es zudem Verwaltungszentrum eines Imperiums, in dem buchstäblich die Sonne niemals untergeht. Zugleich beherbergte es aber auch die größte Gemäldesammlung der Welt.

Was Spanien groß machte war zugleich sein Untergang. Die Härte im Glauben, als religiöse Intoleranz verursachte sie den Abfall seiner wichtigsten europäischen Provinz, der Niederlande. Der politische Machthunger forderte auf dem Meer die englische, auf dem Land die französische Krone heraus. Bereits Philipp II. blickte auf ein erodierendes Erbe. Ein überdehntes Reich, das in sich zusammenfallen mußte, spricht rückblickend der Historiker. Ein Reich, das den wahren Glauben verloren hat, an Gott, an sich selbst, so sahen es damals Kirche und Hof. Ein Glauben, der durch Kunst wiedergefunden werden muß.

Eine Epoche des Verlusts politischer Bedeutung

Dies ist der Schlüssel zum Verständnis jener Ära. Was später als „goldenes Zeitalter“ verklärt werden wird, war dies nur im künstlerischen Sinne. Rein äußerlich war es eine Epoche des Zerfalls, des Verlustes weltlicher Reichtümer, politischer Bedeutung. Kompensiert wurde diese irdische Marginalisierung durch ein Kulturprogramm, das sich teilweise ganz bewußt gegen die Ästhetik der Reformation richtet, namentlich der aufkommenden niederländischen Malerei. Das besondere Verdienst der Ausstellung ist es, die lange vernachlässigte Bedeutung der Skulptur hervorzuheben.

Taucht die figürliche Darstellung in der rückwärtigen Wahrnehmung kaum auf, so war es doch vor allem die Plastik, welche damals weit vor der Malerei Kristallisationspunkte religiöser Verehrung bot. Und umgekehrt sorgte die Darstellungsform für eine veränderte Wahrnehmung christlicher Heilslegenden. Wenn Juan de Mesa den heiligen Nikolaus von Tolentino darstellt, wie dieser sich selbst geißelt, so ist die Freude des Bildhauers über den athletischen Körper unverkennbar, die im seltsamen Kontrast zur eigentlich intendierten Weltverneinung steht. Die Geißel wird hier zum Accessoire eines Kraftsportlers.

Überhaupt gelingt Spaniens Künstlern immer wieder, woran seine Prediger und Politiker oft genug scheiterten: die feine Ironie, der Humor, aus dem heraus der einzelne bereit ist, sich selbst aus einer gewissen Distanz zu beobachten. Der innige Weltschmerz eines jungen Mädchens in Nonnentracht, von José de Mora in einer Büste festgehalten – die einsame Jungfrau lautet leicht spöttisch der Titel. Im Gegensatz dazu die lebensgroße Darstellung des heiligen Ignatius von Loyola. Auch wenn Juan Martínez Montañés kunstvoll eine Träne die Wange herunterlaufen läßt – menschliche Schwäche sucht man hier vergebens.

Anders als im absolutistischen Frankreich, welches seinen spanischen Rivalen später auch kulturell übertrumpfen wollte, hat sich lange Zeit kein kanonischer Stil durchgesetzt. Erst in der Spätphase wurde El Escorial zur künstlerisch verbindlichen Vorgabe. Bedingt ist dies auch durch die stark im Mittelalter verhaftete Gesellschaft Spaniens, die von vielen einzelnen Meisterwerkstätten geprägt ist, welche in einem losen Verbund stehen. Überragendes Beispiel ist Toledo mit El Greco, der über diese Region hinaus auf Jahrhunderte kaum Wirkung erzielte, bis er von der Moderne zusammen mit Velázquez als Ahne gefeiert wurde.

Diesen Charakter erfaßt die Ausstellung, indem die einzelnen Werkstätten wie Sevilla oder Madrid in ihrer spezifischen Bildsprache durch untergliederte Schwerpunkte strukturiert werden, die auch in etwa deren chronologische Abfolge in ihrer Bedeutung abbildet. Vor dem Auge des Besuchers konsolidiert sich so gewissermaßen räumlich wie zeitlich eine Epoche, die auch von späteren erst in der Rückschau als eine Einheit wahrgenommen wurde, die zwar zahlreiche Bezüge zu anderen europäischen Kulturströmungen, aber auch Eigenheiten aufweist, die um das spezifisch spanische Paradoxon stolzer Demut kreisen.

Eine Kulturströmung als Geburtshelfer der Moderne

Stolz auf das Erreichte, stolz auf den eigenen Willen, das alles gegen alle Widerstände geschaffen zu haben; aber auch Demut, Demut vor Gott, durch das Bewußtsein eigener Unvollkommenheit, Hilfsbedürftigkeit, das beständige Angewiesensein auf göttliche Gnade. Den Menschen in seinem Leben, mit Licht und Schatten, aber auch in seinem religiösen Erleben, als Einheit darzustellen, das ist das große Thema von Spaniens Kulturblüte, die sie beispielsweise von der vorhergehenden italienischen Renaissance unterscheidet, die sich eher auf die menschliche Individualität konzentriert. 

In diesen Kontext mit seinen kunstschaffenden und kunstverehrenden Zeitgenossen gesetzt, wird ersichtlich, wie Velázquez mit seiner Interpretation des Menschen bereits zu Lebzeiten vom König abwärts verehrt wurde. Gewissermaßen komplementär dazu eine andere Lösung, eine andere Interpretation bietet El Greco an. Es ist die Darstellung eines Ringens, welches sich zuvor äußerlich ausgetragen hat und nun, im weltlichen Verlust und in geistiger Überhöhung, zu etwas wurde, in dem Freiheit und Liebe im Glauben tatsächlich ihre harmonische, eigentliche Fassung erhalten.

Erklärlich wird so, wie vor allen anderen europäischen Kulturströmungen es Spanien war, sein goldenes Zeitalter, das als Geburtshelfer die Moderne zur Welt brachte.

Die Ausstellung „El Siglo de Oro. Die Ära Velázquez“ in der Gemäldegalerie Berlin, Matthäikirchplatz, ist bis zum 30. Oktober täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, Sa./So. ab 11 Uhr, zu sehen. Telefon: 030 / 266 42 42 42

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