© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/16 / 22. Juli 2016

„Die Zustände werden eher schlimmer“
Kann man den Terror besiegen? Ja, sagt der renommierte israelische Militärhistoriker Martin van Creveld. Können Deutschland und Europa das? Eher nein, zeigt sich der Experte skeptisch
Moritz Schwarz

Herr Professor van Creveld, Kanzlerin Merkel hat nach dem Anschlag von Nizza versprochen, daß wir den Terror in Europa besiegen werden. 

Martin van Creveld: Wissen Sie, da fallen mir die Worte des katholischen Theologen Johannes Eck ein, die dieser 1517 in Worms an Martin Luther gerichtet haben soll: „Das ist ein schwerer Weg, den du da gewählt hast, kleiner Mönch!“

Frau Merkel wird dieses Versprechen nicht halten können?

Creveld: Eben, das bezweifele ich doch sehr. Eher werden die Zustände noch schlimmer werden – bevor sie einmal besser werden, wenn überhaupt.

Warum verspricht die Kanzlerin dann so etwas?

Creveld: Was fragen Sie mich das? Fragen Sie das Frau Merkel!

Welche Strategie müßte die deutsche Regierung verfolgen, wenn Sie wenigstens versuchen wollte, dieses Versprechen einzulösen?

Creveld: Nun, obwohl ein wirklicher Sieg über den Terrorismus nur schwer vorstellbar ist, kann doch einiges getan werden: Versiegeln Sie Ihre Grenzen und setzen Sie der unkontrollierten Einwanderung ein Ende! Postieren Sie Wachleute und Durchleuchtungsgeräte vor jedem Einkaufszentrum, Lichtspielhaus, jeder Sportstätte und so weiter und so fort! Erlauben Sie ihren Bürgern, sich zu bewaffnen – natürlich nur nach einer angemessenen Sicherheitsüberprüfung der Person! Gründen Sie sogenannte „Neighbourhood watch“-Initiativen – bei denen sich Nachbarn zusammentun, um Wachsamkeit gegenüber verdächtigen Vorgängen im Viertel zu praktizieren! Schaffen Sie eine paneuropäische Aufklärungsbehörde, um den Kampf gegen Terrorismus über die nationalen Grenzen hinweg zu koordinieren! Und um sensible Einrichtungen zu schützen sollten Sie die Methode des „Profiling“ nutzen – auch wenn „Profiling“ keine sehr demokratische Methode ist. Aber sie funktioniert!

Israel kämpft schon seit Jahrzehnten gegen den Terror. Warum gelingt es Ihnen nicht, diesen zu besiegen? Die Frage stellt sich übrigens auch für Länder wie die USA, Rußland oder die Türkei.

Creveld: In der Tat bekämpft Israel den Terror bereits seit Dekaden. Allerdings, auch wenn es nicht den Anschein haben mag – wir haben uns dabei nicht schlecht geschlagen. Zugegeben, diesen Kampf zu gewinnen, dazu waren wir nicht in der Lage. Aber wir haben ihn auch nicht verloren! Nun, der Alltag in Israel geht weiter – und der Schekel ist so stark, daß wir gar nicht wissen, wie ihn ausgeben.

Israel hat also gelernt, mit dem Terror zu leben – droht uns das jetzt auch in Europa?

Creveld: Ja, aber das hat auch eine positive Seite?

Wie bitte? 

Creveld: Ja, natürlich. Zu lernen, mit dem Terrorismus zu leben, ist der erste Schritt zu lernen, mit ihm umzugehen.

Das müssen Sie erklären.

Creveld: Ich würde sagen, es bleibt Ihnen nur der Weg, zu lernen, sich nicht allzusehr über den Terrorismus aufzuregen, ihm nicht zu erlauben, den Alltag zu sehr einzuschränken. Sowie alle durch ihn angerichteten materiellen Schäden so schnell wie möglich zu reparieren. Über allem aber gilt: Nicht zuzulassen, sich allzusehr durch Terror provozieren zu lassen!

Sie selbst nennen als positive Beispiele für Staaten, denen es gelungen ist, den Terror zu besiegen, das Syrien von Hafiz al-Assad – Vater des heutigen Staatschefs Baschar al-Assad – und Großbritannien in Nord-irland. Was haben diese Länder richtig gemacht? Und warum können wir Europäer deren Erfolgsrezepte nicht einfach kopieren?

Creveld: Syrien und Großbritannien, diese beiden Länder haben in der Tat jeweils einen von zwei unterschiedlichen, möglichen Wegen gewählt. Der, den der damalige Staatschef Hafiz al-Assad beschritt, bestand darin, 1982 seine Armee eine ganze Stadt – Hama im Nordwesten Syriens und Hochburg der Muslimbrüder – vollständig zerstören zu lassen, wobei 25.000 bis 30.000 Menschen den Tod fanden, und so zum „Ermutiger der Nation“ zu werden. Die Briten wählten dagegen in Nordirland den Weg, extreme Zurückhaltung und Selbstbeschränkung zu üben. Folge war allerdings, daß bei dieser Methode, den Terror auszutrocknen, dreimal so viele britische Soldaten wie Terroristen starben. Welchen der beiden Wege man aber auch immer wählt – das Entscheidende ist, daß man diesen dann konsequent durchzieht. Sobald man beginnt, einen Zickzackkurs zwischen Härte und Zurückhaltung zu steuern, so wie das die meisten westlichen Staaten machen, hat man verloren – das funktioniert nicht.

Kritiker sagen, der westliche „Krieg gegen den Terror“ habe erst dazu geführt, daß wir heute diese Dimension des Terrorismus – Stichwort Islamischer Staat – erleben. Stimmt das?

Creveld: Nein. Auch wenn es richtig ist, daß Krieg eine interaktive Aktivität ist. „A“ tut etwas. „B“ reagiert darauf. Daraufhin reagiert „A“ darauf – und so weiter und so fort.

Auffällig ist, daß Frankreich ein sehr viel stärkeres Terrorproblem hat als Großbritannien oder Deutschland. Wie läßt sich das erklären?

Creveld: Ich wäre mir da nicht so sicher. Vielleicht liegt es daran, daß Frankreich viel mehr Moslems hat, die schon lange im Land leben. Sie kennen die Schwächen ihrer Gast-Gesellschaften und wie man diese am besten ausnutzen kann. Aber täuschen Sie sich nicht: Terrorismus kann an jedem Ort und zu jeder Zeit ausbrechen.

Der renommierte deutsche Terrorismus-Experte Guido Steinberg nennt als Grund für die große Terrorgefahr in Frankreich  – und die vergleichsweise geringe in Deutschland –, daß in Frankreich „viele Nordafrikaner leben“, aus denen sich die Terroristen rekrutierten. Hat die Terrorgefahr also etwas mit der Einwanderung zu tun? 

Creveld: Ich will es mal so sagen: Nicht alle Einwanderer sind Terroristen, aber fast alle Terroristen sind Einwanderer. Nun, damit wären wir wieder beim Thema „Profiling“ ... 

Medien und Politik in Deutschland weisen nach jedem islamistischen Terroranschlag darauf hin, daß dieser nichts mit dem Islam zu tun habe. Stimmt das?

Creveld: Der Islam ist – und das gilt für jede Religion –, was seine Anhänger daraus machen. Momentan stehen viele seiner Anhänger auf dem Standpunkt, daß Terror auszuüben, um Ungläubige zu töten, der schnellste Weg ist, ins Paradies zu gelangen – wo 72 Jungfrauen auf den Gläubigen warten. 






Prof. Dr. Martin van Creveld, gilt als „einer der renommiertesten Militärhistoriker der Gegenwart“ (Die Welt). Weltweite Bekanntheit erlangte er 1991 mit seinem bahnbrechenden Werk „Die Zukunft des Krieges“. Darin nahm er die Formen des Krieges vorweg, mit denen sich der Westen seit dem 11. September 2001 konfrontiert sieht. Van Creveld lehrte an der Hebräischen Universität von Jerusalem, beriet die Streitkräfte verschiedener Nationen, darunter das US-Verteidigungsministerium, war zu Gast bei Fernseh- und Radiosendern rund um den Globus und ist Autor Hunderter von Artikel in renommierten Zeitungen und Zeitschriften weltweit. Außerdem verfaßte er 25 oft hochgelobte Bücher. Zuletzt erschien auf deutsch: „Kriegskultur – Warum wir kämpfen. Die tiefen Wurzeln bewaffneter Konflikte“ (2011) und auf englisch: „Pussycats. Why the Rest Keeps Beating the West and What Can Be Done About It“ (2016). Geboren wurde der Israeli 1946 in Rotterdam.