© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/16 / 15. Juli 2016

Es blieb nur ein Steinbruch von Mythen
Alfred Kantorowicz und die literarische Erzählung über den Spanischen Bürgerkrieg aus der Sicht der Internationalen Brigaden
Jörg Bernhard Bilke

Im Sommer 1956, zwei Jahrzehnte nach Beginn des Spanischen Bürgerkriegs am 17. Juli 1936, fand in OstBerlin eine merkwürdige Ehrung statt: Neben Hunderten von überlebenden Spanienkämpfern wurden auch Kommunisten geehrt, die nachweislich keinen einzigen Tag ihres Lebens an der Bürgerkriegsfront in Spanien verbracht hatten. Darunter waren beispielsweise die „Spanienkämpfer“ Walter Ulbricht, der im französischen Exil gelebt hatte und 1938 nach Moskau emigriert war, oder Stephan Hermlin, der von Palästina, wohin er aus Deutschland geflohen war, nach Spanien aufgebrochen, aber nie dort angekommen war, sondern ängstlich in Paris den Ausgang des Bürgerkriegs abgewartet hatte. Erich Mielke, später DDR-Minister für Staatssicherheit, war immerhin als „Hauptmann“ bei den „Internationalen Brigaden“ registriert gewesen, hatte aber nicht an der Front gekämpft, sondern hinter der Front Anarchisten und Trotzkisten liquidiert.

Die DDR unterdrückte jede kritische Reflexion

Der Spanische Bürgerkrieg, der 1939 mit einer verheerenden Niederlage für die republikanische Seite endete, war kein Forschungsobjekt für die DDR-Geschichtsschreibung, obwohl 5.000 Deutsche, vornehmlich Kommunisten und Sozialisten, in den „Internationalen Brigaden“ gekämpft hatten. Die fehlende wissenschaftliche Aufarbeitung hatte ihre Gründe: Niederlagen feierte man nicht! 

Deshalb dürfte es kaum verwundern, daß das Kriegsgeschehen in Spanien 1936/39 in DDR-Geschichtsbüchern weitgehend ausgeblendet wurde. Im kümmerlich geratenen „Abriß der Spanienliteratur“ von 1960 wurden vornehmlich zwei Autoren behandelt, die heute längst vergessen sind: Bodo Uhse und Eduard Claudius. Ihre beiden Spanien-Romane „Leutnant Bertram“ (1944) und „Grüne Oliven und nackte Berge“ (1945) wurden kaum gelesen und waren, anders als Anna Seghers’ Widerstandsbuch „Das siebte Kreuz“ (1942), unbrauchbar für die Literatur-agitation im Deutschunterricht an DDR-Schulen.

Aber auch die Autoren, die als Kriegsteilnehmer authentische Berichte geliefert hatten wie Ludwig Renn, Alfred Kantorowicz und Willi Bredel, waren politischen Pressionen ausgesetzt, weshalb ihre Werke nur gekürzt und verstümmelt erscheinen konnten. Am glimpflichsten kam noch Willi Bredel davon, der der Hamburger „Arbeiterklasse“ entstammte und 1933 im Hamburger Konzentrationslager Fuhlsbüttel gesessen hatte. Als braver Parteisoldat, der in seinem Roman „Begegnung am Ebro“ (1939) aus „parteilicher Sicht“ über die Kämpfe berichtet und sich jeglicher Kritik an der Kriegsführung der „Internationalen Brigaden“ enthalten hatte, blieb er mit seinem Spanien-Buch, unbehelligt, zumal er als Politkommissar des Thälmann-Bataillons auch das „schädliche Wirken“ der Anarchisten und Trotzkisten schilderte. Anders erging es Ludwig Renn, dessen Buch „Der spanische Krieg“ (1955) weitaus kritischer ausgefallen war und deshalb auch nur in gekürzter Fassung erscheinen konnte. 

Der Berliner Journalist Alfred Kantorowicz war 1931 der KPD beigetreten und 1933 nach Paris emigriert, wo er schon von 1928 bis 1929 als Kulturkorrespondent der Vossischen Zeitung gelebt hatte. Drei Jahre später zog er als Freiwilliger in den Spanischen Bürgerkrieg und kehrte 1938 nach Frankreich zurück. Im Juni 1940 konnte er aus Marseille im unbesetzten Frankreich in die Vereinigten Staaten fliehen. Sein „Spanisches Tagebuch“, das er im Exil in Südfrankreich nach Aufzeichnungen während des Bürgerkriegs geschrieben hatte, erschien 1948 im Ost-Berliner Aufbau-Verlag, damals schon in gekürzter und verstümmelter Fassung. 

Warum die SED-Zensoren schon mit dieser ersten Fassung nicht zufrieden waren, das teilte der Verfasser im Vorwort zur zweiten Fassung mit, welche in erweitertem Umfang 1966, zum 30. Jahrestag des Bürgerkriegs, in Köln erschien. In einem Beschluß des Politbüros, dem höchsten Machtzentrum des SED-Staats, waren 1951 alle Kritikpunkte genannt, die dazu führten, daß das Buch nicht nur nicht in die 1945 gegründete „Bibliothek Fortschrittlicher Deutscher Schriftsteller“ aufgenommen wurde, sondern auch die zweite Auflage, die mitten in der Auslieferung war, eingestellt wurde: „Das Buch (...) läßt den Parteistandpunkt vermissen. Sowohl die Rolle der spanischen Kommunistischen Partei als auch der entscheidende Anteil der deutschen Kommunisten am spanischen Befreiungskampf bleiben nahezu unberücksichtigt.“

Folterungen und Morde der Internationalen Brigaden

Wenn man heute beide Ausgaben, die von 1948 und die von 1966, miteinander vergleicht, dann erkennt man, warum das die Literatur überwachende Politbüro auf einer „rudimentären Veröffentlichung“ (Alfred Kantorowicz) bestanden hat. Bei einer vollständigen Veröffentlichung des Textes wäre aller Voraussicht nach eine kaum mehr einzudämmende Diskussion über das, was in Spanien wirklich geschehen ist, ausgebrochen. So berichtet er in einem Pariser Tagebucheintrag vom 1. Mai 1938 von einer Sitzung des „Bundes der Spanienkämpfer“: „Da waren etwa zwanzig deutsche Invaliden versammelt, Verwundete, Armlose, Beinlose, Schüttler, alle bedrückt, hungrig, fertig mit den Nerven. Da sitzen diese armen Jungen mit ihren zerschossenen Knochen und müssen sich (von einem selbstzufriedenen Parteibeamten) das erste einer Reihe von Referaten über den Trotzkismus anhören.“

Und noch ein anderes Thema schnitt Alfred Kantorowicz in der Vollfassung seines Tagebuchs an, wovon er während des Bürgerkriegs nichts gewußt, allenfalls geahnt hatte: die Verfolgung und Ermordung von Anarchisten und Trotzkisten innerhalb der eigenen Reihen hinter der Front. Über solche Greueltaten konnte er später in den Büchern „Mein Katalonien“ (1938) des Trotzkisten George Orwell und „Das große Beispiel“ (1940) des Kommunisten Gustav Regler nachlesen. Demnach gab es ein „schwimmendes Konzentrationslager“ auf einem Schiff im Hafen von Barcelona, auf dem Folterungen und Erschießungen vorgenommen wurden, und in Albacete, dem Zentrum des Verwaltungsapparates der „Internationalen Brigaden“, einen Folterkeller, der auf Befehl Walter Ulbrichts eingerichtet worden war. Beide Autoren sind durch das Erlebnis des Spanischen Bürgerkriegs, über den noch keineswegs das letzte Wort gesprochen ist, zu Abtrünnigen des Weltkommunismus geworden.