© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/16 / 15. Juli 2016

Das Vertrauen in die Regierung ist erschüttert
Großbritannien und der Irak-Krieg: Der Chilcot-Bericht erhebt schwerwiegende Vorwürfe gegen die Regierung Blair / Unzureichende und ineffektive Kriegsplanung
Michael Walker

Labour-Parteichef Jeremy Corbyn zeigte sich konsterniert: Die Entscheidung, im Irak einen Krieg zu führen, sei für die Partei und die Nation ein „Schandfleck“. Kurz zuvor hatte Sir John Chilcot aus seinem Bericht zitiert, der den britischen Kriegseinsatz als eine „schädliche Altlast“ bezeichnet, zu der „auch die Erschütterung des Vertrauens in Regierungserklärungen“ gehöre. 

Was ist der Chilcot-Bericht? Es ist die nach sieben Jahren am 6. Juli 2016 veröffentlichte Bilanz der Chilcot-Untersuchung, die von dem damaligen Premierminister Gordon Brown 2003 veranlaßt wurde. Aufgabe dieser von dem früheren Regierungsrat John Chilcot durchgeführten Untersuchung war es, die Umstände zu ermitteln, die zu der von Tony Blair geleiteten britischen Regierung im Bündnis mit den USA getroffenen Entscheidung führte, 2003 dem Irak von Saddam Hussein den Krieg zu erklären.

Sieben Jahre später erhebt der 2,5 Millionen Wörter starke Bericht drei schwerwiegende Vorwürfe gegenüber Blair. Erstens beruhe der Hauptgrund für den Krieg, die Entdeckung von Massenvernichtungswaffen im Irak, auf einer „ungewissen“ und „unzureichenden“ Beweislage. Zweitens seien die Alternativen zu einer militärischen Lösung der Krise weder ausgeschöpft noch seien alle möglichen Versuche unternommen worden, um sie auszuschöpfen. Last but not least habe es keinen „angemessenen effektiven Aktionsplan“ gegeben, um mit den „Folgen des Krieges fertig zu werden“.

Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Berichts trat Blair vor die Presse und brachte seinen „Schmerz“ über die Entscheidungen, die er zu treffen hatte, zum Ausdruck – dennoch bestand er darauf, daß der Entschluß, Krieg gegen Saddam Hussein zu führen, richtig gewesen sei und daß er „es noch einmal tun“ würde.

Labour steht vor einer Zerreißprobe

2003 war der Widerstand in Großbritannien gegen ein militärisches Eingreifen beachtlich. Großer Unmut regte sich vor allem unter den knapp drei Millionen Muslimen und seitens der linken Labour-Anhänger. Auch in Schottland und Nordirland war die Opposition gegenüber jedweden britischen „militärischen Abenteuern“ stark. 

Dennoch stimmte das Parlament mit überwältigender Mehrheit für eine Kriegsbeteiligung. Dies lag vor allem an den sogenannten Massenvernichtungswaffen, mit denen Saddam Hussein angeblich innerhalb von 45 Minuten Großbritannien hätte angreifen können – davon jedenfalls überzeugte Tony Blair die Mehrzahl der Labour- und Tory-Abgeordneten.

13 Jahre später mahnt Jeremy Corbyn, Symbolfigur des linken Labour-Flügels, der den Irak-Krieg 2003 kategorisch abgelehnt hatte, in seiner Stellungnahme über den Chilcot-Bericht vor dem Parlament, daß „diejenigen, die die Entscheidungen trafen, sich nun den Konsequenzen ihrer Entscheidung stellen“ müßten. Zugleich forderte er ein sogenanntes „War Powers“-Gesetz, das alle künftigen Entscheidungen zum Einsatz britischer Streitkräfte von der direkten Zustimmung des britischen Parlaments abhängig machen sollte.

Eine Mehrheit der Mitglieder der Labour-Fraktion hat jedoch kurz nach der Brexit-Entscheidung ihrem Parteichef das Mißtrauen ausgesprochen. Zudem verteidigen viele Labour-Abgeordnete Blairs damalige Entscheidung.

Der Krieg sei nicht das „letzte Mittel“ gewesen, resümierte Chilcot. Etwaige juristische Konsequenzen brachte er nicht ins Spiel, denn diese lägen außerhalb seines Zuständigkeitsbereiches. Daher obliege es Einzelpersonen oder Gruppen, rechtliche Schritte gegen Tony Blair einzuleiten. Bereits am 26. August 2004 hatte eine fraktionsübergreifende Gruppe, darunter der Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei, Alex Salmond, – allerdings folgenlos – versucht, Blair wegen Täuschung des Parlaments anzuklagen.