© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/16 / 15. Juli 2016

Juristischer Mummenschanz
Sexuelle Übergriffe II: Eine Allparteien-Koalition im Bundestag hat das Strafrecht reformiert / Aber das „Nein heißt Nein!“-Gesetz ist in der Praxis untauglich
Paul Rosen

Nach dem Bundestagsbeschluß zum Sexualstrafrecht („Nein heißt Nein“), mit dem angeblich auch Konsequenzen aus der Kölner Silvesternacht mit zahlreichen Übergriffen von Migranten auf deutsche Frauen gezogen werden sollen, ist das Echo sehr unterschiedlich. Dem Selbstlob der Politik steht vernichtende Kritik der Fachwelt entgegen. 

„Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung verträgt keine Einschränkung“, lobte die CDU-Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker die angebliche Schließung von Gesetzeslücken. Die Grünen-Politikerin Katja Keul erkannte einen „Meilenstein“, und Linken-Abgeordnete Halina Wawzyniak sprach von einem „historischen Schritt“. Die SPD-Abgeordnete Elke Ferner sprach von einem „Paradigmenwechsel“. Justizminister Heiko Maas (SPD) betonte, daß eklatante Löcher im Sexualstrafrecht geschlossen wurden. 

Die zuerst notwendige Konsequenz, die nordafrikanisch-arabischen Parallelgesellschaften zurückzudrängen, die innere Sicherheit wiederherzustellen und auffällig gewordene Personen abzuschieben, wurde aber nicht gezogen. Damit bleibt eine Wiederholung der Kölner Vorfälle (siehe Beitrag oben) jederzeit möglich und der Schutz von Frauen mangelhaft. 

Es gibt allerdings einen Paragraphen, der das Grapschen aus Gruppen heraus unter Strafe stellt.  Wegen solcher Delikte verurteilte Täter sollen schneller abgeschoben werden können. Die Strafbestimmung gilt aber als so unglücklich formuliert, daß Linke und Grüne eine Verfassungswidrigkeit attestierten und sich bei der Bundestagsabstimmung enthielten, obwohl auch sie „Nein heißt Nein“ bejubelten. 

Unter Praktikern überwiegt die Skepsis. André Schulz, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, nannte die Beweisbarkeit der Delikte schwer. Die neue Gesetzgebung sei ein Politikum. Der Strafrechtsexperte Rüdiger Deckers vom Deutschen Anwaltverein sagte: „Es wird im Prozeß, wenn es dann um die Frage geht, hat es ein Nein gegeben, große Schwierigkeiten geben, ein Urteil zu finden.“ Die Gefahr von Fehlurteilen bei Sexualdelikten steige.

Aus juristischer Sicht ist der Lückenschluß mißlungen. Geprägt waren die sexuelle Nötigung beziehungsweise Vergewaltigung bisher durch den Gewaltbegriff, das heißt, wenn der Täter einen aktiven Widerstand des Opfers mit körperlicher Kraftanwendung überwindet oder verhindert beziehungsweise gegen einen erwarteten Widerstand entsprechend vorgeht. In diesen Fällen war dem Täter unmißverständlich klar, daß er gegen den Willen des Opfers handelt. Und das Opfer wird bei einem sehr schwerwiegenden Eingriff in die Intimsphäre immer den Impuls haben und in der Regel diesem auch folgen, sich gegen die wie auch immer geartete sexuelle Belästigung zu wehren, um diese zu verhindern oder nicht bis zum Äußersten kommen zu lassen. Nach der nun erfolgten Reform soll auch ein „Nein“ oder eine sonstige Handlung , die den entgegensetzenden Willen erkennen läßt, ausreichen.  

Es gibt aber andere, gar nicht so seltene Fallkonstellationen, die im Bundestag offenbar unbekannt sind: Das Opfer kann sich aus Angst vor dem Täter in einem quasi gelähmten, schockähnlichen Zustand befinden oder aber – gerade wenn Täter und Opfer in einer Beziehung leben – auch unentschlossen sein. Weil es sich kurz zuvor über den Partner geärgert hat, weil Besuch erwartet wird, weil Sexualität auch immer mit Ambivalenz verbunden ist. Ist das die eklatante Lücke, die geschlossen werden muß? Und ist dieser schwere Tatvorwurf in diesem Fall gegenüber dem Täter gerechtfertigt?

Wie ist das mit dem Opfer, das sich nicht wehrt, weil es vor Angst gelähmt ist? Kann es nein sagen oder ist es überhaupt zu einer Regung fähig, oder läßt es gleich alles über sich ergehen? Was ist gar, wenn das Opfer dem Täter an einem entlegenen Ort begegnet, wo Flucht aussichtslos ist und  Hilferufe im Nichts verhallen, ein Einverständnis vorspiegelt? Weil das Opfer nicht weiß, ob es überhaupt noch mit dem Leben davonkommt, den Täter nicht reizen wollte? Tötungsdelikte zur Verdeckung einer Straftat sind gerade in diesem Bereich nicht selten. 

Die Reform schafft nicht mehr Gerechtigkeit, sondern ist Ausdruck politischer Selbstgerechtigkeit.