© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/16 / 08. Juli 2016

Behördenwillkür gegen einen Enthüller
Gustav Freytag II: Die journalistische Aufdeckung eines Falls von Landesverrat führte 1855 zur Ausbürgerung des preußischen Liberalen
Jürgen W. Schmidt

Seit 1850 war Gustav Freytag mit dem Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha bekannt, der auf exzentrischen Wegen, doch gleichwohl mit heißem Herzen eine Politik der deutschen Einigung anzustoßen versuchte. Um gleichfalls für die deutsche Einheit zu wirken und im damals innenpolitisch konservativ regierten Preußen liberale Veränderungen anzuregen, gab Freytag im Zeitraum vom Frühjahr 1853 bis April 1854 eine kleine, doch wirkungsmächtige, weil außerordentlich gut mit Informationen versehene Zeitschrift namens Autographierte Correspondenz heraus. 

Das in Leipzig erscheinende Blättchen wurde in Preußen von liberalen Politikern und Beamten gern gelesen. Damals tobte gerade der Krimkrieg und eine mächtige Staatenkoalition, bestehend aus Frankreich, England Sardinien und der Türkei, versuchte die isolierte Großmacht Rußland niederzukämpfen. In Preußen, besonders in der Armee, herrschten hingegen große Sympathien für Rußland. Mancher preußische Offizier, man nannte sie seinerzeit „Spreekosaken“, drängte darauf, an der Seite des alten Alliierten von 1813 bis 1815 gegen die westlichen Mächte in den Krieg einzugreifen. 

Argwöhnisch wurde Preußen deshalb von der rußlandfeindlichen Koalition beobachtet, und Österreich stand Gewehr bei Fuß, um notfalls sofort in den Krieg gegen den verhaßten innerdeutschen Konkurrenten Preußen einzutreten. Kein Wunder, daß König Friedrich Wilhelm IV. in dieser Situation eine Politik strikter Neutralität bevorzugte. Um die Dinge politisch in Fluß zu bringen, griffen höchste preußische Offiziere  um General Phillipp Prinz von Croÿ deshalb zum Mittel des Landesverrats und spielten Rußland insgeheim preußische Mobilmachungsunterlagen zu. 

Dies war eigentlich ein offenes Geheimnis in den preußischen Oberschichten, doch besaß Gustav Freytag als einziger Journalist den Mut und die nötigen Informationen, um darüber zu berichten. Allerdings wurde nun nicht etwa der hochgestellte Landesverräter, sondern der Überbringer der schlechten Botschaft vom Innenministerium zur Verhaftung ausgeschrieben. Man wollte Gustav Freytag, wenn er auf der Reise von seinem damaligen Wohnort Siebleben bei Gotha zum Redaktionsort Leipzig war, beim Betreten preußischen Bodens im Regierungsbezirk Erfurt verhaften und anschließend wegen „Geheimnisverrat“ vor Gericht stellen. 

Doch eingeweihte preußische Beamte warnten Freytag anonym vor der drohenden Verhaftung, Nunmehr kam Herzog Ernst II. Gustav Freytag zur Hilfe und ernannte ihn zum sachsen-coburgischen Hofrat, was automatisch die Verleihung der Staatsbürgerschaft des kleinen Herzogtums nach sich zog. Notgedrungen gab der Preuße Gustav Freytag alsdann seine preußische Staatsangehörigkeit auf, um zukünftig wieder ungestraft nach Preußen reisen zu können.