© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/16 / 08. Juli 2016

Kopfschütteln am Ku’damm
Al-Quds-Tag: Zum 20. Mal demonstrierten Islamisten in Berlin für die „Befreiung Jerusalems von den zionistischen Besatzern“ / Politiker und jüdische Organisationen riefen zum Protest dagegen auf
Christian Dorn

Ich wußte gar nicht, wie mir geschah.“ Sichtlich schockiert erinnert sich der Gastronom am Kurfürstendamm noch heute daran, wie ihn kürzlich zwei arabische Jugendliche im Vorbeigehen plötzlich anspuckten. Sein Vergehen: Ein T-Shirt mit hebräischem Schriftzug. Es ist derselbe Ort, an dem nun schon zum zwanzigsten Mal in Berlin zur „Al-Quds“-Demonstration aufgerufen wird – „Quds“ ist das arabische Wort für Jersualem. Seit 1979 besteht der „Quds-Tag“, ausgerufen vom Führer der Islamischen Revolution im Iran, Ayatollah Khomeini, als globaler Kampftag zur „Befreiung Jerusalems von den zionistischen Besatzern“. Seither wird weltweit zum Ende des Ramadans dazu aufgerufen, für das erklärte Ziel, die Vernichtung Israels, auf die Straße zu gehen. Doch allen Bemühungen des schiitischen Mullah-Regimes zum Trotz gewann der Quds-Tag in der – mehrheitlich sunnitischen – Welt des Islams bis heute nicht die von der Terrororganisation Hisbollah erhoffte Resonanz. 

Gleichwohl laufen auch vergangenen Samstag wieder 800 Teilnehmer über den Kurfürstendamm, in dessen unmittelbarer Nähe sich jüdische Gemeindehäuser und Synagogen befinden. Ein von der jüdischen Gemeinde beauftragtes Rechtsgutachten hatte daher eine alternative Route gefordert – vergeblich. An der Spitze marschieren auch drei Männer aus London, die als ultraorthodoxe Juden vorgestellt werden. 

Vor dem Start der Demonstration ließen sie – unter Verweis auf den Sabbat – ihre Grußbotschaft von den Veranstaltern des Quds-Tages verlesen. Da hatte der Moderator die muslimische Gemeinde bereits eingeschworen, Rufe wie „Tod für Israel“ oder „Tod den Juden“ seien diesmal genauso verboten wie das Zeigen der Hisbollah-Flagge. Dafür ließ die Grußbotschaft keine Wünsche offen, laut der die Gründung Israels eine „grausame Tat der Zionisten“ und die Staatsgründung das „größte Verbrechen gegen den Allmächtigen“ sei. 

AfD-Mitglieder werden     der Gegendemo verwiesen

Als die Demonstrationsteilnehmer den vorgegebenen Schlachtruf („Muslime, Juden, Christen / Hand in Hand gegen Zionisten“) trotz mehrfachem Vorsagen nicht nachsprechen, wird der Moderator ungeduldig: „Ich weiß, manche von euch sind geschwächt wegen Ramadan, aber andere sind extra angereist und haben gespeist.“ Der unverhoffte Binnenreim sorgt auch in diesem Milieu für eine kurze Erheiterung, doch die täuscht nicht über die tumbe anti-israelische und antiwestliche Hetze des Demonstrationszugs hingweg, der jetzt den Kurfürstendamm entlangzieht und bei den Passanten zumeist ungläubige Gesichter hinterläßt. Dabei muß der Moderator die Menge immer wieder anpeitschen, auf daß diese in die Handvoll der immer gleichen Schlachtrufe einstimmt, wie: „Unsere Stimme bleibt nicht stumm / Israel bringt Menschen um“ oder „Zionisten sind Terroristen, töten Kinder und Zivilisten“ – als hätte nicht gerade im Westjordanland ein palästinensischer Attentäter ein jüdisches Mädchen im Schlaf ermordet. 

Stattdessen skandiert die Menge immer wieder „Widerstand ist kein Terrorismus“. Schließlich schlachte Israel, analog zu IS und Saudi-Arabien, die Menschen ab. Wiederholt wird über Lautsprecher an die Worte des vormaligen iranischen Präsidenten Ahmadinedschad erinnert: „Gerechtigkeit ist unser Sieg.“ Der Moderator ermahnt: „Leute, Leute – die Parolen gibt’s von hier.“ Und von dort wird der „Zionismus“ ein ums andere Mal mit „Faschismus“, „Rassismus“ und „Terrorismus“ gleichgesetzt. Als die Demonstration am Wittenbergplatz endet, zeigt sich der Führer des Quds-Marsches zufrieden und dankt dafür der Polizei: „Das hat reibungslos funktioniert und sollte von uns geschätzt werden.“ 

Ganz anders sieht das die jüdische Gemeinde Berlins. Vor einigen Jahren waren proisraelische und jüdische Gegendemonstranten noch von der Polizei zur Herausgabe ihrer Israel-Fahnen gezwungen worden. Solche Bilder will Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) nicht mehr zulassen, der daher auch auf der diesjährigen Gegenkundgebung eine Rede hält. 

Er mahnt: „Der Geist des Al-Quds-Tags steht für Spaltung, für Aggressivität, für Antisemitismus und für Gewalt – und dagegen muß man aufstehen, und deshalb bin ich heute auch hierher gekommen.“ 

Andere, die hierher gekommen sind, müssen das selbsterklärte Bündnis der „Demokraten“ unverrichteter Dinge wieder verlassen. So hatten sich auch spontan drei Berliner AfD-Mitglieder eingefunden, die direkt vom Wahlkampfstand kamen. Diese betonten im persönlichen Gespräch sofort, ihre Partei sei „definitiv nicht“ antisemitisch. Der Gedeon „nerve“ ganz schön, und man hoffe, ihn bald aus der Partei raus zu haben. 

Muslimische Einwanderung wird ausgeklammert

Lala Süsskind, ehemals Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlins und heutiges Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden, schien im Gespräch mit den AfD-Leuten augenscheinlich sehr erfreut über deren Bekenntnis. Doch als der Moderator Izi Aharon über Mikro den AfD-Leuten entgegenrief: „Löst erst mal euer Antisemitismus-Problem, bevor ihr bei den Demokraten mitmarschiert“, setzten wie auf einer Antifa-Demo Rufe ein wie „Haut ab!“ und „Nazis raus“, so daß die Polizei die AfD-Leute zu deren eigener Sicherheit abführte. 

Grotesk erscheint es dann, daß Moderator Aharon als nächste Rednerin ausgerechnet Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau von der Linkspartei vorstellt. Gehören zu ihrer Fraktion doch erklärte linksradikale „Antizionisten“ wie Inge Höger und Annette Groth, die 2010 an der sogenannten „Gaza-Hilfsflotte“ teilgenommen hatten. Doch Pau ficht solches nicht an; sie bezeichnet es statt dessen als „verlogen, ein christlich-jüdisches Abendland gegen die Flüchtlinge zu instrumentalisieren“, um anzufügen, daß nicht die Flüchtlinge unser Problem seien, sondern die, die für die Flucht verantwortlich sind. Sie warnt vor Nazis und einem „tödlichen Nationalismus“. Das Problem der ungebremsten Einwanderung von Muslimen nach Deutschland, die weitgehend einem antisemitischen Narrativ verhaftet sind, wird aber von Pau – wie auch von allen anderen Rednern – ausgeklammert. 

Vertreter der SPD sind indes nicht auf dem Podium der proisraelischen Demonstration zu finden. Lediglich Mitarbeiter des Wahlkampfteams des SPD-Bezirksbürgermeisters von Charlottenburg-Wilmersdorf Reinhard Naumann sind sichtbar. Auf Nachfrage erklärt eine Genossin, sie seien hier präsent, um eine Teilnahme von AfD-Leuten zu verhindern. 

Für Israels Botschafter Yakov Hadas Handelsmann ist es eine „Schande“, daß eine Demonstration in Berlin stattfinde, die sich „gegen Israel, Deutschland und die ganze westliche Welt und ihre Werte richtet“. Erst tags zuvor seien zum Al-Quds-Tag in Teheran von Hunderttausenden wieder der „Tod Israels“ gefordert und westliche Flaggen verbrannt worden. 

Etwas ratlos scheint auch das ältere Ehepaar aus der jüdischen Gemeinde, das wie in den Vorjahren gegen den Al-Quds-Marsch demonstriert. Sie wundern sich, warum das eigentliche Problem, der mit dem Flüchtlingsstrom nach Deutschland importierte Antisemitismus, nicht thematisiert wurde. Schließlich sei erwiesen, daß bei überwiegenden Teilen der arabischen Flüchtlinge der Israelhaß bei bis zu hundert Prozent liege. Daß die Organisatoren des Bündnisses gegen den Al-Quds-Tag keinen Kontakt zu Flüchtlingen gesucht hätten oder jedenfalls nicht herstellen konnten, müsse ja Gründe haben. 

Ein Professor, der die Demonstration auf dem Kurfürstendamm kopfschüttelnd verfolgt, berichtet indes von seinen arabischen Studenten, die beim Stichwort Israel alle einen „Chip“ im Kopf hätten. An der Stelle sei kein rationaler Diskurs, kein vernünftiges Gespräch mehr möglich. 

Das Fazit der Berliner Zeitung zum diesjährigen Al-Quds-Marsch lautet allen Ernstes: „Friedenswünsche statt Haßparolen“.