© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/16 / 01. Juli 2016

Knapp daneben
Sozialisierung des Finanzsektors
Karl Heinzen

Die gut tausend Mitarbeiter des Einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus (SSM) müssen keine Einschnitte bei ihren Reisekostenetats befürchten. Im Gegenteil: Auf einer Pressekonferenz gab die Vorsitzende dieses unter dem Dach der Europäischen Zentralbank wirkenden Gremiums, Danièle Nouy, bekannt, daß man die Kontakte mit den 129 Kreditinstituten, die seiner Kontrolle unterliegen, intensivieren wolle. SSM-Inquisitoren sollen in Zukunft, wann immer es ihnen beliebt, an Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen der ihnen anvertrauten Banken teilnehmen können. Auf diesen erwarten sie nicht nur herzhafte Snacks und erfrischende Getränke. Man kann sich auch in gepflegter Atmosphäre mit Fachleuten darüber austauschen, wie es denn nun weitergehen soll mit unserem von Spekulationsblasen, maroden Krediten, faulen Bilanzen und überschuldeten Staatshaushalten erschütterten Kontinent. Und am Nachmittag, wenn die Arbeit getan ist, gibt es sicher auch noch die Gelegenheit, durch die jeweilige Finanzmetropole zu schlendern und den Lieben daheim von den vom Munde abgesparten Spesen ein kleines Mitbringsel zu kaufen.

Die erträumte Sozialisierung des Bankensektors geht ganz anders vonstatten, als man es sich ausmalen konnte.

Doch es geht um weit mehr als reizvolle Dienstreisen und vertrauensvollen Dialog. Der SSM steht für eine von vielen erträumte Sozialisierung des Bankensektors, die aber ganz anders vonstatten geht, als man es sich ausmalen konnte. Der Akteur ist keine vom demokratischen Pöbel aufgestachelte Staatsgewalt, und die privaten Eigentümer werden nur ihrer Verantwortung, nicht aber der Früchte ihres Kapitaleinsatzes beraubt. Wo der Mindestlohn bloß Symbolcharakter hat und das Grundeinkommen für alle noch fern ist, durfte der Sozialismus wenigstens schon im Bankenwesen Einzug halten.

So kann es weitergehen. Schon bald wird sich die Erkenntnis durchsetzen, daß nicht nur der Finanzsektor systemrelevant ist. In einer hochgradig interdependenten Wirtschaft verdienen alle Branchen und Betriebe, ob groß oder klein, dieses Attribut und dürfen daher erwarten, daß die weise öffentliche Hand die unsichtbare und nur zu oft blinde Hand des Marktes führt.