© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/16 / 01. Juli 2016

Rio fest im Blick
Eine Profikarriere in einer Randsportart ist ein Balanceakt. Kunstturner Lukas Dauser kennt beide Seiten der Medaille
Martin Voigt

Das größte Sportfest der Welt steht kurz bevor. Über 200 Nationen schicken ihre besten Athleten in 41 Disziplinen zu den Olympischen Sommerspielen nach Rio de Janeiro. Mit dabei zu sein ist für jeden, der auf den Leistungssport gesetzt hat, mehr als ein Traum. Mit dabei zu sein ist Rechtfertigung und Bestätigung dafür, von klein auf alles andere hintangestellt zu haben.

Aus einer jugendlichen Laune heraus werden selten Olympioniken geboren. In den meisten Disziplinen, aber besonders im koordinativ anspruchsvollen Kunstturnen werden die Grundlagen früh gelegt. Lukas Dauser muß nicht überlegen, wo oben und unten ist, wenn er gerade einen Salto über dem Reck macht. Dafür ist auch keine Zeit. Reflexartig finden die Hände des 23jährigen im richtigen Augenblick zur Stange zurück.

Angst habe er keine, sagt der Sportsoldat beim Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT im Olypiastützpunkt Berlin, aber Respekt vor den gefährlichen Übungen. Volle Konzentration sei da schon erforderlich. Eine Verletzung kurz vor den wichtigen Wettkämpfen für die Olympiaqualifikation wäre bitter.

Als Turnnovize hat Dauser freilich noch keine Saltos und Riesenfelgen geturnt. Für den damals Sechsjährigen fing es an mit Auf- und Abschwüngen, Handstand und Rolle vorwärts, so wie man es aus dem Sportunterricht kennt. Als glückliche Fügung könnte man Dausers Karriere bezeichnen, so wie es typisch ist für die Randsportarten. Seine beiden älteren Schwestern haben Ballett gemacht, und Lukas spielte Fußball und Tennis. So weit, so normal.

Aber wenn die beiden Mädchen den Eltern begeistert etwas vortanzten, wollte der Jüngste natürlich nicht nachstehen, so wie das unter Geschwistern eben ist. „Mir haben die eleganten Bewegungsformen sehr gefallen. Ich hab’ das nachgemacht, und meinen Eltern fiel auf, daß ich eine gute Körperbeherrschung hatte“, erzählt Dauser. Obwohl beim Ballett Jungen mit Handkuß genommen werden, kam das für den Erstkläßler überhaupt nicht in Frage. Turnen sei die männlichere Alternative und komme dem Bewegungsdrang von Jungen auch mehr entgegen.

Beim TSV Unterhaching erkannte man das Talent des zierlichen Jungen aus Glonn in Oberbayern. Bereits mit acht Jahren ging es für Dauser zweimal die Woche zusätzlich nach München ins Landesleistungszentrum des Bayerischen Turnerverbandes. „Die Entscheidung zum Leistungssport betrifft die ganze Familie“, betont Dauser und schildert Herausforderungen, von denen Eltern sportlicher Kinder ein Lied singen können. „Unser Alltag war durchgetaktet. Nach der Schule gab es das Mittagessen im Auto auf dem Weg zum Training, und meine Mutter hat die Zeit, bis das Turnen aus war, zum Einkaufen genutzt.“

Nach einer im wahrsten Sinne des Wortes bewegten Schulzeit im Sportgymnasium stand 2012 der Wechsel an den Olympiastützpunkt in Berlin an. Kein Erstsemester, kein Jobben nebenbei, kein Praktikum, dafür aber ein Trainingsplan mit gut 30 Stunden pro Woche, zusätzlich sechs Stunden Physiotherapie und ausgeklügelte Ernährungspläne. Jeder Sportler wird da beim Zuhören ganz unruhig, aber die Sportförderung durch die Bundeswehr ist ein erfolgsabhängiges Privileg.

Nach Verletzungspause   ganz nach oben trainiert

Obwohl Dauser bei internationalen Wettkämpfen gut mithält und sich 2015 beim Weltcup in São Paulo an seinem Lieblingsgerät, dem Barren, sogar an die Spitze turnte, ist ein Sponsor nicht in Sicht. „Es geht auch ohne“, grinst der Wahlberliner und drückt sich in den Stütz, damit ein Foto in Aktion entstehen kann. Was unbekümmert wirkt, ist die Gelassenheit eines Artisten. Jeder verliert mal das Gleichgewicht. Beim Training im Jahr 2009 traf es Dauser. Ausriß der Subscapularissehne an der Schulter. Ein Jahr Zwangspause. „Ich hab’ nach der OP Urlaub gemacht und dann mit Reha angefangen, ohne zu wissen, ob ich jemals wieder voll turnen kann.“

Heute ist er wieder ganz oben. Nebenbei noch für einen Plan B zu sorgen, dafür bleibe kaum Zeit. „Einmal pro Woche besuche ich ein BWL-Seminar und hoffe, daß ich bis 2020 den Bachelor habe“, sagt der Kunstturner und stellt den Abstand der Barrenholme auf seine Größe ein. Mit 1,72 Metern Körpergröße und 63,5 Kilogramm Wettkampfgewicht ist Dauser einer der größten und schwersten in der Sportart der kleinen Männer. Zum Vergleich: Fabian Hambüchen ist zehn Zentimeter kürzer.

Bei der Deutschen Meisterschaft am vergangenen Wochenende erturnte sich der Berliner am Barren den ersten und am Reck den zweiten Platz. Die Nominierung für Rio ist nur noch eine Formsache. Beim TSV Unterhaching wird im August statt des Barrens vermutlich eine Leinwand aufgebaut.