© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/16 / 01. Juli 2016

Mit Schinkenbrot und einer Tasse Tee
Reisen: Der englische Baptistenprediger Thomas Cook begründete den Pauschaltourismus
Wolfgang Kaufmann

Alkoholismus war ein weit verbreitetes Phänomen im England des 19. Jahrhunderts. Dies mußte auch der junge Thomas Cook erfahren, welcher bei seinem Onkel mütterlicherseits, der an der Flasche hing, das Schreinerhandwerk erlernte. Deshalb engagierte er sich später in der Abstinenzlerbewegung. Der nunmehrige baptistische Missionar, Sonntagsschullehrer und Wanderprediger initiierte ab 1828 wiederholt Demonstrationen gegen den Alkoholmißbrauch. Doch damit nicht genug. Als es infolge der Entwicklung der Eisenbahn zunehmend Usus wurde, Gruppenausflüge mit dem neuen Verkehrsmittel zu unternehmen – erstmals geschah dies wohl im Sommer 1836 –, verfiel Cook außerdem auf die Idee, eine solche Gesellschaftsreise für Abstinenzler zu organisieren.

Cook verdiente zunächst keinen müden Penny

Die Tagestour fand am 5. Juli 1841, also vor 175 Jahren, statt und führte von Leicester ins 17 Kilometer entfernte Loughborough. Jeder der immerhin 570 Teilnehmer zahlte für die Mitfahrt in den neun offenen Waggons der Midland Railway ohne Sitzplätze einen Schilling pro Person – das entsprach damals in etwa dem Zehntel des durchschnittlichen Wochenlohns von Baumwollspinnern. Dafür erhielt er neben der Fahrkarte für die Hin- und Rückfahrt in der 3. Klasse auch noch ein Schinkenbrot und eine Tasse Tee, was man als „Komplettpaket“ bezeichnen könnte. Aus diesem Grund wird der von Cook veranstaltete Ausflug der Temperenzler von Leicester zum Kennenlernen der Gesinnungsgenossen in der Nachbargemeinde als erste Pauschalreise der Geschichte eingestuft, obzwar der rührige Laienprediger damit keinen müden Penny verdiente.

Dabei traf Cook mit seinem speziellen Arrangement voll den Geschmack der Engländer zur Zeit der industriellen Revolution. Die wollten nämlich jetzt verstärkt zum Vergnügen reisen, während die Menschen in den Jahrhunderten zuvor vorrangig als Pilger und Kaufleute unterwegs gewesen waren oder sich zumindest im Rahmen einer „Kavalierstour“ um die Erweiterung ihres Bildungshorizonts bemüht hatten.

Allerdings verfügte die neue Touristenklientel des 19. Jahrhunderts aus der Arbeiterklasse und dem Kleinbürgertum über keine sonderlich üppigen finanziellen Mittel, weshalb sie die Vorteile eines Pauschalangebotes, wie Cook es als erster anzubieten vermochte, sehr zu schätzen wußte: niemand brauchte zu befürchten, daß unterwegs größere unerwartete Ausgaben auf ihn zukommen. Darüber hinaus entfiel der Aufwand, der mit der eigenständigen Organisation von Reisen naturgemäß verbunden ist.

Deshalb verliefen die nächsten Unternehmungen, die Cook in den folgenden drei Jahren durchführte, ebenfalls erfolgreich. Dies ermutigte den überzeugten Abstinenzler, der trotz seiner philanthropischen Gesinnung über einen gut entwickelten Geschäftssinn verfügte, weitere solcher Pauschalreisen zu organisieren, um damit nun auch Geld einzunehmen. Auslöser hierfür waren wohl die Aktionen von Nachahmern, welche sein Konzept des touristischen Komplettpaketes kopierten und damit glänzend verdienten. So arrangierte die Brighton Company am 23. September 1844 eine Fahrt in einem Sonderzug mit 72 Wagen und sechs Lokomotiven, der 3.000 Ausflügler von Gateshead und Sunderland nach York brachte.

Einmal um die Welt in 222 Tagen

Cooks erste kommerzielle Reise, die Gewinn abwarf, fand 1845 statt und führte gen Liverpool. Zehn Jahre später wiederum wagte er den Einstieg in das Geschäft mit dem Auslandstourismus. Dabei erwies sich der Baptistenprediger immer wieder als äußerst erfinderisch beziehungsweise innovativ: Der Gründung von Reisebüros folgte die Herausgabe von Reisekatalogen sowie die Einführung von Hotelcoupons (1868) und Reiseschecks (1874). Gleichzeitig wurden die Ziele zunehmend exklusiver, weil auch die Kaufkraft der Kundschaft permanent stieg. Meilensteine hierbei stellten die Nilkreuzfahrten ab 1869 und die Weltreise von 1872/73 dar. Diese führte in 222 Tagen einmal um den Globus.

Ab 1864 agierte Thomas Cook gemeinsam mit seinem Sohn John Mason, der das familiäre Reiseunternehmen dann bis 1900 zum Weltmarktführer machte, nachdem der Firmengründer 1879 in den Ruhestand gegangen war. Derweil entstand aus dem Pauschaltourismus der Massentourismus, welcher schon beizeiten auf heftige Kritik stieß. Beispielsweise äußerte der irische Schriftsteller Charles Lever, der sich in Italien niedergelassen hatte und mit den Einheimischen identifizierte, angesichts der vielen Thomas-Cook-Reisegruppen in seiner Wahlheimat: „Sie kommen nicht zu zweit oder zu dritt, sondern sie kommen in Horden. Sie starren uns an, lachen uns aus und stören unsere Gottesdienste; sie mißbilligen unsere Kleidung, rümpfen die Nase über unsere Küche und machen sich über unsere Sprache lustig. Wenn sich an diesem touristischen Treiben nichts ändert, dann wird uns nichts Geringeres als ein Krieg wieder die Wertschätzung verschaffen müssen, die wir einst in Europa genossen haben.“

Auch heute wird der Massen- beziehungsweise Pauschaltourismus weitestgehend in den schwärzesten Farben gezeichnet. Dabei führt er zu zahlreichen positiven Effekten, welche letztendlich ebenso zum Erbe von Thomas Cook gehören wie die Landschaftsverschandlung durch Bettenburgen und andere kritisch zu bewertende Phänomene. Die Reisebranche ist ein Wirtschafts- und Beschäftigungsmotor ohnegleichen. Sie setzt im Jahr über 1.000 Milliarden Dollar um und gibt rund 100 Millionen Menschen weltweit Arbeit – dazu kommen noch einmal 150 Millionen Stellen, die indirekt vom Tourismus abhängen. In vielen strukturschwachen Regionen stellt dieser die Haupteinnahmequelle der Bevölkerung dar, und wenn die Urlauber ausbleiben, geht es ökonomisch bergab, so wie jetzt gerade in der Türkei aufgrund der zunehmenden Unlust vieler Europäer, in islamische Länder zu reisen.

Darüber hinaus bietet der Tourismus gute Beschäftigungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte, was in den Entwicklungsländern von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Außerdem sorgt die touristische Nachfrage oftmals auch für die Erhaltung des kulturellen Erbes, womit wiederum die Identität diverser Völkerschaften gestärkt wird.