© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/16 / 01. Juli 2016

Falsche Hoffnungen in Mainhattan
Brexit I: Die Finanzmetropole London könnte vom EU-Austritt profitieren / Chance für unregulierten Offhore-Euro-Markt?
Thomas Kirchner

In Frankfurt am Main jubeln sie wieder einmal über die vage Utopie, im Zuge des Brexit London als den europäischen Finanzplatz ablösen zu können. Es wäre nicht das erste Mal, daß die Realität diese Hoffnungen beerdigt. „Mainhattan“ liegt zwar in einigen Bereichen vor der City of London, es reicht aber nicht zur Führungsposition.

Schon die Entscheidung, den Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB) nach Frankfurt zu legen, sollte die Hessen-Metropole an die Spitze in Europa katapultieren – außer linksradikaler Randale bei der Eröffnung des Neubaus hat die EZB-Zentrale aber bislang nicht viel bewirkt. Zuvor hatte schon in den 1990er Jahren die Deutsche Börse ihre Londoner Konkurrenz beim elektronischen Handel mit Futures abgehängt – die Rechenzentrale steht zwar in Frankfurt, die Kunden und Nutzer sind aber nicht nach Frankfurt umgezogen.

London bleibt erste Adresse des globalen Devisenhandels

Böse stößt manchen Politikern auf, daß ein großer Teil des Euro-Devisenhandels künftig im Nicht-EU-Land Großbritannien stattfinden wird. Offenbar war es jahrelang kein Problem, daß London selbst nicht den Euro hatte, aber das globale Zentrum des Devisenhandels war. Daß Währungen an Finanzplätzen außerhalb ihres Währungsraums gehandelt werden, ist kein neues Phänomen. Schon Charles de Gaulle maulte über die Gnome der Züricher Bahnhofsstraße, als der Kurs des französischen Franc seinetwegen Achterbahn fuhr. Der Brexit soll plötzlich ein Hindernis für solchen Devisenhandel sein? Ignoriert wird dabei, daß ein großer Teil des Handels fast aller anderen Währungen auch in London stattfindet, wobei der Euro den Löwenanteil daran trägt. Aber auch ein erheblicher Teil des Dollarhandels findet in London statt. Wie genau nun ausgerechnet der Euro-Devisenhandel auf den Kontinent ausgelagert werden soll, ist unklar und wird wohl ein Hirngespinst bleiben.

Trotzdem könnten die Alarmisten auf einer heißen Spur sein, allerdings in einem anderen Sinn: In London könnte sich ein Offhore-Euro-Markt entwickeln, sollte man versuchen, die City vom regulären Devisenhandel auszuschließen. Ähnliches geschah in den 1950er Jahren, als kommunistische Regierungen begannen, ihre Dollarguthaben aus Angst vor Konfiskation in den USA nach London zu verlagern. Mit der Zeit entstand ein Markt in „Eurodollar“, die Dollarguthaben bei nichtamerikanischen Banken repräsentierten und allmählich ein Volumen erreichten, das an den in den USA gehandelten Dollar heranreichte. „Eurodollar“ waren attraktiv, weil sie ein etwas vorteilhafteres Zinsniveau boten, da keine Mindestreserveanforderungen eingehalten werden mußten. Ein solcher Euro-Offshoremarkt könnte sich heute in London entwickeln, wenn Brüssel aggressiv versucht, den Finanzplatz London vom Euro abzuschneiden.

Die Schweiz beweist seit Jahrzehnten, daß eine Mitgliedschaft in der EU nicht zwingend erforderlich ist, wenn man Finanzzentrum sein möchte. Im Falle der Eidgenossen sind Ruf und qualifiziertes Personal der Standortfaktor, der zählt. Private Verwaltung von Vermögen ist ein Geschäft, in dem die Schweiz sogar London schlägt. Nach dem Austrocknen der Steuerhinterziehungsbranche gab es auch Befürchtungen, die Schweiz würde jetzt als Finanzzentrum an Bedeutung einbüßen. Doch der entstandene Schaden hält sich in Grenzen. Ruf und Personal sind gerade in diesem Geschäft eben doch ausschlaggebend, nicht EU-Mitgliedschaft. In der privaten Vermögensverwaltung, insbesondere im Privatbankgeschäft mit Kunden, deren Vermögen im zweistelligen Millionenbereich liegt, bleibt die Schweiz weiterhin der globale Goldstandard.

Plant die EU Zölle auf Finanzdienstleistungen?

Ein erschwerter Zugang zum EU-Binnenmarkt ist in London jetzt das Sorgenkind. Doch die Engländer brauchen keine Angst zu haben. Solange Nachfrage nach Finanzdienstleistungen besteht, sucht sich die Nachfrage qualifizierte Anbieter. Die sitzen bald nur noch in den Nicht-EU-Ländern Schweiz und Großbritannien. Natürlich könnte die EU Zölle auf Finanzdienstleistungen einführen. Die Erfahrung zeigt aber, daß die an den Kunden weitergereicht werden.

Die Finanzbranche ist in London seit Jahrhunderten international ausgerichtet. Diesen Ruf wird man in der Frankfurter Provinz nicht so schnell aufholen können. Eine Studie der Hessischen Landesbank zeigt, daß Frankfurt es gerade erst geschafft hat, Paris als zweites EU-Finanzzentrum zu überholen. Dies liegt aber eher an François Hollandes Millionärssteuer, derentwegen viele Finanzleute nach London abwanderten. Die Gefahr ist nicht, daß London unter erschwertem EU-Marktzugang leidet, sondern daß die EU von Finanzdienstleistungen abgeschnitten wird.

Foto: Außenmauer der Londoner Börse: England bleibt das globale Zentrum des Gold- und Devisenhandels