© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/16 / 01. Juli 2016

„Nicht gepfiffen, ist schon genug gelobt“
CDU-Wirtschaftsrat: Unternehmerer resignieren vor Energiewende / Kritik an Merkel bleibt unausgesprochen
Christian Dorn

Zwei Mittelständler brachten das Resümee des diesjährigen Wirtschaftstags der CDU zur aktuellen Politik im Zwiegespräch auf den Punkt: „Wenn man ehrlich ist, hat man nichts gelöst – nur Zeit gekauft.“ Zugleich ist es Ausdruck weitverbreiteter Resignation durch das anonymisierende „man“, das die Hauptverantwortliche – Angela Merkel – außen vor läßt. Klimapolitik und Energiewende werden alljährlich beklagt, die Kanzlerin erfährt dennoch keinen konfrontativen Widerspruch. Ausgesprochen wird diese Kritik nur in Abwesenheit der CDU-Chefin, die auch dieses Jahr erst am Abend hofhält.

So bilanzierte zur Eröffnung der Wirtschaftsratspräsident Werner Bahlsen die Folgen der „grünen“ Merkel-Politik. Der Keksfabrikant machte bewußt, was von der deutschen Industrie abhängt: Diese sichere acht Millionen Arbeitsplätze in 100.000 Betrieben und 22 Prozent der Bruttowertschöpfung. Dabei trage sie 86 Prozent der Forschungsausgaben und stehe für drei Viertel aller deutschen Exporte. Die „Unkalkulierbarkeit der Energiepolitik“ zwinge die Firmen, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern. Die jährlichen Kosten der Energiewende beliefen sich auf 31 Milliarden Euro.

„Vielleicht kann Europa mehr Druck ausüben“

Zugleich mahnte Bahlsen, wie auch EU-Kommissar Günther Oettinger, den Anschluß an den digitalen Wettbewerb nicht zu verpassen – was unversehens an die letzten Jahre der DDR erinnert, als der erste Mikrochip von Robotron den Anschluß an die Weltspitze simulieren sollte. Tatsächlich, so Bahlsen, liege der Anteil der deutschen Internetwirtschaft mit einem Anteil von drei Prozent am Bruttoinlandsprodukt deutlich hinter Ländern wie Großbritannien, die einen fast dreimal so hohen Anteil haben. Auch die IT-Infrastruktur habe Nachholbedarf: Hier liege Deutschland weltweit auf dem 22. Platz (JF 25/16). 

Der Auftritt Wolfgang Schäubles zeigte erneut dessen Beschlagenheit. So erklärt der Bundesfinanzminister, daß es für „Ordnungspolitik“ keine englische Übersetzung gäbe. In diesem Augenblick betritt Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy die Bühne, den Schäuble auf französisch begrüßt, um anzufügen: „Doch zurück zur Ordnungspolitik – ich lasse Sarkozy etwas Zeit, damit er die Übersetzung noch verstehen kann.“ Dann dekretiert Schäuble prophetisch – zwei Tage vor dem Brexit-Tag –, Europa werde nicht so weitermachen können.

England habe kein Problem wegen der „Refugees“, sondern wegen der „Fachkräfte aus Polen“ – was bei den Tausenden Unternehmern im Saal des Berliner Maritim-Hotels für große Erheiterung sorgt. Um den gemeinsamen Schutz der EU-Außengrenze zu gewährleisten, müßten wir „unsere höheren moralischen Ansprüche europakompatibel machen“. Bei der Energiepolitik versucht Schäuble über Bande zu spielen: „Vielleicht kann Europa mehr Druck auf Deutschland ausüben“, was im Saal mit Lachen und Beifall quittiert wird. Gewisse Hoffnung schöpft auch der Chef der Deutschen Bank, der Brite John Cryan, welcher – im Unterschied zu seinem Vorgänger Anshu Jain – vor dem Wirtschaftstag auf deutsch spricht und die Einzigartigkeit dieser Veranstaltung unterstreicht, wo die gesamte Unternehmerschaft – Familienbetriebe und Konzerne – zusammenkommen. In anderen Ländern sei es undenkbar, daß eine Partei das wirtschaftliche Rückgrat eines Landes bei sich versammeln und zusammenführen könne. Gleichwohl kritisiert er die ihm zu weit gehende Bankenregulierung. Eine zusätzliche Belastung seien die EZB-Niedrigzinsen.

Dies ist für Sarkozy, der durch seinen Esprit besticht, kein Thema. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich sei keine Wahl, sondern eine Notwendigkeit, beide bildeten den Motor für die Veränderung. Der darauf folgende Applaus war raumfüllend. Mit beschwörendem Tonfall fordert der Franzose eine Neugründung und Reformierung der EU: Weil diese sich „um alles kümmert, kümmert sich Europa letztlich um nichts mehr. Schengen ist untergegangen.“ In Zeiten des islamistischen Terrors sei es falsch, die Visa-Pflicht für die Türkei abzuschaffen, die ohnehin keinen Platz in der EU habe. Zugleich forderte Sakozy dazu auf, Rußland trotz allem als Partner zu sehen.

Das Energiepodium des Wirtschaftstages, zu dem mit Winfried Kretschmann auch erstmals ein grüner Ministerpräsident geladen war, mußte auf diesen verzichten, da er wegen Flugzeugproblemen nicht abheben konnte. Abgehoben ist die Lobby der Energiewende gleichwohl. So hatte Kretschmann die Energiewende als die „Bewährungsprobe unserer Generation“ beschrieben, was der Evonik-Chef Klaus Engel übersetzte: In Wirklichkeit sei es die Bewährungsprobe für den Industriestandort Deutschland.

Daß dieser gefährdet ist, zeigten die inzwischen resignativen Klagen. Mit dem sogenannten Atomkonsens, dem nur ein Jahr nach der Atomkraftverlängerung beschlossenen Ausstieg aus der Kernkraft, beschreite man erneut einen „deutschen Sonderweg“, der „unüberschaubare Risiken“ berge. Engel fragt sich, ob sein Unternehmen Evonik, das zuletzt 13,5 Milliarden Euro Umsatz mit 21.000 Mitarbeitern in Deutschland gemacht hat, dazu künftig noch in der Lage sei. Wenn Engel von den anstehenden „Verendungsprozessen“ (tatsächlich: Veränderungsprozessen) spricht, erscheint dies als Freudscher Versprecher. Wie auch abends bei der Kanzlerin, die sich fragt, ob die deutschen Familienunternehmen sich hier noch „willkommen“ fühlen. Das Wort „zu Hause“ scheint in einer Welt der Globalisierung und Digitalisierung wohl obsolet zu sein.

Machen wir überhaupt noch soziale Marktwirtschaft?

Für diesen Markt steht beispielhaft der Auftritt des Daimler-Chefs Dieter Zetsche, der die Ausrichtung seines Hauses in der Elektromobilität vorantreiben will – und von Merkel in ihrer Abschlußrede noch einmal wie ein Schüler vom Lehrer ermahnt wird, hier endlich seine Hausaufgaben zu machen, etwa bei der Entwicklung von Batterien: „Jetzt guckt Herr Zetsche aber ganz unglücklich, ich hab es doch ganz freundlich gesagt, nicht?“ flachst Merkel und erntet Gelächter im Saal. Anders als in den Vorjahren erscheint ihre Rede inzwischen als formaler Akt, der Herrscherin wagt keiner mehr zu widersprechen.

So rekapituliert die Kanzlerin ernsthaft, daß „eigentlich nur noch strittig sei, ob das, was wir gerade machen, noch soziale Marktwirtschaft“ sei, nicht als Warnruf, sondern als Ausdruck eines normalen Politikbetriebs. Die umstrittene Erbschaftsteuerreform verteidigt die CDU-Chefin mit der ihr eigenen Chuzpe: „Nicht gepfiffen, ist schon genug gelobt an dieser Stelle, würde ich sagen, insofern bin ich hochzufrieden mit Ihrer Reaktion.“ Doch sogleich verlangt sie einen neuen Gunstbeweis. Da das Flüchtlingsproblem bezüglich Syrien und Irak bald gelöst werde, bestehe das zentrale Problem in der Migration aus Afrika, wo heute 1,2 Milliarden Menschen leben. Bis zum Jahr 2050 werde diese Zahl auf 2,3 Milliarden steigen. Die Außengrenzen Europas („vom Nordpol bis Algerien“) seien nicht zu schützen, schließlich seien „wir“ „auch ein Nachbarland des syrischen Bürgerkriegs“.

Überhaupt werde sich der Wirtschaftsrat in Afrika engagieren müssen, um so die Fluchtursachen zu bekämpfen. Dies sei „die zentrale Aufgabe, wenn wir unsere Außengrenzen schützen wollen!“ Die Kanzlerin dankt, daß sie ein „so schönes Thema“ gestellt bekommen habe und wünscht eine weitere gute Zusammenarbeit. Der zahlungswillige Michel klatscht minutenlangen Beifall.