© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/16 / 24. Juni 2016

Überraschend unkompliziert
Besuch im Iran: Während die Perser die Amerikaner hassen, sind wir Deutsche willkommen
Elke Lau

Hektisches Treiben vor der Landung in Teheran. Die weiblichen Fluggäste verhüllen ihre Köpfe und erinnern mich rechtzeitig an die Einreisevorschriften. 

Überraschend unkompliziert ist die Paßkontrolle für Nicht-Iraner. Weder wird das Gepäck auf verbotenen Alkohol noch auf Abbildungen spärlich bekleideter Damen in Zeitschriften durchsucht, wie angekündigt.

Ein etwa fünfzigjähriger Mann, er sieht aus wie Miroslav Klose, begrüßt uns in perfektem Deutsch und begleitet die Gruppe in einem modernen Bus zum Fünf-Sterne-Hotel „Azidi Grand“. Der westliche Standard des Zimmers überrascht uns ebenso wie die Qualität des Kaffees, den es angeblich in ganz Persien nicht geben soll. 

Teheran liegt auf einer Höhe von 1.192 Meter am Fuß des Elburz-Gebirges mit über 5.600 Meter hohen Bergen. Der Verkehr in der Stadt ähnelt dem in Indien. Motorräder, Rostlauben und Nobelkarossen drängeln sich in atemberaubendem Tempo zu viert auf drei Spuren, und das Überqueren der Straße wird zum Überlebenstraining. Aber Klose-jid (er lacht über seinen Spitznamen) hat alles im Griff: Er schwenkt die Deutschlandfahne, die Vehikel halten gehorsam an, manchmal im letzten Augenblick, und wir üben Blitzstart. 

„We are so happy, that you visit our country“

Die Fahrt geht vorbei an endlosen Hochhaussiedlungen und Bauruinen, weil den Auftraggebern bei 35 Prozent Inflation das Geld ausgegangen war. Und an Parkanlagen, die auffallend gepflegt erscheinen. „Dafür schuften zwei Millionen afghanische Flüchtlinge zu Hungerlöhnen und nehmen den Iranern die Arbeitsplätze weg“, schimpft Klose-jid. 

Wir bewundern die überwältigende Pracht des Golestanpalastes und besuchen das effektiv und verständlich eingerichtete archäologische Museum. „Engländer und Franzosen haben den Persern viele Originale gestohlen“, klagt der Reiseleiter und erteilt uns Nachhilfeunterricht in Landesgeschichte: Perser, Kurden, Luren, Bakhtiaren, Turkvölker, Meder, Achämeniden, Seleukiden, Parther, Sassaniden, Saffariden, Samaniden, Seldschuken, Safawiden, Afsharen und natürlich deren Herrscher: Kyros, Kambyses, Darius, Xerxes, Alexander der Große – alle hinterließen ihre Spuren.

Danach geht es zur Schatzkammer Persiens. Unter nachvollziehbaren, nicht übertriebenen Sicherheitsvorkehrungen sind hier die Kronjuwelen des Schah, seiner Frau, ihrer Kinder und sonstigen Verwandten zu bestaunen. Brillanten, Rubine, Smaragde, darunter auch der Darya-ye-Nur-Diamant, 182 Karat, der größte aus einem Stück geschliffene Diamant der Welt. Nur zu besonderen Anlässen durfte sich die kaiserliche Familie den Schmuck ausleihen. Diesem Umstand ist es zu verdanken, daß der unvorstellbare Reichtum erhalten blieb, als die Schah-Familie das Land verlassen mußte. Ebenfalls zur Sammlung gehört der Pfauenthron, ein mit Blattgold überzogener Sessel, in dem über 26.000 Edelsteine verarbeitet sind.

Während wir in der Lobby eines Luxushotels warten, sammelt Klose-jid Euro ein, die er gegen Landeswährung eintauschen will. Später händigt er uns für 100 Euro 3,2 Millionen Rials aus, 400.000 werden wir gleich für zweimal Kaffee und Kuchen los. 

Auf gut ausgebauten Straßen überqueren wir die Zagros-Berge in Richtung Hamadan, 1.700 Meter hoch, vorbei an blühenden Granatapfelplantagen und Mandelbäumen vor der malerischen Kulisse schneebedeckter Berge.

Unser Fahrer Karimi meistert den mordsmäßigen Verkehr, läßt ungerührt die alle paar Kilometer stattfindenden Kontrollen über sich ergehen. „Sie suchen nach synthetischen Drogen“, sagt er gleichmütig auf Befragen. 

Beim Spaziergang durch einen Park umringen uns plötzlich kichernde, schwarz verhüllte Schulkinder. Als wir sie um ein Foto bitten, stellen sie sich stolz mit ernsten Gesichtern in Positur, um hinterher aufgeregt das Ergebnis auf der Kamera zu kommentieren. 

Wir hatten viel von den liebenswürdigen Iranern gehört, jetzt erleben wir Herzlichkeit und Sympathie hautnah. Auf Straßen, in Basaren oder Parks werden wir von jungen Menschen ausgefragt und fotografiert. Blitzsaubere Jungs mit westlicher Haartracht, Mädchen, bildhübsch und perfekt geschminkt umarmen uns, und wenn sie hören, daß wir aus Deutschland kommen, müssen wir unsere Namen buchstabieren. „We are so happy, that you visit our country“ rufen sie. Wir erleben, daß Amerikaner bei Nennung ihres Heimatlandes mit „Da-da-da-da-da“-Tönen bedacht werden, Geräusche, die Maschinenpistolen imitieren sollen.

Mit dem Sturz des Schah-Regimes 1979 wurde die Erbmonarchie in Persien abgeschafft. Der Schah mußte das Land verlassen, und Ruhollah Khomeini kehrte aus seinem französischen Asyl zurück in die Heimat. 1980 begann der Krieg zwischen Iran und Irak. Er dauerte acht Jahre und Millionen Männer verloren ihr Leben. 

Tiefer Schmerz über die gefallenen Söhne

Da niemand den Ort kennt, an dem sein Angehöriger getötet wurde, finden einmal jährlich Pilgerfahrten statt. „Reise zum Licht“ heißt die Wallfahrt. Zu Tausenden treffen Trauernde aus aller Welt im Kriegsgebiet ein, in dem auch Häuserfassaden mit überlebensgroßen Porträts der Toten bemalt sind. In neuerer Zeit kämpfen die Hinterbliebenen darum, die Bilder zu entfernen, weil der Schmerz nicht vergeht beim Anblick der unbekümmerten, nie alternden Gesichter ihrer Väter und Söhne.

 Pause auf einem großen Parkplatz. Unter einem Baldachin sitzen zwei junge Frauen und ein alter Mann auf einer bunten Decke, vor sich Schalen mit Speisen und heißem Tee. Sie laden uns ein. Noch ehe wir verlegen ablehnen können, wird uns ein Brötchen mit Kartoffel- und Eiersalat in die Hand gedrückt. Wir lachen gemeinsam, fotografieren uns gegenseitig und dann ... „Mein Sohn ist getötet worden“, sagt der alte Mann plötzlich und weint. Wir nehmen ihn in den Arm, trösten so gut wir können, was ihm sichtlich guttut. Nur ungern verlassen wir diese sympathischen Menschen, aber Klose-jid mahnt energisch zum Aufbruch.

 Die Tage vergehen im Handumdrehen. Susa mit bedeutenden Ausgrabungen des persischen Achämenidenreichs, die Tempelanlage Tschogha Zanbil mit Stufenpyramide von 1275 vor Chr.. 

 Ein Drittel des Landes besteht aus Wüste, kein Pflanzenstiel, nur Salz und hellgelber Sand. Nomadenvölker ziehen mit ihren Herden und Jurten vorbei.   Wir durchfahren Chuzestans Erdöl- und Erdgasgebiete. Die maroden Leitungen stammen noch aus Schah-Zeiten, das langjährige EU/USA/UN-Embargo verhinderte Reparaturen.

Halt an einem Nomadendorf. Neben der Schafherde im Pferch steht eine Jurte mit wehender Fahne, daneben ein alter Jeep. Er gehört dem Lehrer, der uns gleich herzlich in das „Klassenzimmer“ bittet und uns seine Schützlinge vorstellt. Die sind wenig begeistert, antworten nicht auf unseren Gruß,

Shiras, Stadt der Liebe, der Rosen und der Nachtigallen. Wir haben weder Rosen gesehen, noch Nachtigallen gehört. Klose-jid kauft für ein Picknick ein: Mandarinen, Äpfel, Datteln, Feigen, Brötchen, Aufschnitt, Kartoffelsalat, Auberginen, Chips – zugleich eine  Augenweide und Genuß. 

 Persepolis mit seinen fein gezeichneten Reliefs. Die ehemalige Residenzstadt wurde von Darius dem Großen 518 v. Chr. gegründet und vom Heer Alexanders des Großen 331 v. Chr. zerstört. Von den Lehmziegelbauten der Wohngebäude steht ein karger Rest, aber kleine Paläste und ein Tempel aus achämenidischer Zeit wurden freigelegt und danach sorgfältig restauriert. Es ist das Areal, auf dem Schah Reza 1971 eine gigantische Zeltstadt errichten ließ und die Staatsmänner der Welt zum 2.500jährigen Bestehen der iranischen Monarchie einlud, um sie zu beeindrucken.

Verstand und Augen können die Pracht kaum erfassen 

Dann werden die Frauen unserer Gruppe von den Männern getrennt, in blauweiß gepunktete Schadors gehüllt und von einer Iranerin ins Frauenhaus begleitet. Wir dürfen die berühmte Spiegelmoschee besichtigen. Als wir den Innenbereich betreten, verstummen wir vor Ehrfurcht: Gefühlte Millionen kleiner Spiegel mit Facettenschliff glitzern und blinken im Licht, die Marmorböden sind mit kostbaren Teppichen bedeckt. 

Frauen jeden Alters hocken auf dem Boden, stillen Babys, telefonieren, reden oder beten. Verstand und Augen können die Pracht während unserer begrenzten Verweildauer kaum erfassen.

Weiter zur ältesten achämenidischen Stadtgründung. Pasargadai liegt 1.900 Meter hoch, besteht aus Zitadellen-Palast und dem Grabmal des Kyros, ein voluminöser Sarkophag auf einem gewaltigen Podest. 

 Yazd, am nördlichen Rand der Salzwüste, ist das Zentrum der Anhänger  Zarathustras. Die berühmten „Türme des Schweigens“, in denen noch bis vor 70 Jahren die Geierbestattungen stattfanden, stehen nun am Rande der Stadt, denn während der letzten zehn Jahre hat sich Yazd zwölf Kilometer ausgedehnt.

In der Oasenstadt Isfahan mit ihren türkisfarbenen Kuppeln und zierlichen Minaretten übernachten wir im halbfertigen Anbau eines Luxushotels. Unser Zimmer ist bereits hochherrschaftlich ausgestattet, ebenso das Restaurant, in dem wir am nächsten Morgen frühstücken. Irgendwie fühle ich mich heute beobachtet, und dann fällt mir siedendheiß ein, daß ich mein Kopftuch vergessen hatte. Der Weg zum Zimmer ist weit und umständlich. Am Ausgang des Restaurants schaut mich eine bildhübsche Empfangsdame fragend an, und ich entschuldige mich für den Fauxpas. 

„No problem, madam“, sagt sie und begleitet mich zum Tisch zurück. In der folgenden Stunde fühle ich mich unter den verschleierten Frauen, als würde ich im Badeanzug auf dem Präsentierteller residieren. 

Zwischen „Großer Moschee“ und Ameniergenozid

Der letzte Tag ist angebrochen. Wir besichtigen die „Große Moschee“ am „Großen Platz“, den Vierzig-Säulen-Palast und dann kündigt Klose-jid einen besonderen Kaffeehausbesuch an. Ein kleiner Laden, die wenigen Plätze sind besetzt. Zu unserem Entsetzen scheucht der Besitzer die Gäste von den Stühlen, auch zwei Mädchen müssen aufstehen. Deren Begleiter reagieren böse. Das rabiate Vorgehen ist uns peinlich. Wir verlassen das ungastliche Haus sofort, nicht ohne uns bei den bei den Iranern zu entschuldigen. Sie bedanken sich und winken uns noch lange nach. 

Im armenischen Viertel, dessen Museum über die Geschichte der Armenier im Iran informiert und das Geschehen ab 1915 offen als Völkermord deklariert, treffen wir auf junge Männer. Wieder einmal bedauern wir, daß die meisten Iraner kaum Englisch sprechen.

 Während sich unsere Mitreisenden mit Gewürzen versorgen, lernen wir auf dem Parkplatz einen iranischen Geschäftsmann kennen. Seine Verwandten leben und arbeiten in Hamburg. Er lädt uns sofort in sein Haus nach Teheran ein und nimmt enttäuscht zur Kenntnis, daß unser Aufenthalt in diesem schönen Land heute endet. Visitenkarten werden ausgetauscht und er schenkt uns zum Abschied zwei Kästen der berühmten Pistazien-Pralinen. 

Ehe wir Teheran erreichen, machen wir einen Abstecher nach Ghom, einem der wichtigsten Pilgerorte Persiens. Die berühmte Große Moschee dürfen wir nur von außen betrachten.

Wir müssen Abschied nehmen. Insgesamt 4.200 Kilometer waren wir im Iran unterwegs und wissen: Wir werden zurückkehren in dieses phantastische Land mit seinen liebenswerten Bewohnern.