© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/16 / 24. Juni 2016

Null Prozent fressen am Vermögen
Stiftungen in finanzieller Not: Wie die Niedrigzinsen gemeinnütziges Engagement behindern
Dirk Meyer

Neben der Freiwilligenarbeit zählen Stiftungen zu dem, was man als bürgerschaftliches Engagement bezeichnen kann: der Tagesausflug in der Behindertenhilfe, der Zuschuß zu einer speziellen Sehhilfe, die Förderung einer schulischen Theater-AG, Sprachkurse für Flüchtlinge oder gar der Erhalt ganzer Lustschlösser – alles sozial-gemeinnützige Leistungen, für die weder am Markt noch beim Staat finanzielle Mittel zu holen sind.

Schaut man bei Friedrich Jakob Schmitthenner im „Wörterbuch für Etymologie“ (1837) zum Begriff Stiften bzw. Stiftung nach, so liest man: „eigentlich die Feststellung, Errichtung. Daher stiften, festsetzen, etwas veranlassen, anstiften.“ Hierin spiegeln sich zwei wesentliche Merkmale: die Initiative zu etwas Neuem sowie das auf Dauer angelegte Projekt. Die Idee dabei: Ein einmaliger Kapitalstock wirft Erträge ab, mit denen ohne zeitliche Begrenzung Gutes getan werden kann.

Dies wird jedoch durch die Niedrigzinsen derzeit erschwert oder gar unmöglich. In den dreißig Jahren von 1985 bis 2014 brachten europäische Anleihen jährlich 5,9 Prozent Rendite. Ein Anlageberater war überflüssig, der Vermögensstock blieb, wie er war, Zins und Zinseszins führten zu Vermögenswachstum und finanzierten laufende Projekte. Diese sichere Zukunftsplanung ist seit drei Jahren dahin. Gemäß der Studie von PricewaterhouseCoopers (PwC) konnten 2014 nur 31 Prozent der Stiftungen ihre Förderausgaben steigern, bei 45 Prozent blieben sie unverändert, und 22 Prozent haben sie gesenkt. Zehn Prozent haben sogar mehr gefördert als eingenommen, so daß ihr Kapital abnahm. Hinzu kommt ein pessimistischer Ausblick: 95 Prozent gehen für die nächsten fünf Jahre von sinkenden Einnahmen aus. Die Folge: ihr gesellschaftlicher Wert sinkt. Stiftungen werden zum Kollateralschaden einer Niedrigzinspolitik.

Die Ertragssohle ist noch nicht erreicht

Nach einer Untersuchung des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen ist die Anzahl der rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts, die einer staatlichen Kontrolle durch Landesbehörden unterworfen sind, von 10.503 (2001) auf 21.301 (2015) gestiegen. Hinzu kommen geschätzt ebenso viele Treuhandstiftungen mit eher kleinen Vermögen, die geringere Auflagen zu erfüllen haben. Allerdings gehen die Neugründungen seit 2007 stark zurück. 2015 waren es gerade einmal 583, so wenig wie seit fünfzehn Jahren nicht mehr. 61 Stiftungen wurden aufgelöst. Dabei dominieren überwiegend kleine Stiftungen bis 100.000 Euro (26,3 Prozent) sowie mittelgroße bis eine Million Euro (45,9 Prozent). Als Stiftungszweck werden soziale Aufgaben (49,6 Prozent), Bildung/Erziehung (34,6 Prozent), Kunst/Kultur (31,1 Prozent) sowie andere gemeinnützige Zwecke wie Völkerverständigung oder Tierschutz (30,3 Prozent) in den Satzungen genannt (Mehrfachnennungen möglich). Beispielsweise engagieren sich 350 Stiftungen für die Integration von Flüchtlingen. Dies zeigt, wie flexibel auf geänderte Anforderungen reagiert wird. Insgesamt besteht ein Stiftungsvermögen in Höhe von etwa 100 Milliarden Euro. Den Projekten werden Fördergelder im Umfang von 17 Milliarden Euro zugeführt, davon aber nur fünf Milliarden aus eigenen Vermögenserträgen.

Da viele Stiftungen langfristig investieren, profitieren sie derzeit noch vom Bestand höherverzinster Anleihen. Erst nach deren Auslaufen können die Gelder nur zu schlechteren Konditionen angelegt werden. Insofern ist das Ertragstal zumeist noch nicht erreicht. Wie reagieren die Stiftungsvorstände auf diese Situation? Nach der PwC-Studie ist das Kapital zu 35 Prozent in Firmen- und Staatsanleihen, zu 25 Prozent auf Geldkonten und zu 20 Prozent in Sachwerte (Immobilien, Aktien) angelegt. Gerade in letzter Zeit ist ähnlich den Pensionsfonds und Lebensversicherern eine Zunahme der Risikobereitschaft durch Aktienkäufe und hochriskante Schuldverschreibungen festzustellen. Die Nachhaltigkeit verliert. Diese Möglichkeit zur Streuung der Kapitalanlage besitzen zudem nur größere Stiftungen. Außerdem gewinnen die Einwerbung von Spenden sowie eine Erhöhung des Vermögens durch Zustifter (Fundraising) an Bedeutung.

Eine weitere Möglichkeit bieten Bußgeldzuwendungen, an denen Stiftungen über eine Liste der Generalstaatsanwaltschaft beteiligt werden können. Neuerdings betreiben Sozialinvestoren auch eine wirkungsorientierte Vermögensanlage. Indem sie Kredite an Projekte des Stiftungszweckes vergeben, handeln sie als Starthelfer und erzielen teilweise eine recht ordentliche Rendite. Beispiele sind alternative Wohnprojekte, faire Handelshäuser oder der Bau effizienter Brennöfen für Afrika, die bei geringerer Rauchentwicklung die Gefahr von Augenkrankheiten vermindern. Schließlich ist seit 2013 eine Umwandlung in eine Verbrauchsstiftung möglich, von denen es derzeit 29 gibt. Indem das Kapital über verhältnismäßig hohe Förderausgaben laufend verringert wird, ist allerdings das Ende abzusehen – und damit eher eine Notlösung.

Kritik an parteinahen     Stiftungen

Eine Sonderstellung nehmen jedoch die sechs großen parteinahen Stiftungen ein. Die Friedrich-Ebert-, Konrad-Adenauer-, Friedrich-Naumann-, Hanns-Seidel-, Heinrich-Böll- und Rosa-Luxemburg-Stiftung erhielten im Jahr 2014 zusammen 468 Millionen Euro Bundeszuschuß für politische Bildung, Studienstipendien und Auslandsarbeit. Dies ist eine Steigerung um 50 Prozent in zehn Jahren. Transparency International kritisiert ihre mangelnde Rechenschaftslegung. Es bestehe der Eindruck einer verdeckten Parteienfinanzierung. Gestützt wird dies auch durch die Personalunion von Parteiamt und Vorstand.





Eine deutsche Kulturleistung

„Zinstief bringt kleine Stiftungen in Existenznot“, „Stiftungen erwirtschaften immer weniger“, „Mülheimer Stiftungen geht das Geld aus“ – so lauten dieser Tage die Artikelüberschriften der Tageszeitungen, wenn es um Stiftungen geht. Diese Traditionsinstitutionen sind gehalten, ihr Geldvermögen nicht spekulativ, sondern mündelsicher anzulegen, zum Beispiel in Bundesschatzbriefen. Was noch vor wenigen Jahren eine sichere Bank war, funktioniert heute durch die Niedrigzinspolitik der EZB nicht mehr. Stiftungen stehen unterdessen für Kontinuität in der bewegten deutschen Geschichte. Sie haben Staaten, Kriege und Seuchen überstanden. Die Bürgerspitalstiftung im bayerischen Wemding gilt als die älteste noch heute existierende: Im kommenden Jahr wird sie ihr tausendjähriges Jubiläum feiern können. Rund 250 deutsche Stiftungen trotzen seit mehr als 500 Jahren dem Auf und Ab der Zeitläufte, darunter die Stiftung Bürgerspital zum Heiligen Geist in Würzburg von 1316. Die weithin bekannte Fuggerei in Augsburg von 1521 stiftete mit einer Sozialsiedlung für Arme katholischen Glaubens auch den Gedanken des sozialen Wohnungsbaus.