© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/16 / 24. Juni 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Dann kommt die Flut
Paul Rosen

Die Monate bis zur Wahl rinnen dahin und von der von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) angeregten Gesetzesänderung zur Begrenzung der Mandatszahl des Bundestages ist nichts zu sehen. Die Fraktionen wollen die Begrenzung nicht, weil sie bei einer Zahl wie heute (630 Sitze) ein Einzug der Alternative für Deutschland (AfD) und auch der FDP hart treffen würde. Hundert oder mehr Sitze könnten an AfD und FDP gehen, und die vier Bundestagsparteien würden entsprechend verlieren: Sitze, Räume, Mitarbeiter, Fraktionszuschüsse. 

Da gefällt es den bisher im Bundestag vertretenen Parteien viel besser, wenn der 19. Deutsche Bundestag durch das komplizierte deutsche Wahlrecht weiter aufgebläht würde. Laut Wahlgesetz sollten es 598 Abgeordnete sein, durch Überhang- und Ausgleichsmandate sind es inzwischen 630. Bei Dominanz einer Fraktion (CDU/CSU) bei den direkt zu wählenden Abgeordneten wird das Ergebnis so verzerrt, daß es vieler Überhang- und Ausgleichsmandate bedarf, um den Wählerwillen im Parlament entsprechend abzubilden. Man rechnet mit über 700 Abgeordneten, falls der Bundestag ab 2017 aus sechs Fraktionen bestehen sollte.

Die Frage ist nun, wo bringt man die ganzen Abgeordneten unter? Eigentlich würde es Büros genug geben, aber die Liste der Berliner Problembauten und Milliardengräber ist mit dem Flughafen BER und der Staatsoper nicht erschöpft. Der Neubau des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses erinnert an den Bonner Schürmann-Bau, der im Rhein-Hochwasser absoff und von den Abgeordneten nie bezogen wurde. Wie hätte der Architekt auch ahnen sollen, daß der Rhein Hochwasser führen kann? 

In Berlin liegt das Lüders-Haus direkt an der Spree, so daß kam, was kommen mußte: Eindringendes Wasser setzte dem Neubau derart zu, daß der neue Teil des Lüders-Hauses zur Wilhelmstraße hin nicht mehr bezogen werden kann. Die Renovierung des noch nicht einmal fertigen Neubaus wird mindestens bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode (das wäre 2021) dauern; über die Kosten ist nichts bekannt. Dieser dritte große Berliner Bauskandal wird totgeschwiegen. 

Im Lüders-Haus wäre Platz genug für eine neue Fraktion wie die der AfD gewesen. Es ist davon auszugehen, daß die rund um den Reichstag bei Lobbyisten untergekrochenen Reste der FDP-Fraktion sofort nach einem Wahlsieg wieder da sein und ihre alten Büros in der Dorotheenstraße mit direktem Blick auf Reichstag und Tiergarten beziehen werden. Damit wären die Liberalen wieder ganz nah dran. Unerfahren, wie die AfD sein wird, werden Lammert und die Bundestagsverwaltung der neuen Fraktion Ausweichquartiere in Richtung Alexanderplatz aufdrängen. Da müßten weite Wege zurückgelegt werden, denn bei jeder namentlichen Abstimmung ist Anwesenheit im Plenarsaal erforderlich. Und die Abstimmungen finden über den ganzen Tag verteilt statt. 

Körperliche Bewegung hält zwar gesund, aber bei solchen Verhältnissen wäre geordnete Parlamentsarbeit schon praktisch fast unmöglich.