© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/16 / 24. Juni 2016

Wie auf einem orientalischen Basar
Drittstaaten-Entscheidung: In der Länderkammer wird mit Finanzspritzen um Mehrheiten gefeilscht / Es geht auch um künftige Koalitionen
Paul Rosen

Politische Veränderungen werfen ihre Schatten voraus. Obwohl Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Bundesländern zwei Milliarden Euro zusagte, wollen diese die Maghreb-Staaten Marokko, Algerien und Tunesien nicht zu sicheren Herkunftsländern erklären, um aus diesen Staaten kommende Asylbewerber nach Ablehnung ihres Antrages relativ schnell wieder zurückschicken zu können. Im Bundesrat wurde das Vorhaben der Regierung von der Tagesordnung abgesetzt. 

Die Maßnahme der Großen Koalition war ohnehin nur blanker Aktionismus. Nachdem vor allem bei den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht von Tätern aus „Nordafrika“ die Rede war, hielten es Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und die Innenpolitiker der Koalition offenbar für angezeigt, ausgerechnet diese Staaten aufs Korn zu nehmen. Dabei stellten im vergangenen Jahr keine 5.000 Personen aus diesen drei Ländern Anträge auf Asyl in Deutschland, von denen nicht einmal jeder zehnte als Asylbewerber anerkannt wurde. Insgesamt wurden 26.000 einreisende Personen aus diesen drei Ländern gezählt. Das sind nicht viele im Verhältnis zu den rund eine Million Menschen, die im vergangenen Jahr aus aller Herren Länder nach Deutschland kamen. 

Nicht nur Reisende haben nach Besuchen im Maghreb den Eindruck, daß hier keine Zustände wie im Iran, Saudi-Arabien oder in Afghanistan herrschen. Auch der deutsche Botschafter in Marokko, Volkmar Wenzel, bestätigte nach einem Bericht der Neuen Osnabrücker Zeitung: „Was immer auch behauptet wird, in Marokko wird nicht gefoltert.“ Die Kritiker interessiere die Wahrheit nicht. Wenzel erklärte zu den Zuständen in Deutschland: „Ich rate Ihnen dringend: Glauben Sie nicht der deutschen Presse. Glauben Sie nicht, was im Spiegel steht.“ 

Um die Zustände in marokkanischen Gefängnissen geht es deutschen Politikern auch gar nicht. Die Grünen wollen mit der Blockade des von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und de Maizière betriebenen Vorhabens allein ihre Macht demonstrieren. Der in diesen Dingen erfahrene Schäuble legte schon mal zwei Milliarden Euro auf den Tisch der Länder, um erstaunt feststellen zu müssen, daß die Preise wieder gestiegen waren. 

Eigentlich geht es im Bundesrat zu wie auf einem orientalischen Basar. Die Länderkammer ist keine zweite Kammer wie die neben den Parlamenten in vielen Staaten existierenden Senate, sondern eine Vertretung von Landesregierungen. Wer Mehrheiten braucht wie weiland Kanzler Gerhard Schröder für ein Steuerpaket, kauft sie sich zusammen. Schröder umgarnte den damaligen Berliner Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) so lange mit Millionen-Zusagen für die Hauptstadt, bis dieser dem rot-grünen Steuerpaket zustimmte und die schwarz-gelbe Ablehnungsfront, die sich ihrer Mehrheit noch am Morgen vor der Abstimmung sicher war, zusammenbrach.

Solche Operationen klappen bei knappen Mehrheitsverhältnissen in der Länderkammer. In der Maghreb-Frage wurde deutlich, daß die Grünen inzwischen in zehn Bundesländern mit an der Regierung sind. Damit haben die Grünen einen mächtigen Hebel: In den jeweiligen Koalitionsverträgen steht, daß das Land sich im Bundesrat der Stimme enthalten muß, wenn ein Koalitionspartner dies verlangt. Da jedes Vorhaben im Bundesrat immer die absolute Mehrheit der Gesamtstimmen erreichen muß und es kein Splitting der Länderstimmen gibt, wirkt eine Enthaltung wie eine Nein-Stimme. Angesichts der Grünen-Macht reicht es nicht mehr, den grünen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann mit der Zusage zu locken, für homosexuelle Asylbewerber und verfolgte Journalisten aus dem Maghreb werde es Sonderregeln beim Asyl geben. Das hätte Kretschmann für eine Zustimmung seines Landes gereicht. 

Die anderen Länder mit grüner Regierungsbeteiligung wollten mehr, wie etwa der Bremer Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) erklärte: „Es geht nicht, jetzt Vorschläge von zwei bis drei Milliarden Euro zu machen.“ Sieling bezifferte die Wünsche der Länder auf acht bis neun Milliarden, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatten von je vier Milliarden Euro gesprochen, die der Bund noch drauflegen müsse. 

Gegen die Grünen         kann keiner regieren

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) koaliert mit den Grünen. Das schwarz-grüne Experiment in Wiesbaden gilt als Testlabor für die Bundesebene. Auch Bouffier zeigte sich trotzig: „Schauen Sie, wenn man es brutal ausdrücken würde: Die Länder haben diese Einwanderung nicht zu vertreten. Das war eine Entscheidung des Bundes.“ 

Die Preise werden weiter steigen. Bei jedem Vorhaben werden die Grünen wieder ihre Macht ausspielen, demnächst vielleicht schon bei der Reform der Erbschaftsteuer. Unter diesen Bedingungen ist auch an einen neuen Länderfinanzausgleich ab 2019 nicht zu denken – es sei denn, die Grünen würden von der CDU in die nächste Bundesregierung geholt. 

Die Regierungsbeteiligung ab 2017 ist der eigentliche Preis der Grünen. Die CDU wird nur zu gern zahlen. Wenn die Mehrheit nicht reicht, holt Merkel noch die FDP dazu. Oder die SPD. Aber gegen die Grünen wird in Deutschland ab Herbst 2017 nicht regiert werden können.