© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/16 / 24. Juni 2016

House of Krachs
AfD-Machtkampf: Kein Befreiungsschlag in der „Affäre Gedeon“ / Die Spannungen im Bundesvorstand nehmen weiter zu
Christian Vollradt / Michael Paulwitz

Er oder ich. Das war die Ansage des AfD-Fraktionsvorsitzenden Jörg Meuthen in der Affäre um den wegen antisemitischer Äußerungen in die Kritik geratenen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon (JF 24/16). Würde er die nötige Zweidrittelmehrheit zum Rauswurf Gedeons nicht bekommen, so hatte Meuthen mehrfach klargestellt, trete er selbst aus der Fraktion aus. 

Am Dienstag um kurz nach 14 Uhr offenbart eine dürre Pressemitteilung, daß der Showdown ausbleibt: „Wolfgang Gedeon hat sich heute bereit erklärt, seine Fraktionsmitgliedschaft voraussichtlich bis Ende der Parlamentsferien ruhen zu lassen.“ Konkret bedeute dies, Gedeon lasse seine Rechte und Pflichten in der Fraktion ruhen, könne nicht an Sitzungen teilnehmen und nicht in Arbeitskreise und Ausschüsse entsandt werden. „In dieser Zeit wird in Form eines unabhängigen Gutachterverfahrens geprüft, ob die den Schriften Gedeons gemachten Vorwürfe zutreffend sind oder nicht. Danach wird die Fraktion auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse den Antrag auf Ausschluß der Fraktion neu beraten und final entscheiden.“

Der Medienandrang sucht seinesgleichen: Brechend voll ist der Besprechungssaal, auf den Fluren bringen sich Kamerateams für Interviews und Aufsager in Position. Hinter Jörg Meuthen, der vor einer Batterie von Hörfunk- und TV-Mikrofonen Platz genommen hat, stehen nebeneinander, fast ein wenig an Aufpasser erinnernd, die Mitglieder des Fraktionsvorstands, die ihren Vorsitzenden mit dem „Gutachter“-Vorschlag in die Defensive gebracht hatten. Auf das Verhalten von Ko-Sprecherin Frauke Petry angesprochen, erklärt Meuthen, er sei darüber „nicht glücklich“.

Er habe sich gleichwohl in der Sache mit seiner Position durchgesetzt, nicht mit jemandem, den er für einen Antisemiten halte, in einer Fraktion zusammenzuarbeiten, interpretiert Meuthen die Beschlußfassung über ein vorläufiges „Ruhen“ der Mitarbeit Gedeons in der AfD-Landtagsfraktion. Er sehe deshalb auch keinen Grund für einen Rücktritt. 

Keinen Antisemitismus zu dulden sei im übrigen die Position der gesamten Fraktion. Der Fall, daß das Gutachten die Vorwürfe gegen Gedeon bestätige und die Fraktion im September dem Ausschluß dann doch nicht zustimme, werde deshalb nicht eintreten. Meuthen geht davon aus, daß das Gutachten – drei unabhängige Experten sollen dazu benannt werden, einer durch ihn, einer durch die Fraktion und einer von Gedeon selbst – seine Beurteilung bekräftigen werde.

Die Beschlußfassung über den Kompromiß erfolgte laut Meuthen mit nur wenigen Gegenstimmen, praktisch einstimmig. Der Vorschlag, seine Fraktionszugehörigkeit „ruhen“ zu lassen, sei heute erst von Gedeon selbst gekommen. Wäre es, ohne diesen Vorschlag, zur Abstimmung über einen Ausschluß gekommen, hätte es dafür die erforderliche Zweidrittelmehrheit gegeben, ist sich der Fraktionssprecher sicher. Mancher hätte sich zweifellos eine rasche Entscheidung gewünscht.

Eine Abstimmung wollte Meuthen dann doch nicht erzwingen; als Bundes- und Landessprecher habe er die Verantwortung, Zerreißproben für die Partei zu vermeiden. Er persönlich hätte das Thema lieber schnell beendet, aber „manchmal muß man eben den längeren Weg gehen“, sagt Meuthen gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Den Gutachtern werde eine Frist bis zum 31. August gesetzt, damit zum Ende der Sommerpause zügig entschieden werden könne. Die eigentliche politische Arbeit müsse jetzt endlich „losgehen“. Dabei ist die „ruhende Mitgliedschaft“ rechtlich gar nicht genau definiert. Für die Landtagsverwaltung zählt Gedeon weiterhin als Mitglied der AfD-Fraktion und nicht als fraktionsloser Abgeordneter, bestätigte eine Sprecherin auf Anfrage der jungen freiheit. 

Will Petry Meuthen           „destabilisieren“?

Am Montag noch, einen Tag vor der alles entscheidenden Abstimmung, hatten sich die drei fraktionsinternen Gegenspieler Meuthens in Stuttgart zu Wort gemeldet: Seine beiden Stellvertreter Emil Sänze und Rainer Balzer sowie Fraktionsgeschäftsführer Bernd Grimmer veröffentlichten eine Erklärung, in der sie den Vorsitzenden aufforderten, „auf die Sachebene der Causa Gedeon zurückzukehren und die Spaltung der Fraktion nicht billigend in Kauf zu nehmen“. Indem er seine Fraktionskollegen vor die Wahl „er (Gedeon) oder ich“ gestellt habe, so der Vorwurf in Richtung Meuthen, sei eine „neutrale“ Bewertung der Vorwürfe unmöglich gewesen. Ihrem Vorschlag, so die Kritik der drei, „durch ein unabhängiges wissenschaftliches Gutachten diese Vorwürfe prüfen zu lassen, ist Herr Meuthen trotz unserer Hinweise und starken Bedenken nicht gefolgt.“ 

Diese Kritik, so vermuten manche aus dem Meuthen-Lager, könnte mit Frauke Petry abgesprochen worden sein. Nahrung erhielt diese Vermutung durch die Tatsache, daß Petry am Sonntag via Facebook ihrem Ko-Vorsitzenden vorwarf, er habe seine Zusage, den Antisemitismusvorwurf gegen Gedeon mit einem „wissenschaftlichen Gutachten“ prüfen zu lassen, „überraschenderweise nicht eingehalten“. Meuthen indes bestreitet, daß er solch eine Zusage gegeben habe. Dabei sind sich die beiden offensichtlich im Prinzip darin einig, daß Gedeon keinen Platz (mehr) in der Partei habe. So hatte Petry am Mittwoch vergangener Woche auf Anfrage der jungen freiheit mitteilen lassen: „Wer meint, der Zionismus steuere ‘die’ Medien und greife die Wurzeln der europäischen Kultur an, soll dies von mir aus meinen dürfen, aber bitte außerhalb der AfD.“ Und am Sonntag veröffentlichte Petry eine „Klarstellung“ unter der Überschrift „In Einheit gegen Antisemitismus“. Versehen mit einem Foto des stellvertretenden Bundesvorsitzenden Albrecht Glaser und einem von sich. Nur eine Minute später erschien auf der Facebookseite der Europaabgeordneten Beatrix von Storch ein „Post“ mit der Überschrift „Nein zu Antisemitismus!“. Darunter die Fotos der anderen Bundesvorstandsmitglieder sowie die Aussage: „Antisemitismus hat keinen Platz in der AfD und auch nicht in unseren Fraktionen. Daher stehen wir uneingeschränkt hinter Jörg Meuthen und seinem konsequenten Kurs, diese rote Linie glaubwürdig zu ziehen.“ Die Bildsprache dieser Facebook-Einträge ist eindeutig: Petry gegen den Rest – trotz inhaltlicher Übereinstimmungen. 

Petry, so mutmaßen ihre Kritiker, sei eine Destabilisierung ihres Ko-Vorsitzenden in Stuttgart ganz recht. Denn so könne sie ihrem Ziel, alleinige Spitzenkandidatin bei der Bundestagswahl 2017 zu werden, näher kommen. Die sächsische Fraktionsvorsitzende wiederum hält dem wirtschaftsliberalen Meuthen vor, er verbünde sich sogar mit den Parteirechten Björn Höcke und Alexander Gauland, nur um ihr, Petry, zu schaden. 

Daß dieser Vorwurf nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, zeigt ein – ursprünglich als strikt vertraulich annonciertes – Hintergrundgespräch am Mittwoch vergangener Woche in Berlin. Daß bereits wenige Stunden später Details aus den Äußerungen von Meuthen, Gauland und Höcke die Runde machten, widerspricht dem Wesen eines vertraulichen Treffens. Dilettantismus, lästern die einen; alles Absicht, versichern andere. 

Kreisvorsitzende warnen   vor Rechtsruck

Dafür spricht, daß kein vernunftbegabter Mensch davon ausgehen kann, ein Treffen dreier Politiker mit etwa 18 Hauptstadtjournalisten ließe sich irgendwie geheimhalten. Für Dilettantismus spricht, daß es ein zunächst nicht nachvollziehbares Hin und Her um die Frage gab, ob – und wenn ja, wann – einzelne Aussagen zitiert werden dürfen. Schließlich wurde eine Sperrfrist verkündet, an die sich längst nicht alle hielten. 

Übereinstimmender Tenor der Runde war die Kritik an den Alleingängen von Petry, deren Spitzenkandidatur in Frage gestellt wird. Petry und ihrem Lebensgefährten Marcus Pretzell wird vorgeworfen, den Vorstand zu übergehen, an ihm vorbeizuregieren, Infos durchzustechen und zu intrigieren. Darauf ein Journalist: „Das machen Sie ja auch gerade.“ Antwort: Ja, es sei ihnen jetzt halt zuviel geworden.

Also (fast) alle gegen Petry? Das mag auf den Bundesvorstand zutreffen, für die Basis gilt es nicht. „Die Petry macht und tut, und im Hintergrund wird ihr Engagement von einigen ständig torpediert“, empört sich ein bayerisches Mitglied. Und steht mit dieser Meinung sicher nicht allein. 

Deutliche Kritik am innerparteilichen Petry-Gegner André Poggenburg übten am Montag auch sämtliche Kreisvorsitzenden seines Landesverbands Sachsen-Anhalt. Unter Federführung des Landtagsabgeordneten Daniel Roi veröffentlichten sie einen „Ruf der Vernunft“, in dem vor einer „Radikalisierung jeglicher Art“ gewarnt wurde. „Wir haben ein aus eigener Kraft erarbeitetes Parteiprogramm und klare, verbindliche Regeln dafür, wo unsere roten Linien verlaufen. Dieser Radius darf nicht durch eine kleine, laute Gruppe ständig vergrößert werden, denn sonst verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen in der Mitte der Gesellschaft haben wir uns mühsam erarbeitet, trotz aller Versuche der Altparteien, uns in die rechtsradikale Ecke zu drängen“, heißt es in dem Schreiben. 

Schließlich wolle man Volkspartei sein. „Wir wollen keine Verschmelzung mit Organisationen, die als Auffangbecken für Extremisten fungieren, sie in ihren Reihen dulden oder zumindest ihr Verhältnis zu diesen nicht eindeutig geklärt haben. Wir wollen auch selbst kein Auffangbecken für ehemalige Netzwerke der NPD sein. Wir wollen keine enge Zusammenarbeit mit Gruppen, die sich selbst noch nicht gefunden haben. Die Identitäre Bewegung ist solch eine Gruppierung. Sie besteht in Deutschland aus heterogenen Ideologien und wird in Teilen nicht ohne Grund vom Verfassungsschutz beobachtet. Sie ist somit eine schwer einzuschätzende Gefahr für unsere bürgerliche Mitte.“ 

Dies richtet sich gegen die Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider und Jan Wenzel Schmidt. Tillschneider und seine „Patriotische Plattform“ sind Verfechter einer Zusammenarbeit mit Pegida und der Identitären Bewegung; Schmidt, Landesvorsitzender der Jungen Alternative, stellte einen früheren NPD-Kandidaten als Mitarbeiter in seinem Wahlkreisbüro ein.

Während sich am Dienstag alle Blicke in Sachen AfD nach Stuttgart und auf die Entscheidung in Sachen Gedeon richteten, zog Poggenburg – weitgehend gesichtswahrend – die (Teil-)Konsequenz aus dieser massiven Kritik und trat vom Fraktionsvorsitz zurück. Gleichzeitig hatte ihn seine Fraktion einstimmig für das Amt des Landtagsvizepräsidenten nominiert. Parteichef in Sachsen-Anhalt wolle er indes bleiben, bekräftigte Poggenburg.


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