© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/16 / 17. Juni 2016

Nur mit Zuckerbrot zum Erfolg
Vor 75 Jahren wurde das deutsch-türkische Freundschaftsabkommen unterzeichnet / Alternative zur aggressiven Lösung Hitlers
Wolfgang Kaufmann

Nach den sehr unergiebig verlaufenen Gesprächen mit dem UdSSR-Außenminister Molotow am 12. und 13. November 1940 stand für Hitler fest, daß die Zeit der „Vernunftehe“ mit Stalin vorbei sei. Hieraus resultierte seine Weisung Nr. 21 vom 18. Dezember 1940, „Sowjetrußland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen.“ Dadurch erlangte nun auch die neutrale Türkei strategische Bedeutung: Am liebsten hätte der „Führer“ die Armee Ankaras in das Unternehmen „Barbarossa“ eingebunden, doch das war angesichts der verbreiteten probritischen Tendenzen in der türkischen Truppe illusorisch. 

Also versuchte Hitler die Türken wenigstens in ihrer formellen Neutralität zu bestärken. Diesem Zweck sollte nicht zuletzt ein bilateraler Freundschaftsvertrag dienen, mit dessen Anbahnung der deutsche Botschafter in Ankara, Franz von Papen, am 21. November beauftragt wurde – natürlich in der Hoffnung auf eine spätere türkische Hinwendung zu den Achsenmächten, wenn die Wehrmacht dann in Richtung der sowjetisch-anatolischen Grenze vorrückte.

Drohbotschaften aus Berlin wurden unterschlagen

Um Ankara das Abkommen schmackhaft zu machen, autorisierte Hitler von Papen, den Türken Gebietserweiterungen im Kaukasusraum auf Kosten der UdSSR in Aussicht zu stellen. Doch noch war Staatspräsident Ismet Inönü nicht bereit, den Pakt zu schließen. Das änderte sich erst im April 1941 mit Beginn des deutschen Balkanfeldzuges, als die Türkei mit dem Rücken zur Wand stand und befürchten mußte, das nächste Opfer der Expansion des Dritten Reiches zu werden – ganz abgesehen davon, daß das Land, welches über keine nennenswerte eigene Rüstungsindustrie verfügte, gern wieder deutsche Waffen bezogen hätte und auch deshalb Kooperationsbereitschaft zeigte.

In dieser Situation plädierten der Chef des Generalstabes, Fevzi Çakmak, und einige von dessen engsten Vertrauten sowie der türkische Botschafter in Berlin, Hüsrev Gerede, sogar für ein formelles Militärbündnis. Das jedoch lag nicht im Interesse von Papens, der seit dem 19. April 1941, an dem er nochmals von Hitler zu Verhandlungen mit der türkischen Staatsführung ermächtigt worden war, quasi im Alleingang auf den Abschluß des Freundschaftsvertrages hinarbeitete, der die Türkei zwar an die Seite Deutschlands ziehen, aber dabei nicht in einen offenen Konflikt mit den Briten bringen sollte. 

Dabei konterkarierte er sogar die Bemühungen seines Vorgesetzten, des Reichsaußenministers Joachim von Ribbentrop, Ankara durch plumpe Drohbotschaften folgender Art unter Druck zu setzen: „Deutschland ist (...) heute in der Lage, jeden Augenblick und zu jeder Zeit durch Entsendung eines kleinen Bruchteils der größten Armee, die wohl je existiert hat, den türkischen Staat binnen weniger Wochen auszulöschen.“ Den Inhalt solcher Telegramme aus der Berliner Wilhelmstraße unterschlug von Papen einfach ...

Er setzte bei den Gesprächen mit Inönü und Außenminister Sükrü Saraçoglu stattdessen auf Überzeugungsarbeit und die unübersehbaren türkischen Aspirationen auf sowjetisches Territorium im Kaukasus und rund ums Kaspische Meer. Allerdings verschlechterte sich das Klima zwischen Berlin und Ankara im Mai 1941 während des antibritischen Militärputsches im Irak, weil Inönü es rundheraus ablehnte, dem deutschen Ansinnen nach einer Tolerierung des Durchschleusens von Waffen für die Aufständischen zu entsprechen. Daraufhin gab Hitler seine bisherige turkophile Haltung auf und äußerte im Entwurf zur Weisung Nr. 32 vom 11. Juni die Absicht, „die Türkei politisch gefügig zu machen oder ihren Widerstand mit Waffengewalt zu brechen“, um danach „eine deutsche Operation aus Bulgarien durch die Türkei“ zu starten, „mit dem Ziel, die englische Stellung am Suez-Kanal auch von Osten her anzugreifen“.

Der Schwenk hinderte von Papen freilich nicht daran, in aller Stille und gegen alle expliziten Anweisungen von Ribbentrops weiterzuverhandeln und dem „Führer“ schließlich am 18. Juni 1941 den von ihm sowie Saraçoglu unterzeichneten und zehn Jahre gültigen Vertrag quasi auf dem Silbertablett zu präsentieren. Das Abkommen besagte, daß sich Deutschland und die Türkei verpflichten, „gegenseitig die Integrität und Unverletzlichkeit ihres Staatsgebietes zu respektieren sowie keinerlei Maßnahmen zu ergreifen, die sich direkt oder indirekt gegen den anderen Vertragspartner richten“. 

Ruhe an der Südflanke beim Angriff auf Stalins Reich

Hierdurch konnte Hitler nun zumindest auf Ruhe an der Südflanke der Sowjetunion hoffen, weswegen er den letztlich dann doch recht überraschend zustandegekommenen Pakt nachfolgend in den höchsten Tönen pries. So berichtet das Protokoll vom Empfang des türkischen Botschafters Gerede am 19. Juni 1941, also drei Tage vor Beginn des Angriffs auf die Sowjetunion, in der Neuen Reichskanzlei: „Noch einmal bringt der Führer seine Freude über den Abschluß des deutsch-türkischen Freundschaftsvertrages zum Ausdruck. Als alter Weltkriegssoldat begrüße er diese Annäherung besonders, denn es habe ihm immer am Herzen gelegen, ein gutes Verhältnis mit den alten Verbündeten des Weltkriegs herzustellen; daß nun auch die Türkei als letzter Außenstehender dazugetreten ist, mache ihn sehr glücklich.“

Epilog: Nach dem zunehmend für das Deutsche Reich ungünstigen Kriegsverlauf setzte die Türkei im April 1944 die für die deutsche Rüstungsindustrie sehr wichtigen Chromlieferungen aus. Im August 1944 folgte der Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Am 23. Februar 1945, drei Wochen nachdem die sowjetischen Truppen die Oder bei Küstrin überschritten hatten, erklärte die Türkei dann offiziell den Krieg.