© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/16 / 17. Juni 2016

Dorn im Auge
Christian Dorn

Gemäß dem Motto „Langjährige Testreihen haben ergeben“ ziehe ich nach jahrelanger Abhörmaßnahme des Deutschlandfunks am Morgen ein Fazit: Eines Tages wird im Duden das Wort „Kapern“ auch mit dem maskulinen Artikel erscheinen müssen: unter „Kapern, Peter“, dem Moderator des Deutschlandfunks, welcher den Sendeplatz der „Informationen am Morgen“ dafür mißbraucht, fortgesetzte EU-Propaganda zu betreiben, bevorzugt im Gespräch mit dem grünen EU-Parlamentarier Sven Giegold, der erneut – anläßlich der Brexit-Debatte – der begrifflichen Okkupation „Europas“ das Wort redet.

Bei der Übertragung des EM-Fußballspiels England gegen Rußland, bei dem die Briten kurz vor Ende den Ausgleichstreffer kassieren, wandelt sich die Stimmung des Engländers im Café sichtbar zum Mißmut. Mein Aufmunterungsversuch, „they are training for the Brexit“, kann ihn nicht erheitern – im Gegenteil: Schlimmer als das Ausscheiden Englands bei der EM wäre für ihn der Austritt aus der EU.

Die artistische Glanzleistung von Jérôme Boateng im deutschen EM-Auftaktspiel gegen die Ukraine, als dieser einen ukrainischen Angriff auf der Torlinie klärt, bestätigt, was mir kalauernd vor Tagen durch den Sinn ging: „Gauland beleidigt / Boateng // Boateng verteidigt / Deutschland“. Vor einer McDonalds-Filiale komme ich mit zwei Mädchen ins Gespräch. Eine von beiden erklärt mir durch ihre Silbenbetonung im formvollendeten griechischen Versmaß: „Ich gucke nur / wenn Deutschland spielt.“ Jedenfalls memoriere ich diesen Satz in dieser Form (Daktylus mit Auftakt), um der profanen Realität zu entgehen. Schließlich ist der Mensch nach Schiller nur da ganz Mensch, wo er spielt. Für den romantischen Staatstheoretiker Adam Müller (1779–1829), Philosoph eines organologischen Politikverständnisses, hatten Staaten, um sich – gleichsam Menschen – einander fühlbar zu machen, noch gegeneinander Krieg zu führen.

Doch auch nach einem solchen muß, um den Besiegten unter Kontrolle zu halten, gespielt werden, wie die Umerziehung nach 1945 zeigt – jedenfalls im neuen Film „Overgames“ (www.overgames-film.com) des Künstlers und Filmemachers Lutz Dammbeck, der seit je jenseits der Politischen Korrektheit operiert und hier die Genese der aus den USA kommenden TV-Spielshows untersucht. Vorläufig letzter Termin der Kinotour ist am 24. Juni die Städtische Galerie Dresden. Unbedingt lesenswert ist hier auch das Tour-Tagebuch des Regisseurs.